Ehrlichstett, Oktober 2015

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Hugo zählt. Wenn er in Ehrlichstett ist, nach ein paar Tagen geht das los.

Er fängt an zu zählen. Er zählt die Treppenstufen in den Türmen des Schlosses, er zählt die roten Steine auf dem Fußweg zum Schloss oder die Grauen oder die ganz dunkeln oder die Schiefen. Und erzählt die Besucher. Er sitzt in seinem Büro im Schloss vor dem PC und sieht aus dem Fenster. Die Besucher, die kommen, die auf dem Parkplatz vorfahren, aus dem Auto steigen und sich suchend umsehen. Wollen sie zum Schloss oder zum Reitverein? Wenn sie auf das Schloss zugehen, dann wollen sie manchmal zum Schloss, manchmal laufen sie aber auch nur weiter suchend über das Gelände und suchen einen Zuweg zum Reitverein. Manchmal öffnet er das Fenster und brüllt sie dann an. Sie sollen sich fortscheren. Hier haben sie nichts verloren.

Aber er zählt. Jeder Besucher fünf Euro, jeder der nach hinten geht zum Reitverein, fünf Euro. Die, die den Weg schon kennen, fünf Euro, Kinder auch und die, die suchend über das Gelände laufen, selbst, die die er vertreiben kann, die in ihre Autos steigen und davonfahren - fünf Euro.

Dieser Verein verdient sich dumm und blöd und er hat das Nachsehen. Wer kommt schon in sein Schloss? Und wenn dann wollen die alles umsonst, keiner will zahlen, keiner seine Arbeit unterstützen. Und wenn sie kommen und dann wissen wollen, was es kostet, hier Räume zu mieten für ihre dämlichen Jubiläen, runde Geburtstage, lächerliche Hochzeitsfeiern oder alberne Einschulungspartys, dann meckern sie rum und rechnen und handeln und wollen kürzen und sparen. Das machen sie bei dem Verein sicher nicht.

Nein, da sind sie Feuer und Flamme und nehmen alles in Kauf, um da hin zurennen. Alles! Beschimpfungen, Zäune, Wegsperrungen, alles.

Er spürt, wie die Wut wieder in ihm hoch kriecht und sucht in der Schreibtischschublade nach den Pillen, den kleinen weißen, die soller dann nehmen. Wenn Rabena nicht mit ist, dann verwirrt sich das manchmal mit den Pillen, aber er kriegt das schon in den Griff. Denn Rabena die soll mal lieber nicht mehr mitkommen. Da ist irgendetwas, irgendetwas geschieht mit ihr, wenn die hier ist. Sie will ja ohnehin nicht her, wollte sie noch nie. Aber jetzt hat sich etwas verändert, verdächtiges Funkeln in ihren Augen. Veränderter Atem, er spürt das alles, er sieht sie und spürt das. Sie sollte ihn nicht provozieren. Er steht unter Anspannung, niemand sollte ihn provozieren. Und sie weiß da. Das letzte Mal, da hat er sich vergessen, aber sie weiß das, sie sollte ihn nicht provozieren. Auch als diese Reporter da waren, da hat er sich auch vergessen, das war dumm von ihm. Bonsayh hat schon recht. Er hätte das nicht alleine regeln sollen, er hätte ihn rufen sollen, der Mann ist gut, der Mann ist spitze. Der und der Anwalt. Die holen die Kastanien aus dem Feuer. Es sollten denen das Feld überlassen. Er muss an seine weiße Weste denken. Im Ende soll er schließlich gut aus allem hinauskommen. Die Kohle einstreichen und weg. Und das Schloss muss ohne Makel blieben, das ist die Bedingung.

Der Bonsayh, einerseits ein Glücksfall, andererseits hängt er sich da ziemlich übertrieben rein. Ein bisschen zu weit vielleicht. Wenn das mal alles auffliegt. Der plappert und plappert und plappert da in seiner Internetgruppe, wie der Schlagerkönig von Mallorca. Wenn das mal nicht nach hinten losgeht. Aber für den Fall hat er sich abgesichert. Er und das Schloss, die geraten da nicht mit hinein, NEIN, da kann man nichts nachweisen. Bonsayh, nie gehört, irgendsoein selbst Berufener. Warum der das macht? Weiß er doch nicht. Hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Schloss zu schützen. Gibt doch solche, kann er doch nichts für. Eine engagierter Mitbürger, ist immerhin ein Kulturgut, das Schloss. Und, immerhin sah es ja auch so aus, nach außen. Als ob der Verein das Schloss verwüstet und das Gelände. Nein, er Hülstorff, hat damit nichts zu schaffen. Er wusste natürlich, dass der Verein keinen Trecker hat, klar, aber woher sollen das die Leute wissen und das mit dem Teich, sieht doch so aus, als ob die Pferde das alles zerstören und die Überdüngung daher kommt. Kann er doch nichts dafür.

Ein feiner Schweißfilm hat sich auf seiner Stirn gebildet, den er unwillig wegwischt. Dass das so lange dauert mit dem Verein, das ist einfach ein Ärgernis. Er hatte gedacht, dass das viel schneller geht. Was die sich einbilden! Hier irgendwelche Rechte zu haben! Dass er die in der Tasche hatte, die Haalswor, hatte er eigentlich gedacht Dass die kommt und hier ein bisschen unentgeltlich aushilft und sich noch was ergibt, vielleicht weiß man ja nicht, aber die war doch am Anschlag, das hat man doch gesehen. Die und ihr mickriger Verein von fünfzehn Hanseln. Und dieser biedere Schneider, dass der jetzt hier den Ritter ohne Furcht und Tadel gibt. Das kann doch eigentlich alles nicht wahr sein. Dass die nicht einfach gehen, das versteht er nicht. Er macht denen das Leben schwer und schwerer, und dieser Bonsayh fängt jetzt auch noch an, die richtig vorzunehmen und die Zeitung, die hat er in der Tasche, die eine zumindest, die andere ist ohnehin nur so ein Schmierblatt.

Wieder wallt die Wut in ihm hoch und er wühlt erneut in der Schublade. Wo sind diese verflixten Pillen hingekommen? Die Geschichte mit dem Zeitungschmierfink, das hätte nicht passieren dürfen. Da muss sich sein Bonsayh ganz schön aus dem Fenster lehnen, um daraus etwas zu machen. Damit das richtig ankommt, in der Öffentlichkeit.

Der Bonsayh, er grinst, sein Söldner, sein Spion der guten Sache, sein selbsternannter Schlossretter, dieser hirnlose Dummkopf, denkt er, der im Ende die Rechnung bezahlen wird.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt