Ehrlichstett, 2017

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Harald Bonsayh stinkt. Selbst in der kühlen Luft kann er riechen, dass er stinkt.

Seit Tagen schon war er nicht im Wohnwagen. Er kann es nicht. Die Kleene, das Ganze, er kann dort nicht mehr hin. Seit Tagen schon lebt er im Auto. Letzte Nacht ist er losgefahren auf der Suche nach Darya, aber sie war nicht auf dem Straßenstrich. Nichts hätte er von ihr gewollt, gar nichts. Nur vielleicht bei ihr mal duschen und eine Mütze Schlaf. In einem richtigen Bett. Und eine Frau in der Nähe. Sie hätte auch nichts tun müssen. Gar nichts. Bezahlt hätte er, natürlich.

Ein trockener Schluchzer klingt rau in seiner Kehle.

Er fährt nach Haus. Zu sich nach Hause. Zu Sylvia in sein Haus und ihr Haus.
Es ist Mittag, heller Tag. Sylvia ist nicht da. Aber er hat Sehnsucht. Sehnsucht nach Zuhause, nach seinem Haus, seinem Garten, seinem Leben. Wie es mal war.

Er parkt den Wagen vor dem Haus und stiegt aus. Hell und freundlich leuchtet das Haus in der Frühlingssonne, so sauber, so adrett, so wundervoll. Ruhig, wundervoll.
Er schluckt das Schluchzen herunter und geht um das Haus nach hinten. Sein Gartenschuppen, seine Werkstatt. Vielleicht kann er da wohnen, bis Sylvia ihn wieder aufnimmt. Muss sie, sollte sie. Immerhin sind sie noch verheiratet und er will sie zurück. Dringend. Wichtig. Seine Sylvia.

Die Tür vom Schuppen steht halb offen.

Er runzelt die Stirn und spürt, wie heiße Wut sich in ihm aufbaut. Wer ist da drin? Wer um alles in der Welt macht sich an seinen Sachen zu schaffen, wenn er nicht da ist? Er beschleunigt seinen Schritt und geht näher. Er reißt die Tür auf und das blasse Frühlingslicht fällt in den kleinen staubigen Raum und beleuchtet...

Seine Wut verraucht und er lächelt.

Vertrauenerweckend, fest und sicher das Mädchen an, das ihn mit schreckgeweiteten Augen ansieht, als er langsam näher kommt.

Vertrauenerweckend langsam, wie einem scheuen Tier, nähert er sich.


„Ich wollte nur. Ich wollte nicht..." stammelt die Kleine und ein Lichtstrahl bringt das glänzende Goldhaar zum Leuchten.


„Kein Problem," warum nur klingt seine Stimme so rau?

Wie lange ist es her, das er geredet hat, mit irgendeinem Menschen? Er räuspert sich und versucht es erneut:" Kein Problem..." rau, hechelnd.

Er streckt die Hand nach Michelle aus, in der Hoffnung sie zu beruhigen, als sie zurückweicht ins Dunkel des Raums.

Als er näher kommt.

„Bleib doch," hört er sich, mit dieser heiseren Stimme reden „Ist doch kein Problem. Bleib doch stehen! Ich tue dir nichts. Du darfst hier sein. Ich will dich nur anfassen, ein wenig streicheln. Dein Haa rvielleicht. Ich tue dir nichts, du musst nicht..."


Plötzlich macht die Kleine eine jähe Bewegung, ein stechender Schmerz in seinem Knie, ein bohrender, grausamer Schmerz. Er stürzt zu Boden und sieht ungläubig, dass in seinem Knie ein Holzstück steckt. Michelle hat hinter sich gegriffen und eine Latte gepackt, diese mit aller Kraft gegen ihn geschwungen. Ein herausstehender Nagel hat sich in sein Knie gebohrt. Er schreit auf. Aus dem Schwung der Bewegung ist die Kleine über ihn gesprungen und aus dem Schuppen geflüchtet, losgerannt über die Wiese.

Der Schmerz nimmt ihm den Atem. Gurgelnde Laute kommen über seine Lippen, als er sich herumdreht und sich die Latte aus dem Bein reißt, Blut schießt hervor. Der Schmerz ist unmenschlich. Er wälzt sich herum. Staub bleibt auf seinen Kleidern hängen, als er sich an die Werkbank heranrobbt. Trüb und rot steht es vor seinen Augen, als er sich hochzieht.

Es geht. Er ringt einen Schwindel nieder.


Er weiß, was er tun muss.

Er weiß, was er tun muss, um sein Leben wieder zu bekommen.

Sylvia, sein Heim, Michelle und ein wenig Frieden.


Frieden.


Die Geister, die sollen verschwinden und ihm sein Leben wiedergeben. Ins Schloss muss er, dorthin an den Ort, an dem Gabriel starb. Gabriel,dessen Tod sein Leben vergiftet hat, sein Leben genommen hat.

Gabriel, diese Schwuchtel, sein missratener Sohn. Ausgemerzt, beendet, vernichtet muss er werden, der ihn über den Tod hinaus verfolgt.

Dort hat es begonnen und dort wird er es beenden.

Den Fluch. Das Unglück. Er hat es immer gewusst, dass dort der Ort ist, der das Schicksal bestimmt.


Schwankend, mit schleifenden Schritten verlässt er den Schuppen.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt