Ehrlichstett, Frühling 1942

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Eine Woche nach Andres' Abtransport hatte Tara zum ersten Mal versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, beziehungsweise überhaupt erst einmal seinen Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen. Auf der Polizeiwache im Ort waren die Beamten zwar freundlich, hatten aber erstens keine Zeit und zweitens andere Sorgen.

Auf der Polizeiwache der Kreisstadt waren der Beamten zwar weniger freundlich, konnten sie aber auf die für solche Fälle seit einiger Zeit eingerichtete Dienststelle der geheimen Staatspolizei verwiesen.

Also machte sich Tara auf den Weg dorthin, einem ehemaligen GrandHotel, dessen Fenster im Erdgeschoss nun vergittert worden waren und vor dem die Hakenkreuzbanner fröhlich im Frühlingswind flatterten.

Tara betrat die Eingangshalle, wo ihr sofort ein uniformierter Portier entgegenkam: „Kann man Ihnen irgendwie behilflich sein?"

„Hoffentlich" sagte Tara mit fester Stimme: „Mein Name ist Tara von Bohburg und ich bin auf der Suche nach einem unserer Angestellten. Er wurde unschuldig mitgenommen, verhaftet oder verschleppt." Sie straffte die Schultern und reckte das spitze Kinn. Der kleine Hund, der sie immer begleitete, setzte sich neben sie und sah den Portier mit seinen hellen Augen an.


„Unschuldig ist in diesem Hause sicher niemand," antwortete der Portier mit angestrengtem Lächeln. „Haben Sie schon eine schriftliche Eingabe gemacht?"


Tara schüttelt den Kopf.


„Ohne Eingabe keine Auskünfte" sagte der Portier. „Und nehmen sie den Hund raus. Tiere sind hier nicht erlaubt."


Tara wandte sah zu dem Hund hinunter und wandte zum Gehen: „Ich komme morgen wieder. Morgen, übermorgen, den Tag danach. Ich werde jedenTag kommen, bis mir jemand sagt, wo Herr Kranizsic sich befindet, wie es ihm geht und wann er zu seinem Arbeitsplatz zurückkommt."


Und das tat sie dann.


Jeden Tag nahm sie den Zug, dann den Bus und lief, begleitet von den eifrigen Trittchen des Terriers die Straße hinunter, zum ehemaligen GrandHotel marschierte durch die Eingangshalle und trat vor den Portier "Guten Tag, ich hätte gerne etwas über den Aufenthaltsort eines unserer Angestellten gewusst, Herrn Andres Kranizsic"

In den ersten Tage hatte der Portier sich noch unter Aufbringung seiner ganzen verbeamteten Geduldsfähigkeit bemüht zu antworten und von amtlichen Eingaben, behördlichen Anträgen, vorgefertigten Formularen und vorschriftsmäßigen Dienstwegen erzählt und sie darauf hingewiesen, dass Hunde in Behörden verboten seien.

Doch nachdem Tara zwar stets freundlich blieb aber unnachgiebig und ausdauernd an jedem neuen Tage wieder pünktlich dastand und dieselbe Frage stellte, begann seine amtliche Gleichmut zu bröckeln bis sie endgültig in sich zusammenbrach.

Und als Tara an einem weiteren Tage erneut vor ihm stand und "Guten Tag, ich hätte gerne etwas über den Aufenthaltsort eines unserer Angestellten gewusst, Herrn Andres Kranizsic", sagte, griff er zum Hörer des schwarzen Telefons, das hinter ihm an der Wand angebracht war, wählte eine Nummer und murmelte ein paar unverständliche Worte. Einige schweigsame Sekunden lang geschah gar nichts, dann öffnete sich neben dem Telefon eine Tapetentür und ein Mann in einem schlichten Anzug kam heraus. Er schien zu lächeln als er auf Tara zuging, an sie herantrat, ihr mit einer gleichmäßigen Bewegung den Arm auf den Rücken drehte, sie durch die Eingangshalle ins Freie schob und dabei gleichzeitig dem Hund einen gezielten Fußtritt nach draußen versetzte.

Tara spürte den eisernen Griff im Rücken, sie sah den hellblauen Himmel über sich und die fröhlich flatternden Hakenkreuzstandarten. Dann gab es einen Ruck und ihr Arm war so plötzlich frei, dass sie vorwärts stolperte, auf den Boden stürzte und sich vor den Schuhen des Anzugträgers wiederfand. Sie spürte einen scharfen Schmerz auf der Oberlippe. Der kleine Hund saß leise winselnd neben ihr und sah sie mit traurigen Augen an. Sie hob den Kopf und blickte in das Gesicht des Mannes.

„Besser, die junge Dame kommt nicht mehr hierher," er räusperte sich,"sonst könnte es nämlich passieren, dass Sie hier länger zu Gast sind, als Ihnen lieb ist. Haben Sie das verstanden?" Er zog ein schneeweißes Taschentuch aus seiner Brusttasche, entfaltete es sorgfältig und reichte es ihr hinunter: „Wischen Sie sich das Blut aus dem Gesicht. Und dann gehen Sie nach Hause!"

Erst als er wieder im Gebäude verschwunden war, presste Tara sich das Taschentuch vor die schmerzende Lippe. Sofort färbte sich der Stoff mit hellem Blut.

Langsam stand Tara auf. Sie hielt sich an der Wand fest und ordnete ihren Rock. Ihr war schwindelig. Es war Angst in ihr, aber auch Wut, Ohnmacht, Angstwut.

Und plötzlich züngelte ein kleines Flämmchen vor ihr aus den Ritzen der Pflastersteine. Der Terrier sprang mit einem erschrockenen Kläffen zur Seite. Ängstlich sah sie sich um. Bevor sie das Flämmchen mit der Sohle ihres Schuhs austrat.



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