Ohne Titel Teil49

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Ehrlichstett, September 2015


Sie waren am See gewesen. Hin und her gerissen, zwischen Baden und Nichtbaden. Kylie quietscht und quiekt, nein, unter keinen Umständen geht sie in die eiskalte Brühe, aber Tammi steckt immerhin die Zehen ins Wasser und spielt gedankenverloren darin herum.


Sie will Ablenkung. Einfach mal an etwas anders denken. Es ist mal wieder nicht zum Aushalten zu Hause. Dass der Klapsmann die blonde jungeFrau verprügeln wollte, das hat sie alle geschockt. Wer weiß, was geschehen wäre, hätte sie nicht „die Wand" gemacht.

Sie hat Kylie davon erzählt und die hat nur gelacht und gelacht.„Wie geil, wie genial! Da wäre ich gerne dabei gewesen, wie der Klapsi da an der Wand rumzappelt und die Frau nicht mehr kloppen kann."

Tamara hat es aufgegeben. Kylie sieht den Sinn nicht dahinter, den Sinn darin und auch den Sinn ihrer Angst und ihrer Furcht. Dass der Klapsmann so völlig die Kontrolle verliert ist eine Sache. Dann noch die Zeitungsartikel, die den Verein nicht zu Wort kommen lassen und ihm keine Möglichkeit geben, Stellung zu nehmen.

Dieser Bonsayh und seine Bürgerinitiative, die Hexenjagd.

Das macht ihr Angst.

Es macht ihr Angst, dass sie in einer Stadt lebt, wo einer zu einer Hexenjagd aufrufen darf, ohne dass ein Aufschrei durch die Leute geht. Es macht ihr Angst, dass die Hexenjagd auf sie ist, auf sie, ihre Mutter, die Vereinsmitglieder und die geliebten Pferde.

Sie tun nichts Böses, im Gegenteil.

Sie sieht die anderen immer nur arbeiten und sich abschuften, damit alles läuft und die Kinder zum Reiten kommen können. Damit die Kinder glücklich sind. Alle Kinder, auch die deren Eltern nicht so das Geld haben ihnen das Reiten zu ermöglichen. Auch die, deren Eltern ga rnicht wissen wollen, was ihre Kinder so machen und die das nicht interessiert und die vielleicht sogar vergessen haben, dass sie Kinder haben.

Hexenjagd auf einen Verein, der die elementaren Regeln des Dorflebens nicht verstanden hat. Der Versuch, Kylie zu erklären, dass das für sie wie Nazissprüche klingt ist zwecklos. Kylie interessiert sich nicht für Geschichte und Vertreibung, Verfemung und Verfolgung sind keineThemengebiete, für die man sie gewinnen kann. Sie denkt an Partys, Jungs und daran wie man sich aus dem Heim rausstehlen kann, um etwas zu erleben. Oder wie man etwas reinschmuggeln kann, um etwas zu erleben.

Wie verschieden unsere Leben sind, denkt Tamara und ertappt sich dabei, wie sie an Jakob denkt. Jakob würde das verstehen.

Jakob würde sie verstehen und er würde sie beschützen. Er wäre da und würde sie beschützen, gegen diese Macht, diese unheimliche Macht aus einer vergangenen Zeit, von der sie dachte, dass sie in den Seiten des Geschichtsbuches schläft. Tief und traumlos schläft. Aber was für ein Irrtum, und wie schutzlos sind sie diesem Bösen preisgegeben.

Ein Schauder überzieht sie, der vielleicht auch von dem kalten Wasser kommt, in das sie noch immer die Füße steckt. Sie rutscht ein Stück zurück und zieht die Füße unter sich.


„Ich glaub, ich geht jetzt," murmelt sie hablaut und sieht Kylie an.

Die spielt mit dem Handy rum und sieht jetzt auf:
„Lara hat geschrieben. Die wollen heute abend alle zusammen los, nach Halle, Kai kommt, er hat das Auto, er kriegt fünf Leute rein, hast du Lust mitzukommen?"


„Weiß nicht. Was wollt ihr denn machen?"


„Keine Ahnung, mal sehen. Auf der Peisse abhängen und dann mal sehen. Musik hören."

Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt