Tamara ärgert sich. Ärgert sich über sich selbst.
Sie kann es einfach nicht lassen, darüber nachzudenken, zu zaudern, zu zweifeln. Kylie hat den Zweifel gesät und das ist wie ein bohrendes Gift, das ihre Gedanken nicht verlässt.
Kylie hat ihr Bilder geschickt, üble verschwommene Handybilder von Leuten,Körpern ineinander verschlungen. Lisa deutlich erkennbar und ein Typ. Könnte Jakob sein, könnte aber auch nicht. Man sieht ihn nur von hinten und nicht ganz scharf.
Könnte. Könnte nichtWarum kann sie sich nicht einfach sicher sein? Warum zweifelt sie? Warum kann sie nicht glauben, dass er das nie tun würde, das er sie nie betrügen würde, dass er ihr Vertrauen nie missbrauchen würde?
Das Wissen, der Zweifel, dass jemand, dem sie vertraut, sie betrügt, zerfrisst ihr Inneres wie Säure. Wenn sie ihre Freundschaft zu Jakob abklopft und nach einem Hinweis oder einem Zeichen sucht, das den Zweifel rechtfertigt, findet sie nicht das Geringste.
Aber Kylie hat ihr Beweise gezeigt.
Was wenn das nun stimmt? Was, wenn sie sich irrt? Was wenn sie sich selbst nicht vertrauen kann? Ihrem Gefühl, ihrer Einschätzung?
Die Möglichkeit dieser ungeheuerlichen Fehleinschätzung untergräbt alles, was vorangegangen war. Alles, was sie in ihrem Leben als gegeben und selbstverständlich angesehen hat, löst sich auf. Sie kann ihren eigenen Gedanken nicht trauen.
Und sie kann an nichts anderes denken.
Als immer wieder daran, immer wieder, immer wieder.
Es ist als ob ihre Gedanken Amok laufen, Amok laufen um diesen einen zentralen Punkt.
Alles anderes, das auch irgendwie schrecklich ist, blendet sie aus:
Sie werden nun videoüberwacht. Der Klapsmann hat eine Kamera installieren lassen, am Schloss, die das Gelände überwacht. Alles wird jetzt gefilmt, von ihnen, jeder Schritt. Es ist gruselig aber -so what – sie blendet das aus. Nicht schlimm. Die Zäune? Die Tore, die Schlösser? Der Schlammweg? Die ganzen Verbote, Gebote, Anweisungen. Drohungen, Befehle, so what?
Vielleicht ist es auch eine Flucht, denkt sie. Eine Flucht vor diesem ganzen Irrsinn.Warum muss man so leben? Wie im KZ, wie im Kriegsgebiet?
Kann einen davor niemand schützen?
Der Klapsmann hat mit seinem Auto ein Kind vom Gelände gejagt vor zwei Tagen. Sie denkt darüber nach, aber es erregt keine Gefühle in ihr. Ein kleines behindertes Mädchen. Es ist schreiend vor seinem Auto davongelaufen, er mit heulendem Motor hinterher, das Kind hat sich weinend in den Stall gerettet, gerade noch.
So muss das im Krieg sein, denkt sie, man blendet das alles irgendwann irgendwie aus. Man sieht die Gefahr in der man schwebt, aber man muss sie ausblenden um weiterleben zu können. Um nicht vor lauter Angst den Atem anzuhalten und einfach zu ersticken.
Plötzlich steigt ein Schluchzen ihre Kehle hoch.
Hund, der auf dem Fußende des Bettes liegt, sieht auf. Er hebt seinen struppigen Kopf und steht auf. Er tappt mit seinen kleinen Pfötchen über die Bettdecke und legt sich auf Tammis Schoß zurecht. Ihre Hand gleitet über ihn, versucht sein Fell glattzustreichen, aber das ist vergebene Liebesmüh, es ist einfach zu borstig. Sie streichelt und streichelt und sie weint. Haltlos, lautlos fließen die Tränen ihr Gesicht herunter und beflecken das struppige schwarze Fell des Tieres.
Sie kann nicht aufhören.
Zu streicheln und zu weinen.
Es scheint das Ende der Welt, das Ende von allem.
Nur Hund, Hund und sie. Und das ganze Grauen.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...