Ehrlichstett, Juni 2016

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Sylvia klaut.

Sie kann es nicht beherrschen. Es ist stärker, als sie. Sie weiß, dass es nicht OK ist, das es verboten ist, dass es eine Straftat ist, dass sie bestraft wird, wenn man sie erwischt, aber sie muss es machen. Für einen Moment, ein paar Stunden, ein paar Tage, wird es dann ruhig in ihr. Sie klaut nichts, was sie brauchen kann, sie will das nicht für sich, eigentlich ist es, wie eine gute Tat. Sie pakt alles zusammen und legt es dann als Paket beim HILFE e.V. ab. Eine Spende für die Obdachlosen.

Sie muss es tun.

Sie muss, sie muss, sie muss.

Sie fährt nach Neustadt in den großen Supermarkt und tut es.

Dort gibt es alles. Lebensmittel genauso, wie Dinge des täglichen Bedarfs oder auch Schuhe und Kleidung. Sie läuft durch die Gänge. Sie sieht sich um, manchmal lächelt sie Vorbeilaufenden zu. Keiner weiß, was sie weiß, was sie gleich tun wird. Sie hat eines der Kleider an, die sie von Rabena bekommen hat. Sie sieht vornehm aus, distinguiert, keiner weiß, was sie tun wird. Sie fühlt sich mächtig, stark, für einen Moment.


Später, da wird das Schuldbewusstsein kommen. Später, wenn sie Zuhause ist. Dann packt sie die Beute in den Karton, denn sie Ende des Monats bei der HILFE abgibt. Und das beruhigt sie wieder.


Das ist alles zu viel für sie. Und dann muss sie häufiger nach Neustadt. Der Karton wird schneller voll und sie kann häufige ihre Spende leisten.


Sie weiß, dass Harald nachts ums Haus schleicht. Er denkt, sie sieht ihn nicht, aber sie spürt seinen Blick, seine Anwesenheit. Wie die Beute das Raubtier spürt, spürt sie, dass er da ist. Sie weiß, dass etwas geschehen wird, geschehen muss. Sie wird eine Entscheidung treffen müssen. Sie muss mit ihm reden, wie es weitergehen soll. Sie hat seinen Blick gesehen, auf der Sitzung im Schoss, sie weiß, dass er versuchen wird, zurückzukommen.

Und sie hat Angst.

Sie will das nicht. Sie will eine Frau sein, die diese Kleider trägt. Sie will sich für die gute Sache engagieren und stark sein. Kämpfen und das Böse besiegen. Sie will sein, wie Rabena.


Sie seufzt und stützt den Kopf in die Hände. Wegen der feuchten Frühsommerhitze hat sie einen feinen Schweißfilm auf der Stirn, den sie unwillig wegwischt.


Sie will sein,wie Rabena. So ohne Zweifel. Rabena weiß was sie tut. Sie steht hinter ihrem Hugo, hinter der Sache, sie scheint keinen Zweifel zu kennen, sie weiß immer, was das Gute ist, das Richtige.

Denn auch hier ist sich Sylvia nicht sicher. Sie kann nichts Schlimmes finden, an diesem Pferdeverein. Sie kann nichts Schlimmes entdecken, was die dem Schloss antun oder Hugo. Im Grunde ihres Herzens weiß sie nicht, warum die eigentlich weg sollen. Sie findet das schön, wie die Kinder dort mit den Ponys spielen. Es ist ein bisschen so, wie sich sich das für sich selbst gewünscht hätte, als Kind. Oder für ihre Enkelkinder.

Im Grunde hat sie die ganze Sache nicht verstanden.

Und dafür schämt sie sich.


Die anderen von „Schutz und Schild für Ehrlichstett", das weiß sie, die dürfen das nicht merken. Rabena würde sie hassen und Cindy auch. Sie hätte dann niemanden mehr. Sie wäre alleine und hätte keine Freundinnen mehr. Dann hätte sie nur noch Harald, so wie es immer war. Aber das will sie nicht.

Sie ringt die Hände, als wollte sie sich an sich selbst festhalten.

Aber das geht nicht.


Sie wird nach Neustadt fahren.
Sie steht auf und schlüpft in ihre halbhohen Sandalen.
Sie wird nach Neustadt fahren.

Der Karton für die HILFE wartet auf Füllung.





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