Ehrlichstett, September 2016

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Gibt es einen passenderen Ort für einen Sündenfall, als ausgerechnet ein Traumschloss, in dem Ehegelübde gesprochen werden, rosa Wolken in traumhafte Zweisamkeit hinübergleiten und im wonnigen Mai jedes Wochenende geheiratet wird? Rabena wird sich der Ironie erst bewusst, als sie Abel die steinernen Stufen hinaufführt, die Treppenwindung entlang, zur Hochzeitssuite.


Hugo war für über Nacht nach Berlin gefahren, plötzlich, ein wichtiges Gespräch, so kurz vor dem Prozess, das noch mal alles ändern kann, sagt er euphorisch.

Sie hatte sich entscheiden in Ehrlichstett zu bleiben. War ihm recht, er braucht sie dort nicht und je weniger sie weiß, desto besser, sagt er und grinst, für ihre Aussage, ihre Zeugenaussage. Er tätschelt ihre Wange, steigt ins ein Auto und braust vom Hof. Rumpelt mal wieder über die Gehwegkante, dass es kracht. Hugo ist enthusiastisch, begeistert, aufgeregt.


Abel war pünktlich.

Sie empfing ihn am unteren Tor.

Noch im Torbogen war er bei ihr. Und zog sie in seine Arme. Sie lehnte sich an ihn und schmiegte ihre Wange an seine Brust und ihr Herz schlug so schnell, wie seines. Er liebkoste ihr Gesicht mit seinen Händen, küsste ihren Mund, ihren Hals.

Schließlich ergreift sie seine Hand, schließt das Tor und führte ihn mit zitternden Knien zum Treppenaufgang. Sie gehen langsam die Stiegen hinauf, ihre Hände verschränkt. Sie betreten den Raum, die Luft riecht muffig und staubig aber das ist egal. Stumm entledigen sie sich ihrer Kleider, sie schlingt ihre Arme um seinen Hals und küsst ihn. Er erwidert ihren schüchternen Kuss voller Leidenschaft.

Auf das was dann geschieht ist sie nicht vorbereitet. Es gibt keine Verstellung. Er ist so aufgeregt wie sie. Sie lieben sich, ohne den Blick von den Augen des anderen abzuwenden, auf einmal ganz eins, ein einziger Körper, ein einziges Gefühl. Tränen strömen ihr über das Gesicht, als der Boden zu wanken scheint, als eine Welle des Glücks über ihnen zusammenbricht. Sie streichelt sein Gesicht, sein feuchtes Haar, stammelt immer wieder seinen Namen, er küsst sie, wie ein Ertrinkender. Seine Küsse schmecken salzig und im schwachen Licht der untergehenden Sonne erkennt sie, dass er ebenfalls weint.


Später liegen sie dicht aneinandergeschmiegt und sehen sich an, atemlos, unfähig zu sprechen.

Ihr Glück wird nur von dem Gedanken getrübt, dass sie für den Rest ihres Lebens nach diesem Gefühl hungern wird.

Sie kann in diesem Augenblick tief in sein Inneres sehen und was sie sieht sind ihre eigenen Empfindungen: Sehnsucht und Verwirrung aber auch Verzweiflung und schlechtes Gewissen. Sie haben ein Spiel mit dem Feuer begonnen, das verheerende Folgen haben konnte.


"Ich habe noch nie..." seine Stimme ist rau."...noch nie so etwas wundervolles getan."


„...und so etwas Verbotenes," ergänzt sie.


„Ja," er stößt einen Seufzer aus, „auch das nicht!"


Sie dreht sich auf die Seite und sieht ihn an. Betrachtet ohne Scheu seinen nackten Körper. Er ist ein wirklich schöner Mann mit langen schlanken Gliedern und festen Muskeln. Unwillkürlich zieht sie Vergleiche zu Hugo und in der selben Sekunde wird ihr bewusst, wie schlecht sie ist. Sie hat den Mann aus bloßer Sehnsucht nach dem Gefühl geliebt und begehrt zu werden, zum Ehebruch verführt. In ihrem eigenen Haus. Im Haus ihre Mannes! Dieser Gedanke erschüttert sie schlagartig.


„Du musst gehen!" sie befreit sich abrupt aus seiner Umarmung.


„Rabena!"Seine Stimme ist traurig und zärtlich.


„Bitte," unterbricht sie ihn schnell. „Sag nichts, bitte, wir hätten das nicht tun dürfen! Nicht hier"


Euphorie und Leidenschaft sind verflogen was übrig ist, ist das schlechte Gewissen.

Schweigend ziehen sie sich an.

Langsam geht er. Langsam verlässt er den Raum. In der Tür dreht er sich um und sieht sie an. Es ist traurig und schön. Es ist hoffnungslos. Schweigend geht er. Seine Schritte verhallen im Treppenhaus. Sie streicht das Bettlaken glatt, die Decken, schüttelt die Kissen auf. Das letzte Licht des Tages erstirbt in dem dunklen Raum.

Noch nie hat sie sich so einsam, so elend und schuldig gefühlt.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt