Ehrlichstett, Mai 2016

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Corinne sitzt im Büro und brütet über Texten und Veröffentlichungen.

Sie kämpft. Sie kämpft um ihr Leben als Künstlerin. Sie kämpft nicht nur, sie führt einen Feldzug, einen Feldzug gegen Intoleranz, Engstirnigkeit und für die Freiheit, die Freiheit der Kunst, aber auch die Freiheit für alles andere. Gedankenfreiheit. Je mehr sie darüber nachdenkt, je mehr sie formuliert, argumentiert, sich verteidigt, verweist, beweist, begründet in vielen, vielen Stunden am Telefon, im Internetdiskussionsforen und per Mail, desto klarerund bedeutender erscheint ihr ihr Tun, desto mehr begreift sie, in welch eine wichtige Sache sie da hineingeraten ist, wie viel nicht nur für sie vom Ausgang dieser Diskussion abhängt.


Durch das offenen Fenster dringt plötzlich ungewöhnlicher Lärm, Rasseln, der Motor großer Maschinen. Sie versucht sich zunächst nicht ablenken zu lassen, aber nachdem noch laute Rufe hinzukommen und ein neues tiefes Grummeln eines starken Motors, steht sie seufzend auf und sieht aus dem Fenster.

Im Schlosshof ist ein Lastwagen vorgefahren, der auf einem breiten flachen Hänger einen riesigen Baustellenbagger auf den Hof gezogen hat. Hugo von Hülstorff ist zu erkennen, der gestern aus München angekommen war. Neben ihm eine kleine blonde Frau und ein Mann der in geduckter Haltung an seinen Fersen geheftet zu sein scheint. Hugo springt aufgeregt, seine langen Glieder schlenkernd vor und hinter dem Gespann herum, deutet und gestikuliert. Der riesige Bagger setzt langsam rückwärts vom Hänger und kommt rumpelnd und dröhnend hinter diesem zum Halt. Corinne sieht Hugo zum Bagger eilen, das Pärchen eilfertig folgend und zum Stall gestikulieren. Die Pferde sind alle in den Ausläufen und starren in gebannter Schockhaltung, die Köpfe hoch erhoben, zu dem riesigen Ungetüm. Corinne kann das Weiße in den schreckgeweiteten Augen bis hier erkennen. Desi und Dieter sind zusammengelaufen und zwei der Reitkinder, Michelle und ein anderes Mädchen.

Am Bagger wird erneut der Motor hoch gefahren und das Ungetüm setzt sich langsam in Richtung Stall in Bewegung. Irritiert runzelt Corinne die Stirn. Was machen die da? Was haben die vor?

Die Pferde fangen an hektisch im Kreis zu laufen auf der Suche nach Fluchtmöglichkeit vor dem lautstarken Ungetüm. Corinne sieht Desi ihr Handy hervorholen und prompt fängt ihr Gerät auf dem Schreibtisch zu klingeln an.

Sie drückt auf den Annahmeknopf, ruft:"Ich komm schon!", legt wieder auf, hastet in den Flur, streift ihre Turnschuhe über und eilt die Treppe hinab.

Im Eilschritt überquert sie den Schlosshof und läuft auf den Stall zu.

Das Baggerungetüm ist nun vor dem linken Paddock zum Stehen gekommen, der laute Motor donnert im Leerlauf und sie muss Hugo von Hülstorff am Ärmel greifen, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, als sie ihn erreicht hat und ihre Stimme das Baggergeräusch nicht übertönen kann:
„Hugo!" Brüllt sie „Was soll das? Hören Sie auf damit, die Pferde sind in heller Panik, die werden gleich durch den Zaun brechen!"


Hugo zuckt unter ihrer Berührung zusammen, er hat sie nicht kommen gehört, das Pärchen, das an seiner Seite steht, wendet sich ihr auch zu, als er zurück brüllt: „Wir reißen die Mauer weg!"Er deutet mit der linken Hand auf die Mauer , an der der Zaun befestigtist, der den Paddock gegen den Parkplatz des Schlosses abgrenzt.


„Sind Sie verrückt?" Corinne spürt, wie ihre Stimme fast überschnappt.„Sie können doch da keine Zäune abreißen wenn die Pferde drin sind? Die laufen dann in kopfloser Panik hier über das Gelände, das wird Verletzte geben. Was wenn sie auf die Straße rennen?" Sie deutet auf das offene Hoftor.

Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt