Ehrlichstett, September 2015

3 0 0
                                    


Die Zeit und der Ruhm waren an Leander Oberberg immer gerade so vorbeigeschrammt.

Zu DDR Zeiten Dissident und Bürgerrechtler im Kreise der ganz Großen legte er seinen Job als Ingenieur nieder und engagierte sich für die Durchsetzung von Freiheit und Solidarität im totalitären Staate.

Konsequenterweise wurde er ausgewiesen ins andere, benachbarte Deutschland, wo er aber nicht die Geschicklichkeit, Geschäftstüchtigkeit und Medientauglichkeit von Gleichgesinnten bewies und für einige Jahre ein unbeachtetes aber finanziell erfolgreiches Dasein als Versicherungsvertreter fristete. Die Wende überraschte ihn ebenso, wie alle andern und verwundert zog er zurück in seine alte Heimat, verbrachte eigene Zeit im Kreise der alten Mitkämpfer und betrachtete ebenso verwundert und erstaunt die Geschicklichkeit, mit der diese sich das neue System zu eigen machten und hier Posten und Ruhm erwarben und dabei Vermeidungsmechanismen an den Tag legten, die ihm, dem altgedienten Utopisten und seinem Glauben an der Realisieren einer bessere Welt fremd waren.

Die turbulenten Zeiten und die Geschichte trieb ihn schließlich zurück an seinen Geburtsort Ehrlichstett, wo er seine alten Nachbarn und Freunde ebenso und immer noch verwundert dabei beobachtete, wie sie sich immer neuere und größere Autos kauften, ihre Häuser mit Anstrich und neuen Dächern ausstatteten in teilweise erstaunlichen Farben, dann aber dort selten zu finden waren sondern die Welt via Kreditkarte und Pauschalurlaube eroberten.

Zufriedenheit konnte er hier wenig entdecken und die Glücksverheißungen der schönen neuen Welt erschienen ihm schal und hohl, wenn er ehemaligen Freunden und Genossen dabei zusah, die sich nun erbittert über den Gartenzaun hinweg bekriegten, weil man da oder dort zu nah zu weit oder zu eng geparkt hatte oder die Hecke nicht genügend zurückgeschnitten war.

Der alte Idealist und Weltverbesserer in Leander versuchte verzweifelt sich gegen all das Schöne, Neue zu stemmen und investierte sein gesamtes, mit dem erfolgreichen Verkauf von Versicherungspolicen erworbenes Vermögen in den Ankauf einer maroden Immobilie, eines alten Krankenhauses in dem er nun Wohnstatt und Heimat bot, für all diejenigen, die verwirrt durch die schöne neue Welt taumelten: Obdachlose, Drogenabhängige, Straßenkids, Alkoholiker und andere Sinnesverwirrte, die das neue System ausgespuckt und vergessen hatte.

Da er den Staatsdienern und Gehilfen des neuen System ebenso misstraut, wie dem Anhäufen von Geld und Vermögen, gelingt es ihm nur schlecht, bis gar nicht, die Mittel und Möglichkeiten von Förderungen und Unterstützung auszuschöpfen oder gar anzuzapfen, die der neue Staat bereit ist, auszuschütten, wenn man ihm den Gefallen tut, die Vergessenen des Systems verschwinden zu lassen. Er schafft es gerade einen Verein zu gründen, den HILFE e.V. - „Wir können und wollen helfen" und eine Steuerbefreiung zu erlangen. Das Obdachlosenheim betreibt er mit Spenden und den Erlösen aus kleinen Aufträgen von hausmeisterlichen Diensten, Aufräumarbeiten, die mitleidige Privatleute oder andere Vereine den willigen aber wenig stetigen Obdachlosen überlassen. Für jeden, der es schafft, wieder in Lohn und Brot und eine eigene Wohnung zu kommen, kommt eine Kerbe über den Türstock der Eingangstüre und eine selbstgemalte Plakette an die Wand. Leander kennt sie alle mit Namen, all die 50 Personen, denen er wieder zu Leben verholfen hat und er strahlt, bei jedem Namen, den er ausspricht und freut sich.


Nun sitzt er gerade unserm Freund Harald Bonsayh gegenüber, der versucht, ihn für einen Auftrag zu gewinnen:
„Also viel Geld ist da nicht zu holen, aber der Job ist lohnend, ehrlich. Das ist die gute Sache. Leander, da seid ihr doch für. Dieser Verein muss aus der Stadt vertrieben werden, das ist doch klar. Der Graf hat all sein Geld investiert, um das Schloss zu retten und wieder schön zu machen, damit Ehrlichstett wieder stolz sein kann auf sein Schloss und nun kommen die Vandalen und machen alles kaputt. Das geht nicht! Das müssen wir verhindern, wir die Bürger von Ehrlichstett. Und du und deine Leute, ihr könnt da helfen. Das ist eure Chance!"

Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt