Ehrlichstett August 2016

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In dem Krankenhauszimmer liegen vier alte Männer, es ist eng und die Luft ist drückend. Die Augusthitze drückt durch das halboffene Fenster hinein, die Stadt riecht, sie stinkt und der Geruch verbindet sich mit dem Geruch von Siechtum und Tod, der im Zimmer vorherrscht. Die Betten stehen eng beieinander und Hugo von Hülshoff muss sich erst suchend umsehen, bevor er Renfeld entdeckt dort, im zweiten Bett neben dem Fenster, klein und verloren liegt der einst stattliche Mann unter der dünnen, gelblichen Krankenhausdecke, bis zum Hals zugedeckt die Augen geschlossen. Wie tot, denkt Hülstorff, wie tot.

Er zögert einen Moment. Seine Idee scheint ihm nicht mehr so gut, als er dieses Zimmer sieht, die alten Männer und den Renfeld, den hinfälligen.

Dieser Geruch!

Er will gehen, alles in ihm drängt ihn, zu gehen, umzudrehen und zu gehen. Dieser alte Mann, was kann der helfen? Der alte kranke Mann, braucht er den wirklich? Sein langer knochiger Rücken sackt zusammen. Er selber, schießt es ihm durch den Kopf. Er sieht sich selber dort liegen, er selber ist ein alter Mann, ein kranker alter Mann.


Energisch reißt er sich zusammen. Vertreibt die Gedanken aus seinem Kopf: Nichts da papperlapapp, er wird, er kann er muss, es ist seine Aufgabe, das Schoss zu retten vor diesen Vandalen, das Schloss zu übergeben, er hat das zugesagt und Adel verpflichtet, dann ist Ruhe und Frieden, denkt, er, seine letzte Aufgabe, die letzte Pflicht.

Er strafft sich und schreitet energisch auf das Bett zu.

„"Renfeld, alter Kämpfer," brüllt er dabei enthusiastisch, zuckt fast selber zusammen, beim lauten Klang seiner Stimme. Renfeld reagiert nicht, aber aus einem der andren Betten hebt sich ein Kopf und einer der Alten seht ihn erschrocken an.

Eine Schwester kommt eilig ins Zimmer.

„Mein Herr, ich bitte Sie, das ist ein Krankenhaus, sie können doch hier nicht so rumschreien!"


„Papperlapapp! Ich kann machen, was ich will Und ein bisschen Leben tut diesem Leichenhaus wahrscheinlich ganz gut," will er sie beschwichtigen.


„Mein, Herr ich muss Sie wirklich bitten. Die Patienten in diesem Zimmer sind schwer krank, ich muss Sie doch sehr bitten, Rücksicht zu nehmen!"


Trockener alter Knochen, denkt Hülstorff wütend, legt aber ein unwiderstehliches Lächeln auf und streckt seine Hand aus: "Von Hülstorff." Er deutet eine kleine Verbeugung an: „Es tut mir leid. Ich dachte, ein bisschen Klang in dieser Stille würde die Lebensgeister wecken!"


„Zu wem wollen Sie?" Fragt die Schwester nun streng, der Ton aber schon etwas milder und man seht bereits das Lächeln, dass sich in ihren Augenwinkeln anbahnt.


„Zu Herrn Renfeld!" Hülstorff zwinkert ihr zu.


„Das Bett dort drüben. Aber regen Sie ihn nicht auf, Herr Renfeld wurde hier sehr verwirrt eingeliefert und sein Zustand ist noch sehr gebrechlich!"


„Papperlapapp," erfährt es Hülstorff. „Er muss wieder nach Hause. Wir brauchen ihn dort. Ende der Woche muss er wieder auf dem Gerüst stehen und arbeiten. Ohne ihn geht nichts mehr voran."


Die Schwester sieht ihn etwas befremdlich an:" Herr Renfeld ist SEHR krank. Er wird in seinem Leben nie wieder auf einem Gerüsts stehen."Ihr Ton ist eisig geworden.


„Ja, gute Frau" Hülstorff legt ihr begütigend eine Hand auf die Schulter, lächelt noch einem Mal und wendet sich dann dem Bett von Renfeld zu, „Sie werden schon sehen. Ihre unvergleichliche Pflege wird ihn sicher bald wieder auf die Beine stellen und -„ er senkt die Stimme „ glauben Sie mir, ohne Arbeit kann der Mann gar nicht leben!"


„Das wird er dann aber leider müssen," die Schwester lässt sich nicht mehr besänftigen, auch mit dem charmantesten Lächeln nicht und verlässt nun mit einer abrupten Drehung der Schulter, die Hülstorffs Hand heruntergleiten lässt, das Zimmer.


Hülstorff atmet tief ein und geht auf das Bett zu.

Mit einem Seufzen lässt er sich auf die Bettkante sinken.


„Renfeld!" Er greift nach dem Arm des Kranken und schüttelt ihn,"Renfeld!"


Langsam,flatternd heben sich die zerknitterten Augenlider.

Der Blick ist wässrig und unstet, suchend, dann, wie vor Scheck, starr auf ihn gerichtet. Die blassen Pupillen fixieren ihn, Renfeld reißt die Lider auf und starrt Hülstorff an. Ein Japsen dringt aus seiner Brust.

Hülstorff lächelt: „Renfeld, alter Kollege. Nun machen Sie sich aber auf dieBeine! Wir brauchen Sie im Schloss. Das Schloss kann nicht ohne Sie, das wissen Sie doch!"


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt