Ehrlichstett, 837

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Ehrlichstett, das damalsGiwari Wih hieß, was nichts anderes bedeutet, als „das Dorf derEhrsamen", 837

Ehrlichstett, also, das Dorf der Ehrsamen war im Jahre 837, als der Vorfahr unseres Herrn mit dem Einstecktuch, es endlich geschafft hatte, auf dem seinem Vaterverliehenen Lehen, eine mehr schlechte, als rechte Burg zu erbauen.Der Vater war ein Schreibkundiger und schlauer Mann, der stets zur rechten Zeit das rechte Wort in Munde zu führen wusste und trot zaller Intrigen, war er nicht bereit gewesen, den Hof in der Domstadt zu verlassen und dem wilden Wald am Saaleland das zugesprochene Lehen abzukämpfen und dort einen Stammsitz für die Familie derer mit dem Einstecktuch zu schaffen.

Der junge Lehnsherr, der sollte es richten. Der Junge also, brach auf zu dem versprochenen Weiler, kein großartiges Lehen, aber immerhin, eines, endlich, eigener Besitz, eigenes Hab und Gut und Leibeigene. Für die der Hoffahrt, die Kundigen und Gelehrten, die Diplomaten, würde man heute sagen, war es nicht so einfach, wie für Kriegshelden und Ritter ein Lehen zu erwerben. Die Familie dessen mit dem Einstecktuch, war nicht imstande gewesen, die teure Ausstattung und Ausbildung eines Ritters zu finanzieren, allein, ein geeignetes Pferd verschlang ein Vermögen, kostete damals, so viel, wie heute ein veritabeles Eigenheim – in einer guten Gegend.

Junior also zog los ins Saalehinterland, mit kleinem Geldbeutel und geringer Lust und fand in Giwari Wih drei Gehöfte vor, die nun seine waren, so glaubte er zumindest und einen perfekten Flecken, um direkt dabei eine Burg zu bauen, im modischen Wasserburgstil sollte es sein, ein Wassergraben außenrum, auch wenn man an sich nicht wehrhaft war, so wollte man doch einen solchen Eindruck erzeugen.

Die Bauern von Giwari Wih trugen es mit Fassung, drei Familien, von den ständigen Scharmützeln und Kriegen, von Räubern und Dieben relativ unbelästigt, denn das Dorf lag wirklich in einer vergessenen Ecke der Welt in finsteren Wäldern, wo kaum eine lebende Seele je einen Fuß hinsetzte.

Die drei Familien ware nuntereinander verwandt, man teilte alles, das Vieh und die Geräte, Wagen und alles weitere. Die Vergessenheit des Winkels hatte dazu geführt, dass die christlichen Gebräuche sich noch nicht recht durchgesetzt hatten und dass noch den alten Göttern geopfert und gehuldigt wurde. Der Höhepunkt des Jahres war allerdings das christliche Osterfest, dieses wurde jedoch in einem wenig christliche Sinne vollzogen, nämlich nicht mit der obligaten Fahrt in die Domstadt zur Messe, sondern mit Gebräuchen, die älter waren als die Menschheit und die viel mit Anbetung von Fruchtbarkeit zu tun hatten, so dass üblicherweise im Herbst, kurz vor dem Weihnachtsfest allerlei allerchristlichste Kinderleinchen zur Welt kamen.

In diese Idylle platzt nun unser Schriftgelehrter, und nicht genug, einen weiteren gibt es, der den Zuzug des Lehnsherrn mit Argwohn beäugt. Es gibt nämlich einen Ritter in der Gegend, doch bei Hofe sah man ihn selten, oder nie, vielleicht.

Neben der von unserem frischgebackenen Lehnherrn neu gebauten Burica, im unteren Teil des Dorfes das zur Zeit unserer Geschichte Schloss Ehrlichstett geworden war, gab es nämlich ein weiteres herrschaftliches Bauwerk, eine wahrhafte und wehrhafte Kastella im oberen Teil. Diese wurde bewohnt von einem Herrn, der zwar selten da war und mit den Bauern kein Befassen hatte, hier auch eher kein Lehen besaß und oder erstrebte, aber von der neuen Nachbarschaft dennoch deutlich wenig begeistert war. Ein Herr, der die Ruhe und Abgeschiedenheit der Wälder liebte und danach strebte, eben diese an seinem Wohnsitz zu erhalten. Von dieser Seite ergingen also mehrere Angriffsversuche und Scharmützel gegen den neuen Lehnsherrn, nachdem klar wurde, dass dieser vorhatte zu bleiben und nicht nur die Bauern einmal jährlich zu schröpfen und wieder nach der Domstand zu verschwinden. Unser Einstecktuch-Vorfahr war sich seiner exponierten Lage schmerzlich bewusst, des Waffenwerks nicht kundig, die Kommunikationsverbindungen der damaligen Zeit eher beschränkt, so dass mit Hilfe von außen auch nicht rechnen war, die wahrscheinlich ohnehin mangels Finanzkraft bei guten und aufrichtenden Worten geblieben wäre. Es war guter Rat teuer, zumal zwei Dinge dazu kamen: Die Bauern ließen sich zum Dreschflegelschwingen im Dienste des Lehnsherrn nicht mobilisieren und – unser Vorfahr ging auf Freiersfüßen. Vater hatte endlich die Zusage für eine lange angestrebte Verbindung, das entscheidende Treppchen aufwärts erhalten, aber zuvor musste ein ansprechender, vor allem ruhiger Wohnsitz für die Dame her, sonst wird es nichts, mit dem sozialen Aufstieg.

Unser Vorfahr grübelte und grübelte hin und her und als wieder einmal eine Horde von „oben" seine neu errichteten Burgmauern mit Stangen und Beilen völlig zerstört hatten, üble Gesellen, voller Haare, langen Bärten und ohne Zähne, aber mit harten kräftigen Händen und kleinen böswilligen Augen, die dann siegreich abgezogen waren. Als das letzte Grölen der Unholde im Wald verklungen war, wurden die Gebete des Jungen vor dem in der Eile auf einer Kiste errichteten Hausaltar so dringlich, dass die Götter, die alten, oder die neuen, wer weiß das schon wirklich, ein Einsehen hatten und eine Lösung schickten.

Die Lösung war ungewöhnlich.

Des nächsten Tages war ein Mädchen auf einem der Bauernhöfe erschienen, struppiges rotes Haar, barfuß und mit schmutzigem Gewand, dass mit Gesten und Blicken um Arbeit nachgesucht hatte. Da „marah" das einzige Wort war, was sie sprach, gab man ihr Arbeit im Pferdestall und auch gleich diesen Namen. „Marah", also „Stute" hatte ein goldenes Händchen mit den groben dunklen Bauernpferden, die Tag für Tag unermüdlich ihren Dienst vor dem Wagen und vor dem Pflug verrichteten. Sie baute sich ein Bett im Stall, weigerte sich, die Häuser der Bauern oder die Burg zu betreten, legte sich eine Koie im Heu an und sie sprach kein Wort, summte nur immer eine sonderbare kleine Melodie vor sich hin, die die Pferde zu beruhigen schien. Marah war ein sonderbares Mädchen, eine junge Frau. Hätte man den Dreck abgeschrubbt und die Haare gekämmt, hatte man feine, fast adlige Gesichtszüge erkannt, große grüne Augen in einem weißen zarten Gesicht, so ganz anders, als die dunklen und grobknochigen, seit Menschengedenken mit dem Boden verwachsenen Bauern der Gegend.

Marah war im Herbst gekommen und beinahe zur selben Zeit hatte der Lehnsherr eine große braune Stute auf dem Pferdemarkt der Domstadt erstehen können, bester, schwerer Bauernschlag, ein gesundes kräftiges Tier. Marah und diese Stute, die man nun auch Marah nannte, besonders einfallsreich war man damals mit der Namensgebung wohl nicht, gingen eine tiefe Bindung ein und selten sah man das große Pferd ohne die junge Frau, der Gesang ihrer einfältigen Melodie kündigte die beiden schon von weitem an .Als es April wurde, rundete sich der Bauch der Stute zur großen Freude des Lehnsherrn, hatte er doch einen guten Kauf getan, war das Pferd wohl tragend. Wie um den Göttern der Fruchtbarkeit zu huldigen rundete sich auch Marahs Bauch und in einer stürmischen, kalten Nacht Ende April brachten Frau und Pferd ihre Söhne zur Welt.



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