Ehrlichstett, April 2015

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Rudolph Renfeld packt die Ratte mit sicherem Griff am Nackenfell, drückt den kleinen Körper auf das Holzbrett und schneidet mit einer einzigen geübten Bewegung den Kopf ab. Durch das Tier, das sich vorher noch wild wand und in die Luft biss, gehen noch mehrere Zuckungen und dann liegt der kopflose Körper still. Er hebt ihn hoch und schneidet mit einer gezielten, geraden Bewegung die Bauchnaht auf und entnimmt mit der Drehung des Handgelenks mit dem Messer die Innereien, die er in einen Eimer unter der Spüle fallen lässt, wo sie platschend aufschlagen.Er enthäutet die Ratte und befestigt den haarlosen Körper am ohnehin haarlosen Schwanz über sich an eine Leine zum Abhängen. Er hat keine Probleme damit, Ratten zuzubereiten und zu verzehren. Warum nicht, in anderen Teilen der Welt werden noch ganz andere Sachengegessen.

Das kleine graue Haus, dessen Bauzustand sich der Besorgniserregung zuneigt, liegt direkt an einem stinkenden brackigen Tümpel, Überest des Tagebaus, durch Grundwasser geflutet und am Ortsende von Ehrlichstett vergessen. Manchmal gibt sich in der schwarzen Brühe ein Wildschwein die Ehre, aber meistens ist das Gebiet Hoheitszone der Ratten. Die Ratten hatten sich zu einem echten Problem ausgewachsen, Renfeld liebt Tiere und er hält mehrere Katzen, aber diese wurden der Plage nicht Herr. Die Ratten drangen ins Haus ein, nahmen an seinem Leben teil und verunreinigten alles. Als ihn eine bei einem Griff in den Hängeschrank in der Küche in den Finger gebissen hatte, beschloss er, Abhilfe zu schaffen. Er besorgte drei Lebendfallen, die er nun jeden Abend, wenn er aus dem Schloss kam, leeren konnte. Hausschlachtung kannte er, er war damit aufgewachsen, dass Hühner, Gänse und Enten geschlachtet wurden, oft auch welche, die sich durch Zufall unter das Messer des Hungrigen gefunden hatten und eigentlich in die freie Wildbahn gehörten. Er hatte angefangen, zu experimentieren, mit den Ratten, die für ihre Größe erstaunlich viel Fleisch am Leibe trugen. Man konnte sie braten und schmoren, ohne Frage mit Gemüse, Wurzeln und Kartoffeln. Er hatte eine Art Frischwurst erfunden, indem er das Fleisch durch den Fleischwolf presste , mit Gewürzen versah und in einer Tonne 24 Stunden im Holzrauch gahrte. Die hatte er oft auf Arbeit dabei, der Graf war regelrecht verrückt danach und fragte ihn regelmäßig nach der Quelle für diese vortreffliche Wurst.

Er könnte mal eine Sülzwurst zubereiten, denkt er. Mit den Ratten, das wäre auch eine Idee. Vielleicht bringt ihn das auf andere Gedanken.

Renfeld nimmt den Eimer mit den Schlachtabfällen und leert ihn vor der Hintertür im Hof aus. Die Katzen warten schon, seine eigenen und einige aus der Nachbarschaft, auch die gezierte Langhaarige von der Nachbarin die Straße weiter oben. Wider Willen muss er grinsen, wenn der alte Knochen wüsste, wo ihre Katzendame zu speisen pflegt.

Renfeld ist mit seinem Problem keinen Deut weiter gekommen. Er spürt, wie die Situation im Schloss sich zuspitzt. Greta hat das angekündigt und genau so kommt es – jetzt kommt der Krieg. Jetzt kommen Unfrieden und Freudlosigkeit, Dunkelheit über Schloss Ehrlichstett.

Unwillkürlich zieht der massige Mann die hängenden Schultern hoch und ringt schwer nach Atem. Er weiß nicht, ob er dazu bereit ist. Er weiß nicht, ob er seinen Dienst am Schloss noch tun kann. Er spürt den Meister und der Meister ist stark.

Noch widersetzt er sich. Er streut Gerüchte, er erzählt dem Grafen Sachen, die ihn auf die falsche Spur locken, er verteilt seine Federn und Steine, um den Leuten Angst zu machen, aber alles führt zu keinem Erfolg und er verliert die Lust daran und den Glauben. Eine komische kleine Melodie hat sich in seinem Kopf festgesetzt und verfolgt ihn, eine Tonfolge aus vier oder fünf Tönen wie ein Choral. Neulich hat er die Künstlerin beim Ausmisten dieselbe Melodie pfeifen hören. Er hat sie entsetzt angestarrt.

Sie waren beim Zerklopfen von Asbest gewesen, im Nebenteil des Stalls, den der Graf den Ponyleuten einfach wieder weggenommen hat, verschließen hat lassen und wo sie nun Asbest zerklopfen, das für einen Entsorgung vorbereitet wurde um der Auflage des Amtes genüge zu tun. Das beanstandete Asbest war vergraben worden, aber der Graf hatte in seinen Garagen noch genügend weiteres Asbest, dass man zerklopfen, in Säcke verpacken und entsorgen konnte. Der Graf hatte dazu Staubmasken verteilt, Renfeld weiß genug, um zu wissen, dass das hier nichts helfen würde. Aber ihm ists egal.

Und da hört er diese Tonfolge, durch die Wand. Die Künstlerin schabt mit der Mistgabelüber den Boden und pfeift und zwitschert. Es ist, als bleibt ihm das Herz stehen. Er hat Angst, Renfeld spürt den kalten Schweiß auf der Stirn. Er hat Angst, echte, kalte Angst. Sie rufen hier etwas los, das niemand mehr kontrollieren kann.

Er hat Angst, aber er kann nicht aufhören. Obwohl er weiß, dass es nicht das Richtige ist, was er tut. Noch nicht das Richtige. Er wird schon noch. Er wird es schon noch machen.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt