Es ist heiß im Raum. Unerträglich heiß.
Hugo von Hülstorff spürt, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildet. Und das obwohl es sich empfindlich abgekühlt hat draußen und der Kachelofen sich abringt, den großen Raum auch nur ansatzweise zu wärmen. Er schwitzt. Er sitzt am Schreibtisch vor dem PC und denkt nach und schwitzt.
Er sollte eine von diesen Tabletten nehmen, denkt er und fängt an, in der Schreibtischschublade zu kramen. Die kleinen gelben oder eine von den weißen? Rabena ist nicht mit in Ehrlichstett, diesmal, denkt er ärgerlich. Sie weiß immer, wann er welche der Tabletten zu nehmen hat. Hektisch schiebt er sich beide zwischen die trockenen Lippen, die weiße und die gelbe. Er hat Mühe zu schlucken. Er hätte sich ein Glas Wasser holen sollen.
Ärgerlich sieht er wieder auf den Bildschirm des PC. Der Schriftsatz seines Anwalts, Blatter, ein Durcheinander, wie üblich. Klar ist das gut, mit dem Durcheinander ,gut zu wissen, dass im Ende niemand mehr weiß, was es zu wissen gibt, weil es so ein Durcheinander ist.
Er soll sich keine Sorgen machen, hat der mit dem Einstecktuch gesagt und gelächelt. Nach langer Zeit endlich mal wieder gelächelt, der mit dem Einstecktuch, als sie sich in München getroffen haben.
Nein, er macht sich keine Sorgen. Er doch nicht. Hat er noch nie. Kann ihm auch egal sein. Er, er hat schon seine Schäfchen im Trockenen. Da muss so einer, wie der mit dem Einstecktuch und seiner leisen vornehmen, keine-Sorgen-Stimme und dies in Halblaut und mit diesem Lächeln, da muss so einer sich mal keine Sorgen machen.
Aber irgendwie hängt er an diesem alten Kasten.
Irgendwie ist das doch ein bisschen„sein" Schloss geworden, über die Zeit.
Irgendwie.
Und hier muss nun er lächeln, weil es so widersinnig ist, irgendwie hängt er auch an dem Verein. Wäre schade, wenn der weg wäre. Diese naivem Dummköpfe mit ihren Ponys. Und wie gut sie ihre Rolle gespielt haben. Mal eben kurz die Welt retten. Und dabei den Schlosspark aufräumen und den Stall renovieren. Zum Nulltarif.
Nun ja, damit ist jetzt Schuss.
Jetzt rettet hier niemand mehr die Welt.
Außer diesem anstrengenden Bonsayh vielleicht. Jeden Tag nervt der ihn. Der bombardiert ihn mit Fotos, müllt ihm das Postfach zu, obwohl der Empfang hier so schlecht ist und ihm dies fast den Rechner lahmlegt. Und der wird immer eifriger und eifriger, wie ein kleines Hundchen, sabbernd und hechelnd läuft er zu Höchstform auf. Jeden Tag, den Gott erschaffen hat, fotografiert er den Misthaufen des Vereins. Jeden Tag! Und schickt ihm die Fotos. Und sämtlichen Ämtern cc. Die springen vor genervt sein wahrscheinlich inzwischen an die Decke. Kein Mensch weiß, was er damit bezwecken will. Aber was solls. Er fotografiert eben gerne. Leider auch noch immer noch die Kinder. Er hat ihm zurückgeschrieben ,dass er ihm dies nicht schicken soll. Er will da keine Bilder auf seinem Rechner haben von Kindern. Ehrlich nicht. Aber sein eifriges Hundchen schickt und schickt und fotografiert und fotografiert ohne jeden Sinn und Verstand.
Geister, die ich rief, denkt er und steht auf.
Er streckt die langen Glieder und geht ans Fenster.Langsam wirken die Tabletten und sein Kreislauf beruhigt sich.
Draußen dämmert ein trüber Herbstnachmittag vor sich hin. Es ist ruhig.
Angenehm ruhig. Der Zulauf zum Verein versiegt, denkt er. Die Leute bleiben weg. Wenigstens das erreicht der Bonsayh mit seiner Fotografiererei und seinem gebetsmühlenartigen wiederholen irgendwelcher Gemeinheiten und Lügen über den Verein. Wenigstens das.
Das trübe Grau umhüllt den Garten und den beginnenden Park wie eine dunkle Decke und fasst die Welt zusammen auf diesem Ort.
Ja, irgendwie hängt er an dem altemKasten. Denkt er wiederholt. So sehr dass er sich eigentlich nichttrennen möchte, egal, wie das nun ausgeht. Egal ob er übergibt undgehen muss oder ob sie verlieren und er gehen muss.
Ja, ja dieser Verein. Wer hätte das gedacht? Der mit dem Einstecktuch war von Anfang an gegen den Deal mit dem Verein. Der hat die Schwierigkeiten kommen sehen. Aber irgendwie, irgendwie hat es auch Spaß gemacht. Spaß gemacht, den mit dem Einstecktuch aus der Reserve zu locken und Spaß gemacht, sich mit denen zu messen, diesen Gutmenschen, der Haalswor und diesem Schneider. Intelligente Leute. Glücklos, aber intelligent. Leider keinen Plan für den großen Wurf. Leider, leider.
Und diese Mitglieder! Eine Ausdauer! Halten zusammen, erstaunlich! Obwohl es da doch jetzt wirklich nichts mehr zu gewinnen gibt. Aber die glauben noch immer ans Welt retten.
Er grinst.
Gestern hat er mit seinem Renfeld, der auch langsam immer irrer wird und dem Mirko und dem Dieter vom Verein, der immer auf einen Kaffee in die Werkstatt kommt, zusammengesessen. Hat sich so ergeben. Als er angekommen ist, gleich in die Werkstatt nach dem Rechten sehen. Da saßen sie alle. Der Dieter wollte gleich auf und raus aber mit einem Abwinken hat er ihm bedeutet, er soll ruhig sitzen bleiben und seinen Kaffee austrinken.
„Ob einer Lust hat, den alten Kasten abzufackeln?" Hat er so in die Runde gefragt. Sollteein Spaß sein.
Aber die Reaktionen!
Wie im Kino!
Renfeld aschbleich geworden, aufgesprungen und ihn mit offenem Mund angestarrt. Angesabbert. Ist wirklich langsam nicht mehr schön mit dem Verrücken.
Mirko in hysterisches Lachen ausgebrochen, wahrscheinlich wegen Renfeld und Dieter stammelnd und bleich wieso und warum
„500 Euro" hat er nachgelegt und Dieter angesehen. Und dann Mirko.
„500 Euro für denjenigen, der Feuer legt. Unauffällig!"
Es sollte ein verdammter Spaß sein. Und mal gucken, wie die reagieren. Die drei Helden. Renfeld hat dann angefangen zu lallen und zu versuchen, etwas zuäußern, aber ging wohl nicht so recht und dann hat er Laute von sich gegeben, wie ein Tier, man weiß ja nicht. Ob der nicht doch in die Anstalt sollte. Dieter ist dann hin zu ihm und hat ihn beruhigtund auf den Sessel niedergedrückt, bis der endlich Ruhe gegeben hat.
„Ein Spaß" hat er dann zugegeben, „sollte ein Spaß sein." Und dass Renfeld sich beruhigen soll, sonst schnappt er noch über.
Diese Halbidioten! Ehrlich zu nichts zu gebrauchen.
Mit der linken Hand streicht er sich das Haar aus der Stirn. Feucht, aber er schwitzt nicht mehr.
Das ist gut.
Im Gegenteil, die klamme Kälte des Raums.
Die spürt er jetzt. Und fröstelnd wendet er sich vom Fenster ab.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...