Rabena von Hülstorff sitzt vor dem Spiegel der Frisierkommode und blickt sich in die Augen. Den Bluterguss unter dem linken Auge. Zugeschwollen. Ihr Gesicht sieht irgendwie schief aus.
Das Datum für den Prozess ist da, für die Verhandlung. Kam gestern mit der Post vom Anwalt.
Rabena hat die Briefe hereingetragen und auf den Tisch gelegt, eine deutliche Ahnung, als sie den Absender des Anwalts sah. Nun, endlich, das Warten hat ein Ende, war ihr erster Gedanke. Dann, die Angst vor einer Entscheidung. Was würde wohl geschehen, was wenn sie verlören,was wenn...
Hugo ist sich sicher, dass sie gewinnen. Sie soll dabei helfen. Sie ist als Zeugin genannt. Sie soll es bestätigen.
Bestätigen. Dass der Stall ihnen nicht gehört, bestätigen. Dass die Vereinsleute das wussten. Bestätigen. Dass die den Stall einfach besetzt haben. Bestätigen, dass sie bei allen Gesprächen dabei war. Bestätigen. Dass die Vereinsleute Hugo betrogen haben, wissentlich, vorsätzlich, dass sie nur fünf Pferde mitbringen wollten, dass der Verein gar nicht gemeinnützig war. Bestätigen. Aussagen....lügen.
Darauf läuft es hinaus.
Sie soll lügen.
Lügen vor Gericht.
Für die gute Sache.
Männer,wie Hugo tun vor allem eines, noch vor allem anderen und sie tun es unmerklich: Sie rauben einem jedes Selbstvertrauen. Plötzlich hat man nicht mehr die Kraft. Nicht mehr die Kraft zu widersprechen, nicht mehr die Kraft, sich zu wehren, nicht mehr die Kraft zu gehen. Man glaubt nicht mehr an sich. Man glaubt nicht mehr, dass man irgendetwas im Leben allein bewältigen kann. Man hält an seinen Hugos fest, weil diese einen zunächst zerstören und einem danach überzeugend eingeredet haben, dass man ohne sie nicht mehr existieren kann.
Sie fühlt sich stärker, wenn sie in Ehrlichstett ist, wenn sie mit Abel ist.
Sie denkt nicht, dass sie ihr Verhalten verändert hat, aber sie spürt etwas ....mehr Ruhe, Glück?
Hugo kann sie mit seiner Art, seinen Beschimpfungen, seinen Angriffen, seinen Kränkungen nicht mehr bis in die Tiefe ihrer Seele treffen.
Es ist als ob....es plötzlich einen Ausweg gibt.
Irgendwann, vor langen Jahren, in einem anderen Leben, an das sie sich nur schwer erinnern kann, hat sie an die Garanten des beschützten Daseins geglaubt: Recht und Gesetz, Gerechtigkeit, Solidarität. Der Boden unter ihren Füßen schien stabil gewesen zu sein und sie hatte sich in der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen war, sicher gefühlt.
Dann hatte sie gelernt, dass das alles ein Trugschluss war.
Es gibt keine Sicherheit. Es gibt keinen Schutz, keine Gerechtigkeit, keine Solidarität. Es gibt das Recht des Stärkeren, mehr nicht.
Die Welt ist ein Ort des Grauens, nur oberflächlich in der Balance gehalten durch ein dünn gewobenes Netz fadenscheiniger Sicherheitssysteme. Wer durch die Maschen fällt, fällt ins Bodenlose.
Sie sitzt vor dem Spiegel und sieht sich an.
Sich, sich selbst.
Sie denkt an ihre Angst und ihre Möglichkeiten, an Abel, an einen Zufluchtsort, der ihr vertraut geworden ist und an ihre Angst ihn zu verlieren.
Sie weiß nicht, was geschehen wird.
Sie weiß nicht, was sie tun wird.
Nicht bei diesem Prozess und nicht danach.
Nicht, wenn sie verlieren und nicht, wenn sie gewinnen.
Sie weiß es nicht.
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Libertas Haus, das Schloss
ÜbernatürlichesWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...