Eine Lautsprecheransage dröhnt über in das Großraumabteil. Wieder eine Verspätung. Tamara atmet tief ein.
Jakob steht auf „Ich muss mal kurz..."
Sie sieht ihm hinterher, wie er den Gang hinuntergeht.
Er bleibt über eine Stunde weg.
Sie hört Musik über Kopfhörer, kann sich nicht konzentrieren.
Als Jakob wiederkommt, streift er sie nur kurz mit dem Blick, setzt sich dann wieder ihr gegenüber, stopft seine Jacke in die Ecke und legt den Kopf darauf und schließt die Augen. Soll sie etwas sagen? Schon wieder reden? Worüber? Sie dreht die Lautstärke hoch und sieht aus dem Fenster.
Sie waren mit der Bahn gefahren, an so einem albernen kleinen See gewesen, als ob sie nicht selbst einen vor der Tür hätten. Auch ein Tagebausee, hätte ganz nett werden können. Sie waren Tretboot gefahren und Jakob hatte einen ordentlichen Sonnenbrand auf denSchultern, weil er sein Hemd ausgezogen hatte und sich nicht eincremen lassen wollte.
Endlich fährt der Zug nach der hundertsten Verspätung in den Bahnhof ein.Sie stehen schweigend in der Zugtür und warten schweigend darauf, dass sie sich öffnet. Sie gehen schweigend die Treppen hinauf und schweigend durch die kühlen gekachelten Gänge, durch die Glastür, nach draußen, wo sie brütende Hitze empfängt.
„Tammi?"
Sie bleibt stehen.
Sieht ihn an.
Er sieht sie an. Skeptisch.
„Trennst du dich gerade von mir?" fragt er leise mit so einer Ungläubigkeit, aber auch Hoffnung, fast gruslig.
Jetzt da er es ausgesprochen hat, wird es irgendwie real. Ja, das ist es,was sie tut. Sie trennt sich von ihm
„Jakob..." sagt sie und versucht ihre Stimme stark klingen zu lassen. Leute gehen um sie herum rechts und links, eng und mit mehr Abstand.
„Ich möchte mit dir zusammenbleiben. Du bist die Frau meines Lebens!"
„Mann, Jakob!" Sie kann nicht verhindern, dass sie anfängt, zu weinen. Manche Leute mustern sie nun neugierig.
Sie legt eine Hand auf seinen Arm. Er fühlt sich warm an, sonnenwarm. Sie schmiegt sich an ihn. Sie presst ihre Hände an sein Gesicht.
„Verlass mich nicht, Tammi, bitte, verlass mich nicht!" Seine Stimme hat soetwas Dringendes, es zerreißt ihr das Herz. Er fühlt sich vertraut an. Trotz seiner Größe sieht er plötzlich ganz klein aus und schmächtig und unsicher, sie könnte schreien, weil sie sich ihm so nah fühlt und doch so fern.
„Lass uns weitergehen," flüstert sie.
Sie gehen Seite an Seite die Straße hinunter in die Unterführung zu denStraßenbahnen.
Langsam.
„Und jetzt" fragt er.
„Vielleicht ist es besser, wenn wir uns ein paar Tage nicht sehen."
Jakobs Gesicht verzieht sich. Gleich würde er anfangen zu weinen.
„Gib mir eine Woche," sagt sie, fast bittend, "ich brauche Zeit. Nur ein bisschen Zeit zum Nachdenken."
„Warum?" Fragt er.
„Du weißt doch. Und das Körperliche auch. Es funktioniert einfach nicht. Wir sind einfach nicht auf einer Wellenlänge."
Es ist einfach schwierig, dem eigenen Freund zu sagen, dass er nicht so gut küsst und sie nicht so gut anfasst, wie ein anderer. Sie hat immer gedacht, das kommt dann schon noch. Wenn man sich verliebt, kommt das dann von selbst, wenn man sich gut versteht, sonst. Aber es kommt nicht. Nicht diese Magie, diese Leidenschaft, wie mit Devon. Vielleicht war es von Anfang an da, dieser Zweifel, dieses Nagen, dass es nie etwas wird, dass die fehlende körperliche Übereinstimmung immer zwischen ihnen stehen würde. Und dazu Berlin. Ihre Zweifel, sein mangelndes Vertrauen.
Sie sieht Jakob an und überlegt, ob sie gerade vor den Scherben ihrer hohen Ansprüche, ihrer Träume steht. Sie überlegt, wie einfach es wäre, ihm einfach die Worte vor sie Füße zu spucken: Ich verlasse dich. Ich will nicht mehr. Und ihn damit allein zu lassen.
Jakob sieht sie an:
„Was ist los Tammi?"
„Ich..." fängt sie an. Sie betrachtet die vorbeieilenden Leute, jeder irgendwohin. Jeder mit Ziel und Plan, „ich weiß nicht, ob ich noch in dich verliebt bin."
„Scheiße," sagt Jakob und atmet laut aus, „das ist krass!"Er wendet seinen Blick ab und sieht zu Boden. Für einen Moment hat sie den Eindruck, dass er jetzt weint.
Quietschend fährt ihre Bahn in den Bahnhof ein.
Sie geht dann. Sie geht dann mal. Und fährt nach Hause.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...