Ehrlichstett,Dezember 2015

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Rudolph Renfeld ist erleichtert.

De rGraf ist abgereist, ein Glück.

Er weiß nicht, wie lange er das noch aushält. Nicht nur dieses Abnehmen, dieses schwindelige Immer-Weniger-Werden, nichts passt ihm mehr, sein gefütterter Parka, der dicke mit dem zerrissenen Ärmel, der schlottert um ihn herum, wie um eine Vogelscheuche. Und jetzt auch noch dieser Husten. Der nicht aufhören will.

Er hat so ein bisschen den Verdacht, dass der von dem Asbest kommt, den sie im Sommer zerschlagen mussten. Er hatte da gleich Bedenken, aber man will ja nichts sagen, irgendwie will man ja auch als ganzer Mann dastehen und der Graf, der hat ja da selber noch mitgeholfen, ohne Schutz. Als sie die Asbestplatten da im Futtergang des Stalls zerschlagen haben und in Säcke gepackt haben, da hat der Graf ihnen allerdings Staubmasken gegeben. Aber so billige aus dem Baumarkt. Ob das wirklich hilft? Der große Hengst, der seine Box nebenan hatte, der fing dann an zu husten. Die Reitersleute haben den Tierarzt geholt, aber der konnte nichts finden. Mann, ihr Vollidioten, hätte er ihnen sagen können. Nehmt das Pferd da weg! Habt ihr eine Ahnung, was wir hier machen? Das ist gesundheitsschädlich. Aber da hatte das schon angefangen mit diesem Lied, das die immer gesungen haben und das ihm den Kopf ganz wirre macht und da wollte er gar nichts mehr mit denen reden, lieber Abstand, sonst wer weiß was da passiert. Das Pferd hat gehustet und gehustet, so lange sie da den Asbest zerschmissen haben, armes Viech, kann ja auch irgendwie nichts dafür. Als sie den Asbest verpackt hatten, kam der zur Entsorgung und die Scheine hat der Graf dann dem Umweltamt vorgelegt. Angeblich die Entsorgung von dem Asbest, den sie im Wald vergraben hatten. Die lassen sich auch schön verschaukeln, von dem Amt! Wer weiß denn schon, was da wieder dahintersteckt.

Das Pferd hat irgendwann aufgehört zu husten, aber bei ihm, da geht das jetzt erst los. Versteht er nicht. Ein bellender Krampf schüttelt seinen dürren Körper. Er lässt sich auf die Stufen vor dem Schlossportal sinken.

Und jetzt auch noch so ein Traum. Nacht für Nacht. Ein Innenhof, Steinstiegen, ein Eingang zu einem alten Haus, eine grüne Holztür. Kennt er nicht, kann er nichts mit anfangen, aber dieses Gefühl von Grauen, unvorstellbares Grauen, das ihm Angst macht, im Traum und ihn aufwachen lässt, schweißgebadet, mitten in der Nacht. Und dann kann er nicht mehr einschlafen. Wälzt sich ruhelos von einer Seite des schmutziggrauen Lakens auf die andere. Und hat Angst vor dem Schlafen.

Er weiß nicht, ob er das noch lange aushält.

Wenn der Graf da ist, ist es am schlimmsten. Er kommt auch tagsüber nicht zur Ruhe. Alle paar Minuten etwas anders. Renfeld hier, Renfeld dort und immer hinspurten. Und diese Vorstellungen! Wie alles zu sein hat und das sofort! Und der Verein, der Verein, der Verein. Er, Renfeld soll doch endlich sehen, dass die verschwinden! Er, Renfeld soll...

Er, Renfeld hat dann dafür gesorgt, dass der Graf abreist. Er zieht den Kopf zwischen die Schultern, beim Gedanken daran.

Aber es ging nicht mehr. Seine grauen Wangen, die schlaff geworden sind wegen der Gewichtsabnahme zittern, als ein riesiger Rabe sich vomSchlossdach abstößt und laut kreischend über ihn hinwegfliegt.
Die Sache mit dem Schneider und dieser Sexgeschichte, das hat irgendwie nicht funktioniert. Die haben sich zwar alle das Maul zerrissen darüber, aber keiner hat etwas gemacht. Ist irgendwie irgendwie völlig falsch gelaufen, war fast so, als ob der Schneider in deren Achtung gestiegen ist. Keine Abmahnung, kein Anwalt, keineTobsuchtsausbrüche des Grafen, nein, nur Fragen, was er gesehen hat und wie es war und was er gehört hat, bis es ihn schon genervt hat, das ganze Erfinden. Aber dann hatte er eine anderen Idee. Musste einfach sein. Ging gar nicht mehr anders.
Renfeld atmet tief ein.

Erst dieser Hundwelpe. Die Reiterstleute haben sich so einen Hund zugelegt, ein kleines Fellbündel, aber Gekläffe und Gequietsche die ganze Zeit. Wie Welpen eben sind.

Und der Graf sich aufgeregt, sich aufgeregt, sich aufgeregt!! Er, Renfeld solle nun dafür sorgen, dass das Vieh Ruhe gib, er hält das nicht mehr aus und Rabena auch nicht und man solle und man müsse und ja, er hat sich schon gedacht, was kommen soll, ja er, Renfeld solle das Vieh verschwinden lassen. Wäre doch keine große Sache, so einen Welpen ertränken oder so, ob das gehe, er solle mal, und zwar schnell.

Nein!

Das macht er nicht!

Da kam ihm die Idee.

Er hat die Katzen genommen.

Alle, die er finden konnte, die rote, magere, die schwarze, die keinem gehört, die bunte dicke schwarz-weisse, den kleinen Kater Fußball und hat sie alle beim Grafen eingesperrt. Die haben gemacht, was Katzen eben so machen. Überall hochspringen. Dann, wenn sie mal müssen.... und alles runterwerfen. Und was zu Essen suchen. Und rummiauen. Und wenn man die Tür aufmacht, raussausen.
Das hat gereicht! Der Graf ist abgereist.

Renfeld zieht wieder den Kopf ein. Der Meister ist allgegenwärtig und wird so etwas nicht gutheißen. Der Meister sieht ihn und hört ihn und kontrolliert ihn.

Aber es ging nicht anders.

Renfeld wirft einen geduckten Blick zum Himmel, es ging nicht mehr.

Er konnte nicht mehr. Es ging nicht und ging nicht mehr.

Er steht mühevoll auf. Seine Gelenke knacken hörbar.

Langsam schlurft er die Steinstiegen zum Schlosseingang hinauf.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt