Ehrlichstett, August 2015

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„Puh!" Ausschnaufend lässt Corinne sich auf den Gartenstuhl gegenüber vonDoreen fallen. Zusammen mit Doreen, ihrer unstillbar guten Laune und ihrem verschmitzten Lächeln war eine riesige dickwandige Kaffeetasse im Gartenhaus des Vereins eingezogen, die Doreen beinahe ohne Pause mit Kaffee füllte und leertrank.

DieseTasse steht nun auch wieder vor ihr und Doreen sieht Corinne über deren Rad erwartungsvoll an.


„Schriftsteller sind Nestbeschmutzer. Literatur ist Verrat. Ich wüsste keinen anderen Grund, Bücher zu schreiben, als um zu petzen. Ich war zufällig Zeuge einer Reihe von Ereignissen und kenne außerdem einen Verleger, der durchgeknallt genug ist, das zu veröffentlichen. Anfangs habe ich nicht viel erwartet. Ich befand mich im Inneren einer Maschine, die alles zermalmte, was ihr in die Quere kam und ich habe nie behauptet, ungeschoren davonzukommen. Ich wollte unbedingt wissen, wer die Macht hatte, die Welt zu verändern, bis zum Tag, an dem mir klar wurde, dass vielleicht ich es war."


„Häh?"

Doreen sieht Corinne zweifelnd an.


„Ist nicht von mir," lacht Corinne, „habe ich gelesen und geklaut. Aber passt gut. Genauso fühle ich mich. Und – es ist schwierig. Den ganzen Kram zu sortieren, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Erst habe ich begonnen, über all das hier zu schreiben, aber irgendwie macht das keinen Sinn ohne die Geschichte in Grömlitz und die keinen ohne die Geschichte von Liberta und so weiter und so weiter. Ehe ich mit dem Ganzen fertig bin, schreibe ich noch eine Geschichte der Menschheit. Ist noch Kaffee da?" Fragt sie übergangslos.


Doreen schüttelt bedauernd den Kopf. „Nö, habe den Rest hier drin."Sie deutete auf das Kaffeetassenmonster vor sich.


„Nicht so schlimm. Kaffee wird ohnehin überschätzt." Corinne steht auf und geht summend in die Küche. Dieses kleine Lied, das ihr nicht aus dem Kopf geht. Sie hat es auch schon von Tammi gehört und von Desi. Allen schwirrt es im Kopf rum. Als sie mit einem Glas Saft aus der Küche zurückkommt, summt sie es noch immer und als sie sich setzt, fällt Doreen zu ihrer Überraschung in ihr Summen mit ein.

„Kennst du das Lied" fragt sie. „Ist son Ohrwurm, den wir alle schon seit Wochen haben."


„Klar; das kennt doch jeder," nickt Doreen. Sie summt die Tonfolge weiter. „Es heißt „Marahs Lied" Es ist eine Art Volkslied, aus einer alten Geschichte. Die handelt von einer Frau, die wilde Pferde zähmen konnte. Mit diesem Lied angeblich. Ist eine ganz alte Geschichte, so wie die Merseburger Zaubersprüche, die können ja auch angeblich Pferde heilen. Und dieses Lied kann eben Pferde zähmen. Passt irgendwie nach hier. Ich habe es schon ewig nicht gehört."


„Klingt gut. Und Marahs Geschichte haben wir schon recherchiert. Tammi ist darauf gestoßen, weil auch Schloss Ehrlichstett darin vorkommt. Alte Pferdeschichten, das liebe ich."

Sie lehnt sich zurück und trinkt einen Schluck Saft.


„Oh neee! Nicht die schon wieder!" Die Schlossseite entlang kommt eine blonde Frau. Doreen verzieht das Gesicht.


„Mandy?"Fragt Corinne.


Doreen steht auf und streckt sich. Sie nimmt ihre Riesentasse und wendet sich zum Haus. „Ich muss dann los. Wir sehen uns morgen, da komme ich wieder."


„Mensch Doreen!" Leiser Vorwurf klingt in Corinnes Stimme.

„Ja,ich weiß, ich sollte es ignorieren, aber manchmal nervt es eben. Und heute will ich dann eben lieber los." Doreen lächelt entschuldigend und geht ins Haus. Kurz darauf kommt sie mit ihrem Rucksack wieder raus, winkt schnell und geht den hinteren Weg hinauf, außer Sichtweite.

Kurz darauf ist Mandy angekommen und setzt sich auf den frei gewordenen Stuhl. Sie schüttelt die leicht verschwitzen blonden Locken aus der Stirn, und reibt sich mit der Hand darüber.


„Mann, so eine Hitze. Ist sie jetzt wegen mir gegangen?" Sie wirft Doreen einen finsteren Blick nach.


Es ist schon komisch, denkt Corinne. Beide Frauen sind derselbe Typ, blond, zart gebaut, eigentlich freundlich und fröhlich, aber sie können sich auf den Tod nicht ausstehen. Ausgegangen war das von Mandy, die plötzlich eine wenig nachvollziehbare Eifersucht entwickelt hat, weil sie der Meinung war, Gerhard würde sich Doreen zu viel, zu häufig, zu interessiert zuwenden.

Klar, Doreen hatte alle in ihren Bann gezogen und irgendwie hatten alle darauf gewartet, ja, eine Galionsfigur, wie Doreen, mit ihrem Optimismus und ihrer guten Laune, irgendwie war das gerade zur rechten Zeit gekommen. Aber sie konnte nicht feststellen, dass sich Gerhard über das Maß hinaus für Doreen interessierte. Mandy hingegen überwachte die beiden mit Argusaugen und was sie sah gefiel ihr nicht, gar nicht.


„Ich weiß nicht. Ich mag die nicht. Die nutzt uns doch nur aus. Die hat nichts mehr zu melden, nach der kräht kein Hahn mehr und jetzt nutzt sie unsere Nicki um wieder zu Ruhm zu kommen. Und neben bei ist sie scharf auf unsere Männer."


„Na, da hab ich ja Glück, dass ich keinen habe," ergänzt Corinne spöttisch:" Mandy, du übertreibst. Sie interessiert sich wirklich für das Projekt und unsere Arbeit. Außerdem will sie Samira kaufen. Sie will ernsthaft das Reiten anfangen und an unser Projekt mitarbeiten."


„Ja,ja, wer es glaubt. Die hat doch gar kein Geld, ein Pferd zu kaufen. Die hat doch seit Jahren nichts mehr gedreht oder Konzerte gegeben, oder so. Wie will die sich denn ein Pferd leisten?" Ärgerliche Falten zeigen sich auf Mandys hübschem Gesicht.


„Keine Ahnung, ich überprüfe nicht den Kontostand der Leute, wenn sie hier an den Hof kommen. Aber wenn sie Samira will und sie bezahlen kann, dann kriegt sie sie."


„Na ja," mit einer ärgerlichen Bewegung steht Mandy auf. „meine Meinung kennst du. Die macht nur Ärger wirst du schon sehen. Sei lieber nicht so leichtgläubig mit der!"

Mit wütenden Bewegungen stiefelt sie ins Haus. Kurz darauf hört man sie in der Küche kramen.


Langsam steht Corinne auf. Das ist gar nicht gut, denkt sie. Untereinander sollten wir uns wirklich nicht streiten. Das kann nicht hilfreich sein, in einer solchen Situation. Sie muss mit Gerhard darüber reden. Vielleicht weiß er Rat. Auf jeden Fall sollte er mit Mandy reden. Das wäre wichtig. So ein Zickenkrieg hier, das geht nicht, denkt sie, als sie langsam nach vorne zum Stall geht.

Das geht gar nicht.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt