Ehrlichstett, 1856

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Von den Tagen in E... ließe sich nun Mancherlei erzählen.
Wie oft wir späterhin in jenem dunklen Walde waren, im Schlosse lebten, was die gewaltigen Mauern erzählen, der Blick von oben herab - ein tiefsinnig Gedicht webt sich davon zusammen, und wollte ich nun verrathen, was ich im Abendschatten an dem Burgfenster sahe, wiedrauf im Traume die Gestalt des jugendlichen Meisters auf dem Rosse mir erschien, was sie mir entdeckte, wie sie, zu ewigem Jammer verdammt, noch umherirrt, die Grabplatte durch den gierigen Pfaffen zerbrochen, die ewige, christliche Ruhe gestört, sein verwildert Gemüth zu sänftigen, wollte ich das mit Farben, wie nur die Geisterwelt sie hat, hier malen - ich würde Bände füllen und das Unerhörte nicht wiedergeben, wie ich es empfing. Stehn mag es hier gleichwohl, daß eines Abends, an welchem die glänzende Gegenwart ein schattiges Dunkel auf die alte Mauern warf, das Schloss in wunderliche Rauchnebel hüllte, daß ich dem Meister damals in Angesicht sahe. Er saß auf seinem Rosse, dem umwogenen Schwarzen. Ein Pilgermantel hing ihm über die Schultern, etwas, wie eine Mönchskutte bedeckte Haar und Kopf, nichts als die brennenden Augen waren kenntlich. Gab schon diese eine Nacht zu solchen Spukereien Anlaß, so öffnete folgenden Tages die Erleuchtung des ganzen Thales allen luftigen Wassergeistern von selbst den Zugang. Denn, so geht die Mär, wenn man einen Zauberer finde, den Nachfahren des Meistern und dieser den Riss schließe, dann würde Frieden sein und die Seele des Gepeinigten zur Ruhe finden. Und wie sich der berauscht Umherwandelnde suchend und spähend, umherwendet, zurückwendet, den dunkeln Gang durch die finsteren Baumgestalten suchend, begleitet stets vom rauen Krächzen der gefiederten schwarzen Wächter, da blitzt silbern zwischen überhangenden Baumzweigen, ein Feuer herüber. An dem Feuer sitzt ein ehrbares Bauernpaar; dunkle Baumriesen lassen die Gestalten nur dämmernd unterscheiden, wunderlich nehmen sich die knorrigen Stämme in abenteuerlicher Verschlingung und Verkürzung hinter ihnen aus. Wie schwarz und ungeheuer die Gestalten im Gegenschein der Flamme erscheinen!Tatsächlich glitzerten bläuliche Lichter! Der Luftzug des Feuers rauscht in den Tannen, weiße Rauchwolken kreisen hinauf. Hier die Mährchenwelt in's Leben tretend, und über dem allen die ewigen Sterne in einzelnen grüßenden Blitzen. Hier muss es sein. Hier muss es sein, der Ort des vergessenen Grabes, des Rabensteins und der ewig in Sehnsucht suchenden, hehren Gestalt.
Ehe ich von E... scheide muß ich noch einmal die außerordenthlichen Geschehnisse in einen festen Blick zusammenfassen. Es ist dem Unkundigen nicht immer leicht, sich in eine ganz fremde Art und Weise sogleich zu finden. Wenig durch Neigung und Lebensbeziehungen auf den Geist der Neuzeit gerichtet, vermag ich hier das Alte und Vergessene als Lebendig und Vorhanden begreifen! Mir kommt alles hier vor, wie eine Reise in eine Zeit vor der Vergangenheit, in magischen schwelgend, dem Unglaublichen sich anvertrauend. Empfindet man nun hier Angst vor den Alten Geistern, die sich selbst dem Fremden zeigen? Oder lebt man damit wie mit den Zyklen der Natur, dem ewigen Gedeihen und Vergehen? Werden hier die Guten ihrer Belohnung, die Schlechten ihrer Strafe zugeführt, dies in einem alten vorchristlichen Sinne, aus einer Zeit in der die Geister und Nymphen die Gesetze der Natur austrugen?

Wenn auch mit poetisch übersteigerter Untermalung, ist doch dieser Reisebericht das wichtigste Zeitzeugnis des 19th Jahrhunderts, im Bezug auf unseren Ort und die Legende des Meisters von Ehrlichstett.
Im krassen Gegensatz zur magisch-verklärten Legende, der Gestalt des Meisters und dem Rabenstein sowie dem uralten, in der Natur festgeschriebenen Gleichzeitigkeitsbegriff, scheint der frühe industrielle Aufschwung und die beginnende Neuzeit das dichtende Paar zu befremden, ja sogar Zukunftsängste geweckt zuhaben.


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