Hugo von Hülstorff ist unzufrieden. Mehr als das, verzweifelt, fast schon verzweifelt: Das Unterfangen in Ehrlichstett fängt an kompliziert zu werden. Dieser ständige Druck, den Verein loszuwerden. Die nehmen seine Kündigung gar nicht ernst und machen einfach weiter, als ob nichts gewesen wäre. Haben auch noch die Stirn, ihm nette Mails zu schreiben, ihn über allerlei Baumaßnahmen zu informieren, ob wohl er doch Baustopp verordnet hat.
Zwei Anwälte aus der Region hat er angefragt und beide haben abgewunken. Nichts zu machen, so ein Vertrag sei nicht so einfach zu kündigen, das würde schwierig, das würde teuer, sehr teuer, der Vertrag sei auf so lange Zeit angelegt und die Leute hätten bereits investiert, das käme ihn teuer und teuer und teuer und richtige Kündigungsgründe hätte er nicht..
Er spürt, wie sich sein Magen schmerzhaft zusammenzieht. Die Sache fängt an persönlich zu werden. So können die mit ihm nicht umspringen, das geht nicht, er ist der Eigentümer, er hat auch Rechte. Wo kommt man hin, wenn die Mieter plötzlich den Ton angeben und sagen, was gemacht wird?
Und dann dieser unangenehme Vorfall. Er schließt die Augen und presst die Handflächen an die Stirn. Der ganze Stress mit diesen Leuten, er hat schon gar keine Lust mehr nach Ehrlichstett zu fahren. Das zerrt an seinen Nerven. Er muss sich das auch nicht antun, diese Impertinenz von diesen Leuten. Aber, dass er so die Nerven verloren hat!
Er schluckt und spürt seine Magenschmerzen erneut, als er sich daran erinnert. Vergangene Woche war er in Ehrlichstett gewesen. Von der ersten Minute an hat ihn dort alles genervt. Diese Leute laufen da überall herum, obwohl er alle Wege verboten hat und ihnen gesagt hat, sie sollen außen über die Straße gehen. Er verschließt das Tor, aber die Leute quellen einfach herein, wie die Termiten, dauernd ist alles voll und auf Schritt und Tritt fällt man über Kinder und Menschen, die „Nur mal gucken wollen" oder „zu den Ponys" wollen. Und dann morgens früh, er macht sich gerade Frühstück und sieht, sage und schreibe aus seinem Küchenfenster eine ganze Kindertruppe, den Weg amSchloss vorbei zu den Ponys gehen, 20 Kinder ungelogen, ein Lärm und ein Gekreische! Er denkt gar nicht nach, seine Wut beflügelt ihn, er springt aus der Küche, die Treppe hinunter und stellt sich den Kindern in den Weg, blockiert den Durchgang und schreit sie an, sie sollen das Gelände verlassen. Er kann schon brüllen, wenn es sein muss! Zwei von den ersten Kindern fangen gleich an zu heulen und stecken die nächsten an. Da sind Frauen bei den Kindern, die sie gleich in den Arm nehmen und eine Ältere kommt auf ihn zu und entschuldigt sich. Sie wollten bloß das neugeborenen Fohlen ansehen,sie seien der Kindergarten von Ehrlichstett, sie hätten ja nicht gewusst, dass das gesperrt sei und dass man da nicht langdürfe und sie würden sich entschuldigen. Das Unterwürfige und die heulenden Kinder, da tat ihm das Ganze fast schon wieder leid, aber er das musste er jetzt durchziehen, sonst kann er sich gleich zum Affen machen. Er hat die Frau angeherrscht, dass das Privatbesitz sei und sie möge ihre Kinder packen und verschwinden, sonst würde er die Polizei holen. Sie ist rückwärts gegangen, hat die Kinder mit ihrem Rücken abgeschirmt, das Heulen ist verstummt, überhaupt alles ist verstummt und als er an sich heruntersah, hat er gesehen, dass er Flocken von Speichel auf seiner Hemdbrust hatte. Er hat sich so aufgeregt.
„Das ist ein Klapsmann," hört er eines der Kinder flüstern und die anderen das aufnehmen und wiederholen, „ein Klapsmann, ein Klapsmann, ein Klapsmann..." das Tuscheln und Murmeln begleitet den Rückzug der Kinder. Er sieht aus dem Augenwinkel noch die Haalswor heraneilen von oben, vom Ponystall, aber die Kinder sind schon auf dem Rückzug, eilig, flüsternd.
Er dreht sich um und geht die Treppe wieder hinauf, wieder in die Küche, sein Teewasser hat gekocht, die ganze Küche ist voller Dampf. Sein Gang ist sonderbar steif, seine Glieder fühlen sich an, als ob sie nicht zu ihm gehören. Er sieht die Haalswor die Gruppe erreichen, sie erklärt, sie beschwichtigt, sie entschuldigt. Er muss die Worte nicht hören, er sieht die Gesten durch das Fenster. Ein Klapsmann, das ist ein Klapsmann, einer der sich Geifer auf die Brust spuckt, wenn er die Kinder anschreit. Ein Klapsmann.
Es muss etwas geschehen, so kann das nicht weitergehen! Er kann für nichts mehr garantieren. Er kann für sich nicht mehr garantieren. Er hat Angst. Das erste Mal Angst. Angst vor sich selbst, Angst um sich selbst.
Dieser Mensch, der seine Hilfe angeboten hat. Wie hieß der gleich wieder, Brumsa oder so ähnlich, Bromba? Bansayh, Bonsayh. Er braucht ihn, Er braucht einen, wie ihn, der die Drecksarbeit erledigt und sich mit diesen Leuten herumschlägt.
Der wird doch wohl kein Geld wollen? Der macht das für die Ehre, fürs Schloss und die Ehre, oder wer weiß warum. Kann ihm ja egal sein. Er braucht einen, wie den, Old School, das einzige, was hier noch hilft.
Er wird ihn anschreiben, er wird das klar machen.
Er schafft das nicht mehr. Er wird diesen Bonsayh beauftragen und wenn die Haalswor mit ihrem Verein weg, ist, dann schickt er den Bonsayh wieder weg. So einen, wie den wird man immer los. So einer hat so viele Leichen im Keller, der ist leichter loszuwerden, als diese Gutmenschen mit ihren heulenden Kindergartenkindern, ihren Ponys, ihren Fohlen und ihrer heilen Welt.
Hülstorff seufzt tief auf und senkt den Kopf erneut in die Hände.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...