Sie laufen alle rum, wie gelähmt. Sie machen Dienst nach Vorschrift aber keiner weiß irgendwie, was nun. Der verlorene Prozess, der Unfall. Desi ist wieder da, schweigend, bleich, sie kann nicht mehr schlafen, sagt sie. Die Kripo kommt und vernimmt sie, untersucht das Autowrack wieder und wieder, die Reifen, die Schrauben. Dann die Kinder.
Seitdem der Klapsmann Linda mit dem Auto vom Hof gejagt hat, müssen sie die Kinder begleiten, von ihm fernhalten, bewachen. Wenn etwas passiert, nicht auszudenken!
Und der Traum – hurra, denkt Tamara, der Traum ist auch wieder da. Libertas Haus brennt wieder jede Nacht in ihrem Traum die Raben krächzen und sie sucht ihre Mutter, die sie in den Trümmern weiß. Trotz der Kälte wacht sie schweißgebadet auf, liegt dann ruhelos, dunkle Ringe des Schlafmangels zeichnen sich unter ihren Augen ab.
Auch Mandy hat diese dunklen Ringe, aber sie streitet ab, auch wieder den Traum zu haben. Tamara glaubt ihr nicht. Mandy strahlt eine hysterische Freude aus, Devon ist wieder da, er wohnt wieder zu Hause, ab und an jedenfalls. Manchmal kommt er mit zum Schloss, aber auch er sieht schlecht aus, nicht mehr diese massive, erotische Männlichkeit, mager, blass, fahrig, ob auch er den Traum hat? Diese dunklen Augenringe hat er jedenfalls, und wie ausgemergelt, ist er, das kann auch der dicke Parka nicht verbergen, den er nun ständig trägt. Er ist, wie abwesend oft und manchmal starrt er Tamara an, dass es ihr Angst macht. Wie Renfeld, denkt sie schaudernd. Der irre Renfeld taucht ständig dort auf, wo man ihn am wenigsten vermutet und stets in ihrer Nähe. Sein blasser Blick ist unstet und wirr und manchmal äußert er brabbelnde Worte. Man sieh ihn im Wald umherschleichen, hinter dem Schloss, den Boden absuchen und brabbeln. Er ist einfach völlig übergeschnappt, das denken alle, passt irgendwie ins Bild, sind sie doch alle nicht mehr zurechnungsfähig.
Keiner weiß mehr, wie es weitergeht und selbst Gerhard, der sonst immer die Devise aufgab, geplant und geordnet hat, scheint orientierungslos.
Wir sind schon ein eigenartiger Haufen, denkt Tamara müde. Was jetzt, HEILE WWELT, was jetzt?
Stehen wir morgen auf der Straße, mit allen Pferden und keinem Plan, wohin?
Ein Typ ist aufgetaucht, im dunklen Anzug, mit Aktentasche und Datenordnern. Irgendein Ermittler, keiner weiß, woher der kommt, und was der will. Er hat alle befragt und aufgeschrieben, aufgeschrieben und aufgeschrieben. Sie hat einen Blick in eine seiner Mappen geworfen, Fotos drin vom Bauschutt im Teich und im Park und irgendwelche Baupläne, Berechnungen. Wegen der Fördergelder für das Schloss will er wissen, ob sie da etwas sagen können. Nein, schütteln sie müde die Köpfe. Nur ihre eigenen Fördergelder und Spenden, die haben sie ordentlich verwaltet, zu ordentlich und alle in den Prozess gesteckt, den verlorenen.
Trübe stützt Tamara den Kopf auf den Stiel der Mistgabel. Nebenan in der Box hört sie ein Pferd rascheln, im trockenen Stroh. Es ist Eisstern, eine der Zuchtstuten. Sie erwartete ein Fohlen für den Frühling. Pferd müsste man sein, denkt sie. Dann wäre alles einfacher.
Sie fühlt sich allein.Zu allem Übel.
Jakob kommt nicht so oft, im Moment. Es ist kalt, auch im Schloss, zu kalt um mit Henry lange zu bleiben. Wenn er da ist, machen sie kurze Ausflüge mit dem Kleinen und einem Pony, aber sie reden nicht viel. Auch hier scheint eine Lähmung eingekehrt denkt sie. Nur keine Konflikte mehr, nur auch hier keine Klärung, kein Konflikt.
Sie sind, müde, kriegsmüde, konfliktmüde. Geschlagene Truppe. Tragisch, denkt sie, tragisch.
Gerhard und Corinne, die müssen es machen, denkt sie.
Die müssen einen Plan haben, eine Idee, wie es weitergeht.
Oder ein Wunder.
Das wäre auch nicht schlecht.
Gähnend schaufelt sie eine Fuhre Mist auf die Schubkarre.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...