Wenn du das Koks durch die Nase ziehst, spürst du binnen Sekunden die stark betäubende Wirkung auf deinen Schleimhäuten in Nase, Mund und Rachen. Das kann sich mitunter sehr unangenehm anfühlen. Doch kurz nach der Einnahme wirst du eine starke Euphorie, Rede- und Tatendrang verspüren. Diese großartige Wirkung hält ungefähr eine halbe Stunde an. Danach klingt sie langsam ab und weicht einer ekelhaften Phase mit starken Depressionen, Schuldgefühlen und einem ekelhaften Körpergefühl.
Man kann dieses unangenehme Runterkommen verzögern, indem man nachlegt. Meistens verlaufen Kokssessions daher auch so, dass man Koks wegzieht, bis irgendwann nichts mehr da ist. Die Angst vorm ekelhaften "runterkommen" kann eine enorm starke Gier nach weiterem Koks zur Folge haben, die dazu führt, dass man die Unterlage oder den Raum, von oder in dem man konsumiert hat, nach Koksresten absucht. Oder versucht, neuen Stoff aufzutreiben, nur um das Runterkommen noch zu verzögern - und das, obwohl man eigentlich genau weiß, dass weiteres Koks kaum noch positive Wirkungen erzielt und man nur noch die Depris ein paar Minuten rauszögern kann.
Dazu die Stumpfschmerzen, die Phantomschmerzen immer noch. Die waren es zuerst, die Rechtsanwalt Mario Blatter zum Kokain greifen ließen. Sie ließen sich lindern dadurch, beruhigen. Er merkt die Phantomschmerzen stark, bei Wetterumschwüngen oder Stress. Weniger, wenn er mitten in der Arbeit ist, da ist er dann ja abgelenkt. Aber Arbeit häuft sich nicht gerade auf seinem Schreibtisch.
Anwalt zu werden war nicht seine erste Wahl gewesen. Nachdem Unfall, der ihn seinen rechten Arm gekostet hatte und bei dem sich so wirklich kein Schuldiger hatte finden lassen, es war eine Menge Alkohol im Spiel gewesen und alles war dann in der Folge schwierig zu rekonstruieren gewesen, aber irgendwie hatte man sich berufen gefühlt, ihn zu unterstützen und ihm dann angeboten, die„Juristische Hochschule" des MfS zu besuchen. Für den Besuch dieser Hochschule konnte man sich nicht bewerben, sondern musste bereits im bewaffneten Dienst stehen und dorthin delegiert werden.Das MfS hatte sich darauf orientiert, leistungsfähige Kader zugewinnen. Zugleich hatte es die eigene Kaderschmiede, die"Juristische Hochschule" in Potsdam, zu einem Instrument ihrer streng geheimen Kaderausbildung entwickelt. Diese "Hochschule"zählte zu den Ideologie-Hochschulen in der DDR, von denen es Dutzende gab. Die SED, die Blockparteien, die Massenorganisationen, die Polizei, das Militärwesen und eben das MfS unterhielten eigene Hochschulen, um politisch einwandfreie Kader fern von den anderen Universitäten ausbilden zu können. Alle "Ideologie-Hochschulen"vergaben Diplom-Titel. Und so war er eben Rechtsanwalt geworden, Diplom-Jurist. Erst lief eigentlich alles ganz gut, aber dann kam die Wende.
Zwar wurde sein Abschluss anerkannt und er durfte wie eine ganze Reihe anderer ehemaliger MfS-Offiziere weiter als Jurist praktizieren. Nach Auflösung des MfS hatte er eine Kanzlei als freier Rechtsanwalt angemeldet. Aber die Marktwirtschaft meinte es nicht gut mit ihm. Nicht nur, dass es sich rumsprach, welcher Art sein Abschluss war, auch hatte er Schwierigkeiten mit dem schriftlichen Ausdruck und der Sprache der Juristen. Es gab nicht eben viele der wenigen Fälle, die ihm übertragen wurden, die er gewann und so wurde sein Ruf nicht eben besser. Zudem gab es auch immer wieder Berichte in der Presse und eine geradezu Verteufelung des MfS und seiner Mitarbeiter, die angeblich zahlreichen Opfer des Systems unternahmen Vorstöße, ihre Peiniger, die in der DDR Recht und Moral mit Füßen getreten hatten, als Sachverwalter des bürgerlichen Rechtsstaates zu entfernen. Nicht dass sein Name hier vermehrt auftauchte, aber seinem Ruf war es auch nicht gerade zuträglich und da er wenig erfolgreiche Fälle vorzuweisen hatte, gaben sich die Klienten bei ihm nicht gerade die Klinke in die Hand.
Genügend Gründe mit dem Schicksal zu hadern, genügend Gründe verbittert zu sein. Er hatte im Dienst seinen Am verloren, war nun behindert und erfuhr von diesem verlogenen neuen System keinerlei Anerkennung und Unterstützung. Selber musste er sehen, wo er blieb, selber für sich sorgen, als hätte er sich das ausgesucht Die Behinderung, das Studium, den Systemwechsel, als hätte er hierfür eine Verantwortung. Nein, aber ausbaden, musste er den Mist. Er alleine, ausbaden und sich damit abfinden.
Am Anfang war alles einfach und das Koks eine willkommene Hilfe. Endlich, sich endlich mal ganz fühlen, endlich mal groß sein und sicher. Wenn Klienten kamen, endlich die Worte finden, die Überzeugung und Kampfesmut und Kraft. Endlich jemand sein, dazugehören und es ist einfach. Dann will man auch mal wieder lachen können. Dann vergisst man das mit dem Lachen und nimmt es jeden Tag. Es wird schwierig dranzukommen, unauffällig zu blieben. Wenn es getreckt ist, kriegt man Durchfall oder es juckt in der Nase. Aber man beklagt sich nicht. Wenn man es nicht nehmen würde, sagt man sich würde man etwas anderes machen, etwas Irres, auf hundert Meter hohen Wellen reiten, aus Hubschraubern springen oder sich den Rechtsradikalen anschließen und sich jede Woche mit Antifas prügeln. Alle brauchen irgendetwas, um sich zu entspannen und sich zurückzuholen, aus Gedanken, aus dem was sich dreht aus Wiederholungen, Hirnschleifen, Erinnerungen.
Koks ist auch der große Beruhiger, der große Gewissenserleichterer. Vielleicht ist man ja gar nicht bei sich selbst, nicht wirklich verantwortlich. Vielleicht wäre manches anders gelaufen, damals, manche Aktion etwas ... milder, langsamer? Koks setzt einen in Zusammenhang mit dem großen Ganzen. Immer noch.
Während er einen Widerspruch, eine Entgegnung in den Computer tippt, hält er sich für einen Geheimagenten, für einen Ritter, einen geheimen Verfechter der Guten Sache, der ins Zentrum der Macht eingeschleust wurde, mit dem Auftrag Ungerechtigkeit zu verhindern und die Schliche der Bösen aufzudecken. Auf der Seite der Guten, der Seite, die allen Mitteln recht gibt, alle Mittel heiligt.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...