Bling, das Handy gibt ein kurzes Geräusch von sich. Gähnend dreht Tamara sich auf den Bauch, greift neben sich nach dem Gerät, entsperrt den Bildschirm und liest die Nachricht:
- Komm mal runter. Schnell!
„Oh Mann," sie gähnt.Es ist mitten in der Nacht. Irgendwie zwei oder drei oder so. Sie ist auf dem Bett eingeschlafen. Sie hat noch im Stream eine Serie angeguckt und ist dann eingeschlafen. Der Computer flackert milchig und unbeachtet vor sich hin, ist vom Bett gerutscht und liegt nun aufgeklappt davor. Hund liegt als struppiges schwarzes Bündel am Fußende des Bettes und schnauft leise. Das Leuchten des Bildschirm staucht den Raum in dämmriges Zwielicht.
Warum? schreibt sie und gähnt wieder.
Überraschung, flackert es sofort zurück.
Langsam steht sie auf und geht ans Fenster. Suchend sieht sie in die mondlose Nacht. Finstere Schwärze, doch da, im Torbogen vor dem Stall, ein Licht.
„Oh, Mann," flucht sie leise, als sie ihre Schuhe sucht. Geht sie da jetzt wirklich runter? Augenscheinlich. Was er wohl will, mitten in der Nacht? Sie ist genervt, aber auch neugierig.
Langsam geht sie zur Zimmertür. Hund ist nun auch aufgewacht und will mit. Energisch schiebt sie ihn mit dem Fuß zurück und schließt die Türvor seiner kleinen schwarzen Nase. Sie verharrt noch eine Minute und hört dann seine kleinen Krallen zum Bett zurücktappen.
Sie geht den Flur hinunter. Aus der Wohnung, den Turm hinab und über den Hof auf den blassenbläulichen Lichtschein im Torbogen zu.Ein überwältigender süsslicher Geruch empfängt sie.
Ein Blumenstrauß, ein riesiger Blumenstrauß, Chrysanthemen, Rosen, Nelken, eine überwältige Farbenpracht, die selbst im Grau der dunklen Nacht schillert und leuchtet.
„Bist du betrunken?" Sie ist verblüfft. Verwirrt und verblüfft.
„Gute Frage!"
Er kommt zu ihr, kommt dicht an sie heran, so dass sich nur noch der riesige Blumenstrauß zwischen ihnen befindet.
„Jetzt entspannt sich mal Tammi," flüstert er und sein leicht belustigterTonfall lässt sie ganz weich werden.
Diese zwei Sekunden in denen sie sich jetzt gegenüberstehen, ihre Körper so nah beieinander, dass man den Atem des Anderen hört und spürt. Diese zwei Sekunden, in denen die Spannung sich bis ins Unerträgliche verdichtet, diese zwei Sekunden in denen der Moment etwas in ihr in Bewegung bringt, in denen sein Gesicht das schönste der Welt ist und sein Körper begehrenswert, wie normalerweise nur unbekannte Körper begehrenswert sein können.
Jakob lässt den Blumenstrauß fallen. Sie spürt seine Hände auf ihrem Gesicht. Jakobs Hände in ihrem Haar, Jakobs Hände in ihrem Nacken. Sie hört endgültig auf zu atmen. Was machen wir hier? denkt sie. Was passiert mit mir? denkt sie.
Das ist doch nur Jakob, denkt sie. Dann hört sie auf zu denken, weil Jakob seine Lippen an ihre presst.
Jakob hat feste weiche Lippen. Feste Hände, die sie heranziehen. Sie lässt sich auffangen, presst sich an seine Brust, presst sich in seinen Griff, der sich nur gelegentlich lockert, um ihr sanft über die Wange zu streichen. Er küsst sie nicht grandioser als sonst, das Küssen ist ein recht gewöhnliches Küssen, aber in diesem Moment macht das nichts. In diesem Moment hat er begriffen, wie er sie nehmen muss und vor Glück wird ihr ganz schwindlig. Wenn es Momente, wie diese geben kann, was soll dann falsch sein, an ihrer Beziehung? Hier ist der Mann, in den sie verliebt ist und er küsst sie im Torbogen des Stalls und jeder, der auf der Straße vorbeifährt kann sie wahrscheinlich sehen und sehen, wie sie sich an ihn klammert, als würde sie sonst ertrinken, sehen, wie er sie hochhebt, an die raue Stallwand lehnt, ihr das T-Shirt hochschiebt.
„Moment Jakob!"
„Was?"sein Atem geht schnell, er sieht sie an.
„Das geht nicht!"
„Was geht nicht?"
Ihr T-Shirt ist so weit hochgeschoben, dass sie am Bauch zu frieren beginnt.
„Das kann doch jeder sehen!"
„Scheißegal!"
„Nein, irgendwie.....Sorry."
Jakob weicht stöhnend zurück.
„Ok,lass uns reingehen," er deutet auf den Stall. Er greift nach ihrer Hand, schnell und zieht sie mit sich. Sie eilen die Stallgasse hinunter, hastig, in die letzte Box. Die Pferde sind auf der Koppel, die Box ist leer. Eingestreut mit sauberem Stroh und leer.
„Besser?"fragt Jakob, als er wieder vor ihr steht. Sie kann die Ungeduld in seinen Augen sehen.
„Besser," sagt sie und schlingt die Arme um seinen Hals. „Viel besser!"
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...