Ehrlichstett, Mai 2015

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Kylie und Tamara liegen auf Tammis Bett und unterhalten sich leise. Vor ihnen der Laptop über den tonlose Bilder flimmern. Dunkle Wolken wälzen sich über den Dächern von Schloss Ehrlichstett, der frühe Abend ist grau und düster, die Temperaturen sind umgeschlagen und die warmen Frühlingstagen sind kühl und feucht geworden.

Das Ponyfest hat stattgefunden. Es war schwierig gewesen,aber es war auch ein überwältigender Erfolg geworden. Der Graf hatte, wie angekündigt das Haupttor abgeriegelt und dort Aushänge mit wüsten Drohungen vonStrafanzeigen und schlimmerem angebracht. Vereinsmitgleiter hatten sich am Eingang postiert und die Besucher dort empfangen und durch den schmalen Fußgängerzuweg hineingeführt und den Weg nach hinten auf das Festgelände beschrieben. Und die Leute waren gekommen. Unerwartete Mengen, Leute, viele Leute in Strömen! Es war großartig, eine Sympathiekundgebung, jubelten Corinne und Gerhard.

Alle waren gerannt und hatten gearbeitet, wie die Verrückten, die Leute mit Essen und Getränken zu versorgen, die Ponys zum Ponyreiten bereitzustellen und das schlimme verbotene Feuer in Gang zu halten, damit dort Stockbrot zubereitet werden konnte. Kylie war auch den ganzen Abend dagewesenund eine unschätzbare Hilfe. Tammi freute sich, Kylie war eine echte Unterstützerin ihrer Sache und hatte sich als ein treuer Freund erwiesen.

Nun waren sie erschöpft undund hatten sich einen Chill-Tag auf dem Bett verdient.

Tammi summt schläfrig eine kleine Melodie vor sich hin, während sie zusieht, wie Kylie auf dem Bildschirm mit kleinen Quadraten versucht bunte Bälle abzuschießen, was ihr jedoch nicht so recht gelingen will.

„Mann, hör doch mal auf mit dem Gesumme, das macht mich ganz irre! Was ist das überhaupt für ein Lied, das singst du schon seit Tagen vor dich hin," Kylies Stimme ist ärgerlich, wahrscheinlich weil sie das Spiel nicht so richtig unter Kontrolle bekommt.

„Keine Ahnung, irgendein Ohrwurm. Ich versuche es nicht mehr zu singen, wenn es dich nervt. Mann, ich bin so kaputt. Das war echt eine Bambule auf dem Ponyfest," murmelt Tammi schläfrig in Gedanken an die vielen, vielen Leute, die so unverhofft gekommen waren. „Meine Mutter war völlig überrascht und die Vereinsleute auch, aber es ist toll, dass die Menschen hier uns so unterstützen, auch wenns dann echt stressig war, als alle auf einmal essen wollten und Ponyreiten."

„Ja," stimmt Kylie zu, „das war überraschend. Wenn man denkt, was da so im Internet steht, die ganzen üblen Gerüchte. Ist schon ein Wunder, dass da noch jemand kommt. Und die Zeitung ist ja auch nicht gerade auf Eurer Seite."


„Stimmt, das ist blöd. Das hat meine Mutter und Gerhard auch geärgert, dass da keinergekommen ist, von der Zeitung. Wenn der Graf einen Pups lässt, dann kommen sie alle und singen vor Begeisterung, aber unser Riesenfest wird einfach ignoriert."

„Ist vielleicht wegen der Internetgruppe. Hast du da mal reingeguckt?" Kylie tippt auf derTastatur und ein Fenster poppt auf. Es zeigt eine alte Darstellung von Schloss Ehrlichstett.

„Nö, interessiert uns eigentlich nicht." Tammi gähnt." sind doch bloß ein paar Spinner, die dort irgendeinen Mist von sich geben. Liest doch ohnehin keiner."


„Weiß ich nicht," Kylie schüttelt den Kopf, „keine Ahnung, ob das wirklich keiner liest. Denke da sind inzwischen schon eine ganze Menge Leute drin, die da auch mitschreiben und ziemlich viele lesen das mit. Auch der Bürgermeister und solche Leute. Und da steht echt übles Zeug drin über deine Mutter."


„Ach, Kylie, hör doch auf, Das ist bloß Internet. Das ist nicht das wirkliche Leben. Da kann jeder seinen Mist von sich geben und lügen was das Zeug hält, das interessiert keinen, glaub mir. Da machst du dir umsonst Sorgen."


„Na wenn du meinst," Kylie lehnt sich wieder zurück,"Hast ja wahrscheinlich recht. Die ganzen Leute, die gestern da waren haben es offensichtlich nicht gelesen. Sonst wären sie nicht gekommen. Da steht dass deine Mutterhier Kinder missbraucht, sie foltert und auszieht und dann Bilder davon malt und dass sie bereits deshalb verurteilt wurde und trotzdem weitermacht und dass die Leute doch endlich mal aufwachen sollen und sehen sollen, was hier abgeht."

„Kylie!! Das ist doch nicht wahr!" Tammi sieht die Freundin verblüfft an, „ das sind doch echte Verleumdungen, das können die doch nicht schreiben!"


„Siehst du jetzt interessiert es dich doch. Da, sieh dir das an, da steht es und die Leute kommentieren das und lassen sich darüber aus!"
Tamara hat sich aufgerichtet und fängt an die Texte und Kommentare unter dem Bild zu lesen. Sie runzelt die Stirn.

„Das ist doch nicht wahr oder, die sind doch völlig irre! Dieser Hass, das ist doch krank! Das sind doch Leute, die meine Mutter überhaupt nicht kennen und die schreiben hier, als ob sie hier ein und ausgehen und täglich mit ihr umgehen. Gruselig! Das ist echt krank! Die hassen sie, obwohl sie sie gar nicht kennen!"
Unbewusst greift sie in ihren Ausschnitt und dreht gedankenverloren den kleinen Ring in den Fingern, den sie an einem Bändchen um den Hals trägt.

„Sag ich doch, dass das schlimm ist," antwortet Kylie „und sieh, hier steht, dass ihr eine Sekte seid, schau! Und die hier, die das hier kommentiert, das ist eine Polizeibeamtin, die kennt man in der Gegend. Und wenn die hier mitschreibt, dann hat man das Gefühl, dass das alles stimmt und deine Mutter wirklich eine verurteilte Verbrecherin ist."

Tammi beugt sich vor und liest: „Mann, die spinnt. Das klingt so, als ob sie meine Mutter persönlich kennt. Hier lies mal! Das ist ja echt der Hammer, die spinnen doch wirklich alle!"

Erschöpft lehnt sie sich zurück: „Da hast recht, das ist übel. Aber wenn ich das meiner Mutter zeige, weiß ich schon, was sie macht. Gar nichts." Sie seufzt" Sie nimmt das nicht ernst, das garantiere ich dir. Sie denkt das sind nur ein paar Spinner und dass das keiner liest. Und dass ihre Kunst eben polarisiert und dass sie damit leben muss, als Künstlerin."


„Echt, so cool ist die drauf? Kann ich mir nicht vorstellen. Also ich wollte nicht, dass man über mich schriebt, dass ich Verbrechen begehe und so Zeug!" Kylie sieht Tammi zweifelnd an.

„Ach, keine Ahnung, du kennst doch meine Mutter!"


Kylie reißt plötzlich die Augen auf und starrt Tammi an. Dann nimmt sie ihre Hand und schiebt sie von dem kleinen Amulett weg, das Tammi um den Hals trägt.

„Meine Scheiße, was ist denn mit deinem Kupferring passiert? Der sieht ja übel aus!"

„Weiß schon," Tammi beugt kleinlaut den Kopf nach unten als versuche sie, den Ring mit dem Kinn zu verbergen. „Weiß nicht, wie das gekommen ist, ich muss mal Greta fragen, wie das sein kann."

Der kleine Kupferring, das Amulett, das Greta ihr gegeben hatte, hat sich schwarz verfärbt. Die goldene Kupferfarbe ist verschwunden und der Ring hat sich mit einem dumpfen glanzlosen Schwarzton überzogen und hängt nun düster und schwer in Tammis Halsbeuge.

„Vielleicht ist das oxidiert, oder so, hat sich verfärbt durch die Sonne oder das Seewasser oder was weiß ich," versucht sich Tammi an einer Erklärung. „Ich habe in Chemie nicht so aufgepasst, keine Ahnung, ob Kupfer sich verfärbt und wenn ja unter welchen Bedingungen. Aber ich weiß, sieht übel aus."

„Mann," Kylie zieht die Hand zurück, als hätte sich sich verbrannt, „das sieht echt übel aus. Ich würde ihn abnehmen. Das sieht doch scheiße aus, so."

Tammi zuckt die Schultern.„Weiß nicht, ich rede erst mal mit Greta. Und vielleicht geht die Verfärbung ja auch wieder zurück."



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