Ehrlichstett, Januar 2016

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Ein feuchter milder Winter, ohne Frost, mit Bayern nicht zu vergleichen,denkt Rabena von Hülstorff, die sich mit Hugo auf dem Weg zur HILFE e.V. befindet, „Politik machen", wie Hugo sagt. Trotzdem friert sie hier immer mehr als in München, absurd, denkt sie.

Sie sind zu Fuß gegangen, der Weg ist ja nicht weit aber weit genug, dass die feuchte Kälte ihr durch Mark und Bein dringt.

Hugo möchte reden, mit Leander Oberberg, reden über sein unsinniges Engagement für den HEILE WELT Verein und von der RICHTIGEN Sache überzeugen, der des Schlosses und nebenbei noch einen Teller von Leanders Eintopf abstauben, oder zwei, je nachdem. Schweigend tappt Rabena hinter Hugo her, mit gesenktem Kopf über den vollgeräumten Hof der HILFE, gemeinsam betreten sie den Aufenthaltsraum, der in eine Küche überleitet, wo Leander hinter einer Durchreiche seinen Eintopf zubereitet, der köstlich duftet. Der Raum wird von einem riesigen, gußeisernen Ofen beheizt und wäre behaglich, würde nicht auf einem Stuhl ein völlig betrunkener Mann lagern, dessen mühsame Bemühungen, seinen Körper im Gleichgewichtig zu halten, Rabena irritieren. Zwei weitere Männer, einer mit wild wucherndem Vollbart, sitzen an einem Tisch und unterhalten sich leise mit vornübergebeugten Köpfen. Sie sehen nicht auf ,als Hugo und Rabena den Raum betreten. Anonymität und Desinteresse, das ist es , was dieLeute hier wollen, denkt Rabena. Das ist kein mütterliches Heim für gestrandete Seelen, das ist die raue Wirklichkeit. Die raue Wirklichkeit, verziert mit einem Dach über dem Kopf und einer warmen Mahlzeit, wenn die Welt dich ausgespuckt und vergessen hat.

Leander Oberberg durchbricht ihre Gedanken, als er mit dröhnendem Lachen erfreut hinter seiner Durchreiche auftaucht und auf Hugo und sie zueilt.

„Welch Glanz in unserer Hütte, der Herr Graf und die Frau Gräfin!" Er schüttelt erst Rabena und dann Hugo die Hand und deutet mit einer Geste auf einen freien Tisch, fordert sie auf, sich zu setzen. Hugo kommt dem gerne nach und Rabena setzt sich auf die Kante des Stuhls neben ihm.

Das magere, bleiche Gesicht eines jungen Mannes taucht in der Durchreiche auf, als Leander ruft: „He, Timmi, bring mal zwei Teller und eine Schüssel von dem Eintopf, mein Freund, der Graf hat sicher Hunger und kann eine gute Suppe vertragen." Hugo grinst beifällig und schlürft alsbald gierig aus dem vor ihm stehenden Teller. Rabena kann sich nicht so recht entschließen, ebenfalls zuzulangen. Kann sie sich sicher sein, dass sie hier niemand etwas wegnimmt? Ist sie überhaupt berechtigt, hier etwas zu nehmen?

Leander Oberberg, der ihre Gedanken zu erraten scheint, nickt ihr lächelnd zu: „Nehmen Sie nur Frau Gräfin, nehme Sie nur! Es ist genügend da von allem und wir bekommen das Essen von Spendern. Das sind betuchte Privatleute, die uns unterstützen, anonyme Spender, die Sachen einfach vor die Tür stellen und auch Geschäfte und Firmen, die uns ganz offiziell etwas zukommen lassen. Hier ist kein Mangel,also zumindest nicht an Essen. An andren Dingen schon." Sie isst zögernd einen Löffel Eintopf und sieht ihn an, in der Hoffnung, er möge weiterreden. Wozu er sich nicht zweimal bitten lässt: Während sie schweigend essen, erzählt er von seiner Arbeit, der harten oft fruchtlosen Sorge für die Männer und wenigen Frauen die hier leben. Die in ihren Leben oft nichts anderes haben, als die Sucht, der sie ausgeliefert sind die Sucht, gegen die sie manchmal kämpfen und die Kämpfe, die sie oft verlieren. Und die Kämpfe, die er auszustehen hat, in der Fürsorge für die Gefallenen, die Vergessenen der Welt. Die ihre Zimmer kaputtschlagen, die das Mobiliar zertrümmern, die Fenster einschlagen, die krank in ihren Zimmern liegen, sinnlos betrunken und auch schon mal tot. Die dort sterben und dann von ihm, Oberberg, gefunden werden müssen . Gefunden und beerdigt. Die Reden,die er an Gräbern spricht, die nur er besucht.


Rabena legt den Löffel in den leer gegessen Teller zurück und fühlt sich schlecht. Sie fühlt sich schlecht, weil sie und Hugo diesen Mann instrumentalisieren wollen, weil sie ihn gewinnen wollen für eine Sache bei der sie sich nicht sicher ist, dass es die richtige ist. Weil sie ihn eigentlich, eigentlich davon überzeugen wollen, etwas zu tun, das gegen seine Überzeugung ist.


Sie steht auf und streicht ihren Mantel gerade. „Ich möchte eben an die frische Luft," sagt sie leise. Sie möchte nicht, sie möchte nicht dabei sein, wenn Hugo hier für seine Sache spricht. Sie wird draußen warten, sie wird sich raushalten und draußen warten. Hugo hat den Kopf noch über seinen zweiten Teller Eintopf gesenkt und Oberberg lächelt sie freundlich von unten an: „Gerne, immer machen Sie. Gehen Sie an die frische Luft. Aber ich frage mich, ob Sie mir nicht einen Gefallen tun wollen." Sein Lächeln vertieft sich: „Ich habe da einen Bewohner, der Hilfe braucht und ich glaube nicht, dass ich der richtige bin, an dieser Stelle." Rabena zuckt zurück und schüttelt heftig den Kopf , nein, ganz bestimmt nicht, sie wird sich nicht um menschliches Treibgut kümmern, nein, bei allem Respekt aber das ist zu viel verlangt!

Oberberg scheint wieder ihre Gedanken zu lesen, denn er sagt: „Nein, nicht, was Sie denken, das würde ich nie von Ihnen verlangen. Sie sind eine Gräfin! Der Bewohner, den ich meine ist kein Säufer oder Drogi. Ich glaube, er ist krank. Er hält sehr auf sich und wünscht keinen Kontakt mit den anderen, ich stelle ihm das Essen vor die Tür, er wünscht das so. Aber das Essen ist seit Tagen unberührt, das Zimmer ist von innen verschlossen und er reagiert nicht. Ich hoffe, dass er vielleicht auf weibliche Ansprache reagiert. Wenn das auch nicht klappt, dann muss ich das Zimmer aufbrechen lassen." Er neigt voller Bedenken den Kopf.

Rabena sieht Hugo an, in der Hoffnung von ihm Bestätigung oder Ablehnung zu erfahren , aber der widmet sich hingegeben seinem Eintopf.

„Na gut," sagt sie leise.

Oberberg erhebt sich, ohne Hugo zu beachten und führt sie durch den hinteren Ausgang des Raumes, eine Stiege hinauf, einen dunklen Flur nach hinten bis an die letzte Tür, vor der er stehen bleibt.

„Hier!" Sagt er, während er laut an die Tür klopft.

Von drinnen kommt kein Lebenszeichen.

Er klopft erneut:

"He,Naurocks! Besuch für Sie!" brüllt er. „Eine Dame!"


Von drinnen klingt ein leises Rascheln.


Rabena legt das Ohr an die Tür.

Oberberg grinst. „Wusste ich es doch," flüstert er, „Damen wirken immer."

Er klopft erneut, „Naurocks, aufmachen, Besuch!"

"Sagen Sie mal etwas!" zu Rabena.


„Herr Naurocks, hier ist von Hülstorff, brauchen Sie Hilfe?" Ruft Rabena.


Von drinnen erneut das Rascheln, dann langsame schlurfende Schritte, hinter der Tür.


Und bevor sich die Tür zögernd öffnet, bevor sie in seine Augen sieht, die trübe sind und vom Fieber verqollen, bevor sie seine bleiche Haut sieht, die mühsame Haltung, die Holztür, an der er sich festklammert, die ihn vorm Umsinken bewahrt, vor alle dem, weiß sie es:


ER ist es.


Es durchfährt sie wie ein Blitz, Hitze in ihr Gesicht, Schwindel, wie ein heißer Schauder und sie hat Recht:

Er ist es und er sieht ihr entgegen, sein Blick verschleiert, die Wangen ausgezehrt vom Fieber, aber so voller Liebe, so voll der reinen Freude, dass es ihr wie ein brennender Pfeil ins Herz schießt.





Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt