Es ist wie im Krieg, denkt Corinne. So in etwa stellt sie sich den Krieg vor. Sie laufen über den Hof und haben Angst, den Briefkasten zu öffnen, sie betrachten jeden Besucher voll Misstrauen, hat er eine Aktentasche dabei oder ein Klemmbrett, ist dies ein unangekündigter Ämterbesuch? Sie öffnen ihre Mailpostfächer mit unguten Gefühlen und bei unbekannten Nummern auf dem Telefon, hat Corinne Lust, sich verleugnen:
Der Prozess um den Brunnen und die Wasserversorgung, vom Grafen in Berufung wieder aufgelegt, als bald ein Gerichtstermin auf den sie sich vorbereiten müssen.
Eine polizeiliche Vorladung und Strafanzeige gegen Gerhard wegen Entziehung elektrischer Energie, Stromklau. Völlig absurd! Corinne durchsucht ihren Rechner, sie ärgert sich über ihre schlechte Archivierung von Mails, aber sie findet es: Eine Bestätigung des Klapsmannes, dass der Strom bezahlt wurde. Hilft ihnen aber erstmal nichts, auch wenn die Anzeige eingestellt wird, der Klapsmann kappt die Stromleitung zum Stall und sie stehen im Dunkeln. Die Wasserpumpe geht nicht mehr. Gerhard besorgt in Windeseile einen Generator, um wenigstens die Wasserversorgung sicherzustellen. Aber der Strom bleibt tot und der Stall dunkel.
Dann die Klage – lang erwartet: Sie sollen bis Jahresende das Gelände räumen.
Die Gründe: Sie klauen Strom, sie klauen Wasser.
Sie verwüsten alles und machen alles kaputt, sie zerstören den Wald, sie benutzen Wege, die ihnen verboten sind, und, zu guter letzt,Corinne hat den armen Grafen belogen und betrogen von Anfang an und wollte nichts, als sein Schloss klauen.
Es wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Nach der Klage, sofort das Veterinäramt: Wie, der Pachtvertrag ist gekündigt? Wo wollen Sie denn nun die Tiere hintun? Nein, das geht gar nicht! Da müsste man die Betriebserlaubnis entziehen.
Und Frau Kohl vom Umweltamt, auch die beteiligt sich an dem fröhlichen Reigen: Der Mist, nun ja, der gebe natürlich Anlass die Betriebserlaubnis zu entziehen. Hier wird eine Strafe ausgesprochen von mehreren tausend Euro. Warum? Na, der Mist ist nicht richtig gelagert. Wie richtig wäre? Keine Ahnung. Man soll in die Gesetze gucken, da stehe alles. Man habe aber doch jetzt Leander Oberberg sei dank, den Container und wie man denn den Mist noch sicherer lagern solle? Wäre dem Amt egal, der Mist sei zu 99 Prozent richtig gelagert, aber das fehlende Prozent, das mache es aus. Na ja, Pechgehabt.
Unddann ein Neuankömmling: das Wasseramt. Ein unangekündigter Besuch. Es habe eine Anzeige gegeben. Dass aus dem Mist der Dung der Pferdein den Schlossteich sickere und dort das Wasser vergifte. Wie, der Pferdemist sei von der Sache her eher trocken und in einem dichten Container gelagert? Und wie, Bauschutt im Schlossteich? Nein davon habe man keine Kenntnis, das sei doch beräumt. Na, man würde jetzt den Mit mal fotografieren und sich mit dem Umweltamt beraten, aber man müsse damit rechnen, dass das so alles nicht gehe.
Nächster Neuankömmling: das Bauamt. Es läge eine Anzeige vor. Man sei gekündigt worden und habe keine Genehmigung eingeholt, den Ponystall zu bauen. Und wie, man habe eine Mistplatte gebaut? Ohne Genehmigung, nein, die könne nicht erteilt werden. Wie, das Umweltamt habe das vorgegeben? Nun ja, man dürfe das nun leider nicht nutzen. Und wo denn überhaupt die Zufahrt zum Gelände sein? Wie, gesperrt vom Eigentümer? Ja schade, dann dürfe man eigentlich gar nichts nutzen, dumm gelaufen.
Wo sie hinsehen, was sie anfassen, alles verschränkt sich ineinander, eines bedingt das nächste und am Ende steht die traurige Erkenntnis, dass sie eigentlich gar nichts dürfen. Da sind Schreiben des Ordnungsamtes dass sie nicht im gepachteten aber nun ja gekündigten Schlosswald reiten dürfen, nicht die Straßen von Ehrlichstett benutzen dürfen und auch den Strand nicht, eigentlich fast schon Witzerscheinungen am Rande.
Sie sitzen zusammen, Tag und Nacht. Anwalt Zimmermann verbringt seine Zeit auf dem Schlossgelände und schreibt und schreibt und widerlegt und mahnt an und klopft ab. Der Anwalt erweist sich als Goldstück, nicht nur mit seinem Engagement, sondern auch mit seiner Klarsicht und seiner nüchternen Analyse.
„Da versucht, jemand Sie zu entwohnen. Nein, das ist nicht besonders legal und erfreulich sicher auch nicht. Aber es zeigt auch zwei interessante Dinge: Erstens, man sieht wohl in der Klage wenig Chancen, denn sonst könnte man ja in aller Ruhe abwarten. Und: Irgendwas stimmt hier nicht. Irgendwas ist hier sonderbar. Recherchieren Sie mal! Sehen Sie mal hinter die Kulissen. Wer macht was warum? Fragen Sie mal nach. Und, lassen Sie sich nicht irre machen!" Leichter gesagt, als getan. „Wir müssen uns darauf konzentriere, die Räumungsklage zu widerlegen, dann ergibt sich alles andere daraus. Bleiben Sie dran! Und halten Sie durch!"
Der Blick aus Zimmermanns klaren, wasserblauen Augen zum ersten Mal teilnahmsvoll und mitfühlend.
Ja, das ist grauenhaft, was sie durchmachen. Corinne, Gerhard und Doreen sind gejagt und getrieben, von den Ereignissen. Sie reagieren, sie analysieren, sie schreiben, sie rennen zu Ämtern, sie jagen Fristen hinterher, Abgabeterminen, die Ereignisse treiben sie vor sich her. Desi und Dieter müssen den Hof alleine schultern, sie erweisen sich als unschätzbar wertvolle Hilfe, denn auch eine neue Gefahr naht:
Zu allem Übel macht Mandy anscheinend Stimmung unter den Einstellern.Sie kolportiert halbe Wahrheiten über die Klage, irgendjemand setztGerüchte in die Welt, die Vereinsmitglieder müssten für alle Schäden haften, es kämen Tausende von Euro Zahlungen auf alle zu und die Einstellerpferde würden von heute auf morgen evakuiert werden oder vom Gerichtsvollzieher sichergestellt werden, weil Corinne kein Geld hätte, oder zu viel Geld hätte, oder Geld unterschlagen hätte, oder, oder, oder....
Gerhard und Corinne führen Gespräche mit Mandy, bitten sie, die Wogen zuglätten. Mandy mahnt an sie müssten sich selbst um die Mitglieder kümmern, man brauche eine Mitgliederversammlung, um alles aufzuklären, die Leute hätten Angst, dass alles schief gehen. Auch Desi und Dieter mahnen. Sie müssen die schlechte Stimmung aushalten, die Angst. Plötzlich misstraut jeder jedem. Und es kursieren komische Mails, mit noch übleren Anschuldigungen gegen Corinne.
Aber sie haben keine Zeit, sie finden keine Zeit für diese Dinge.Corinne, Gerhard und Zimmermann sind beschäftigt, den Verein zu retten.
Der Verein, dass sind auch die Mitglieder. Die müssen ihnen den Rücken freihalten.
Das muss gehen. Für den Moment.
DU LIEST GERADE
Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...