Ehrlichstett,Januar 2016

4 0 0
                                    



Es ist kalt eisig, feucht, immer noch kein Schnee in Sicht, aber die feuchte Kälte dringt einem überall hin. Tamara ist richtig froh über das Ausmisten, das hält in Bewegung, das hält warm. Ihr Zimmer im Schloss ist nicht zu heizen, durch die alten undichten Fenster dringt all die Wärme, die die wenigen Heizkörper mühselig abstrahlen schneller nach draußen, als sie den Raum erhitzen kann. Jetzt solche Winter, wie in Libertas Haus, denkt sie, mit minus 20 Grad und wir erfrieren in diesem Gammelschloss.

Mit den Stiefeln schiebt sie ein paar welke Blätter vor sich her, die klumpig in der Einfahrt liegen, als sie Kylie draußen vorbeigehen sieht, in Rosa, unverkennbar. Offensichtlich ist sie auf dem Weg vom Heim zur Bushaltestelle, der geht am Schoss vorbei. Ein Stich durchfährt Tamara, früher, denkt sie, wäre Kylie kurz auf dem Hof reingeschneit und hätte hallo gesagt. Es ist sicher wegen der Kälte, korrigiert sie sich schnell, da will keiner mal eben anhalten und Small Talk machen.


„He, Kylie!" ruft sie.


Der Blick der Freundin hebt sich aus dem aufgestellten Kragen und Kylie hält langsam an.

Eine Schar Raben umgibt sie, die mit ihren dicken gebogenen Schnäbeln geschäftig im welken Laub graben.

Gezielt tritt Kylie nach einem Vogel, der vorwitzig auf sie zuhopst, als sie aufTamara zugeht. Der Rabe springt ungeschickt beiseite und schlägt mit einem protestierenden Krächzlaut mit den Flügeln.

„Mann das werden auch immer mehr," mault Kylie, „bald könnt ihr euch Rabenschloss nennen."


„Ja,stimmt irgendwie, fällt mir gar nicht mehr so auf. Habe mich schon an die Raben gewöhnt. Aber es sind immer mehr, wenn der Klapsmann da ist, wenn er weg ist, dann sind es weniger, oder manchmal gar keine."

„Komisch", Kylie runzelt die Stirn," Komische Viecher. Und hässlich noch dazu." Sie macht noch einen Ausfallschritt auf die Vögel zu und drei tun ihr den Gefallen erneut hektisch krächzend aufzufliegen, um sich aber gleich darauf wieder an der gleichen Stelle niederzulassen und die Mädchen mit schiefgelegtem Kopf zu beobachten.


„Weiß nicht, ich find die nicht so schlimm. Wie geht's dir?"


„Alles gut, voll der Stress und du? Bist du über Jakob weg, also gut jetzt?"


„Hm, weiß nicht. Läuft ganz gut mit Devon," Tamara macht ein Pause senkt den Kopf, sieht auf den feuchten Boden. „Weiß auch nicht, ist komische Stimmung hier, Weltuntergang und so, alle sind depri und...ach, keine Ahnung!"

Sie bricht ab und sieht Kylie an.


Die zieht den Kopf wie frierend zwischen die Schultern. Der Kagen ihrer rosa Jacke verhüllt ihren Mund und ihre Stimme klingt gedämpft:"
Weltuntergangsstimmung? Na ja, Menschen trennen sich eben. Das Leben geht weiter."


„Weiß nicht." Tamara schüttelt den Kopf. „manchmal weiß ich gar nicht, ob ich noch so viel erleben möchte. Manchmal denke ich, das sich alles Schöne schon erlebt habe und da nicht mehr so viel kommen kann. Und dann denke ich, dass wenn ich noch mehr erlebe, das auch bedeutet, dass ich viele unschöne schlimme Dinge noch erleben muss. Und vor den richtig schlimmen Sachen vor den dunklen Seiten des Lebens habe ich eine Scheißangst!"

Kylie erinnert sie an Jakob, denkt sie, so ein kritischer Blick, als sie sie so ansieht, die Augen über dem Jackenkragen.


„Ich habe zum Beispiel überhaupt keine Lust, Menschen an den Tod zu verlieren. Davor habe ich eine Scheißangst, das kannst du mir glauben." Einer der Raben ist noch näher gehüpft und sieht sie mit schräg gelegtem Kopf an, so als würde er zuhören, denkt Tamara. Kylie sagt kein Wort, runzelt nur die Stirn.

„Okay,ich will Kinder, das ist etwas Schönes, das habe ich noch nicht erlebt aber, das würde ich gerne. Aber manchmal denke ich auch: Ich will gar keine Kinder, weil es dann noch mehr Menschen gibt, die ich verlieren könnte. Ich glaube, ich hätte wirklich eine Scheißangst, meine Kinder zu verlieren, wenn ich welche hätte."


Zu ihrem Erschrecken merkt Tammi, dass ihr die Tränen in die Augen steigen. Was ist nur mit mir los, denkt sie, Weltuntergangsstimmung. Kylie sieht sie weiter wortlos an, als das Schweigen unterbrochen wird, weil aus Kylies Tasche gedämpft der Klingelton ihres Handys läutet.

Sie fummelt das Gerät aus der Tasche sieht kurz darauf und drückt dasGespräch weg.

„Äh; ich..." beginnt sie.

„Sorry..." beide haben angefangen zu sprechen.

Die Mädchen lachen.

„Mach du!"
„Ne, keine Ahnung," Tammi schüttelt den Kopf, „ich habe Sprechdurchfall, würde Leander sagen, keine Ahnung, was los ist, liegt sicher an dem Ganzen hier, die sind alle so drauf, hier geht eben gerade die Welt unter, der Klapsmann und diese Bonsayh Gruppe, mit ihren ganze Lügen über meine Mutter, wie sie Kinder missbraucht und alle betrügt, die machen und ganz schön das Leben schwer."


„Ja, ich muss dann auch." Kylie, übergangslos, nach einem weiteren Blick auf das inzwischen wieder vibrierende Handy. „Ich.."


„Ne, klar, ist ja auch kalt hier. Ich denk, wir sehen uns!"


„Klar" Kylie wendet sich fast erleichtert ab. Beim Rausgehen tritt sie nochmal nach dem Raben. Der fliegt diesmal auf und krächzend über ihre Köpfe.


Klingt fast, wie ein Lachen, denkt Tamara, als sie ihm nachsieht und ein plötzlicher Stich der Einsamkeit durchfährt sie.






Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt