Sie sitzen zusammen, am Kachelofen.
Sie frieren.
Draußen entfaltet sich ein warmer, leuchtender April, aber die feuchten Wände des Schlosses halten die Kälte bis in den Sommer hinein und lassen einen frösteln und frieren. Nur ein Trost, dass die Haalswor, die hier wohnt, sicher noch mehr frieren muss, denkt von Hülstorff, kann sie doch nicht regelmäßig nach München, in eine zentralgeheizte Wohnung.
Er betrachtet zweifelnd das schweigende Häuflein, das sich um seinen Kachelofen versammelt hat. Da ist Cindy, die allzeit Bereite, allzeit bereit sich und ihrem Schmilewski eine Chance auf den Reitbetrieb im Schloss zu erträumen. Daneben der Bonsayh, die gedrungene Gestalt zusammengesunken, starrt er versonnen auf den Boden, daneben und an seiner Seite, seine Rabena, immer und nur noch schweigend, wenn sie in Ehrlichstett sind.
So mutlos, seine schlagkräftige Truppe, warum? Sie kommen diesem Verein nicht bei. Es geht nicht mit rechten Dingen zu, aber sie kriegen die nicht klein. Kaum glaubhaft und irgendwie verzweifelnd.
Durch die geschlossenen Fenster klingen Kinderstimmen und stören die grübelnde Ruhe, die über der Gruppe liegt.
Hülstorff springt auf, Rabena zuckt, so plötzlich rauscht er an ihr vorbei und springt ans Fenster. Mit einer unwilligen Bewegung zieht er die schweren Vorhänge zu, als wolle er das Kinderlachen ausschließen, versetzt aber damit auch den Raum in schummriges Halbdunkel.
„Was ist hier los?" Fragt er mit spröder, fast körperloser Stimme.
Die Augen seiner Zuhörer müssen sich erst an das Halbdunkel gewöhnen, der Effekt ist fast unheimlich: „Bonsayh" fährt er fort, mit derselben hohlen Stimme: „Warum gibt es diesen Verein hier noch?"
Er lässt dem Angesprochenen keine Möglichkeit zur Antwort sondern spricht sofort weiter. Dabei geht er mit schlurfendem Schritt vor dem verhängten Fenster auf und ab: „Sie haben allerhand Wünsche an mich, Sie wollen mein Schloss umsonst für Ihre Hochzeit, sie wollen das ganze Gelände und hier feiern und dafür nichts zahlen, sie wollen in die Stiftung, die ich gründen möchte, sie wollen als Dank für Ihre Leistung Vollmitglied werden, Vorstand vielleicht noch."
Auf und ab, auf und ab, schlurf, schlurf, schlurf.
Und plötzlich, laut:
"UND WAS SEHE ICH?"
„ALS GEGENLEISTUNG?"
Leiser, fast flüsternd: "Nicht, nichts, nichts."
Alle sind zusammengezuckt und haben die Blicke gesenkt. Jeder kann das nächste Ziel seines Wutanfalls sein Cindy, Rabena.„Aber ich habe..." fängt Bonsayh fast winselnd an , den Blick noch immer zu Boden.
„JA?"
Der Graf steht nun direkt vor ihm, seine Nähe raubt Bonsayh die Luft zum Atmen, er sinkt noch mehr in sich zusammen:
"Ichhabe doch alles gemacht, „flüstert er," hunderte von Anzeigenhabe ich geschrieben. Alle Ämter, selbst die Lebensmittelhygiene unddas Bauamt, alle sind hier gewesen. Ich beobachte diesenScheißverein Tag und Nacht, ich fotografiere alles, ich denke mir tausendStraftaten aus, die die begangen haben könnten, ich bombardiere dieÄmter mit Anzeigen, die können den Namen HEILE WELT schon nichtmehr hören! Ich veröffentliche alles im Internet! Dann dieBürgerinitiative, erledigt. Der Waldfrevel, Wald für die Pferdegesperrt, erledigt, Strand für die Pferde gesperrt, erledigt.Zaunbau, keiner kommt mehr durch, erledigt. Brunnen gesperrt, erledigt. Strom gesperrt, erledigt. Alternative Wege gesperrt, erledigt. Mistentsorgung verhindert, erledigt. Flächen gekündigt, erledigt. Und Sie in allem unterstützt! Erledigt." Er siehtlangsam und fragend auf, sucht den Blick des Grafen.
„Ja," sagt dieser leise, sehr leise" Und warum ist dann dieser Verein noch da?"
„Ja,"erklingt nun auch Cindys schrille Stimme," Bonsayh, warum? Wir sitzen in den Startlöchern, der Schmilewski und ich. Zu deiner Familienfeier sollten schon unsere Pferde hier laufen. Ich kann die nicht ewig reservieren, wir müssen auch planen. Also, wie?"
„Ich weiß es nicht," sagt Bonsayh leise, „ich kann es nicht sagen. Die Schmilzer, die war von Anfang an auf unserer Seite, die hat die ausgehorcht, alle Interna berichtet, die ich dann im Netz ausschlachten konnte und dazu alle Einsteller zum Kündigen gebracht. Die müssten eigentlich platt sein, finanziell platt. Eigentlich! Aber dieser Blog, die Haalswor, die wühlt in meinem Privatleben. Ich kann das nicht dulden. Das geht nicht. Das schadet meiner Reputation, ich kann das nicht dulden. Da müssen wir etwas tun"
Cindy sieht ihn neugierig an. Ihre Augen leuchten vor Interesse, vor Sensationsgier. Sie öffnet schon den Mund, um etwas zu sagen, aber von Hülstorff kommt ihr zuvor:
„Ach," Von Hülstorff beugt sich vor uns sieht Bonsayh ins Gesicht, nah, ins Gesicht. "Da müssen wir etwas tun. Oder? Die Initiative zur Rettung des Schlosses, oder? Muss da etwas tun?"
„Träumen Sie, Bonsayh, träumen Sie? Rettung des Schlosses, verstehen Sie das? Das hat hier Priorität."
„Und nicht ihr mickriges Privatleben!"„Da müssen Sie schon selber für sorgen, dass da Ordnung herrscht!"
„Und vergessen Sie die Haalswor. Die schießt sich selber um die Ecke mit ihren Kunstverboten und Prozessen. Die wird schon bald Geschichte sein, diese Pseudo-Künstlerin, die verbotene!" Ein schrilles, kleines Kichern füllt den Raum und lässt alle erschaudern.
Mit einer heftigen, wütenden Bewegung springt Hülstorff nun wieder zum Fenster, reißt den Vorhang beiseite und das Fenster auf.
Alle schließen geblendet die Augen und das fröhliche Kinderlachen dringt wie ein Schwall ins Zimmer.
„UND DAS HIER?" Brüllt er gleichzeitig. "Sind das vielleicht Kinder? Und wo kommen die her? Und wo gehen die hin? Ist das vielleicht ein toter Verein? DA LÄUFT DOCH ETWAS ZIEMLICH VERKEHRT ODER?"
Er beugt sich aus dem Fenster dreht den Anwesenden seinen knochigen gebeugten Rücken zu, der in einem verschlissenen grauen Strickpullunder steckt.„RUHE!" brüllt er, dass es über den Hof schallt.
Einen Moment ist Ruhe, einen kurzen Moment, willkommene, wundervolle Ruhe.
Selbst die Vögel schweigen, die Welt schweigt.
Dann plötzlich Kichern, „Das ist der Klapsmann," Flüstern, Kichern und sich entfernende Stimmen. Die Vögel in den Bäumen vor dem Schloss fangen wieder an zu zwitschern, ein Rabe sitzt auf der Dachrinne über ihnen und krächzt einmal, zweimal dreimal misstönend, dazwischen.
Das ist nicht, was er wollte, er will Ruhe, denkt Hülstorff, Ruhe, Ruhe, Ruhe.
Ruhe.
„Wir müssen unsere Bemühungen intensivieren," sagt er.
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Libertas Haus, das Schloss
ÜbernatürlichesWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...