Ohne Titel Teil38

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Rechtsanwalt Heiko Zimmermann

Landgericht Halle

BERUFUNGSBEGRÜNDUNG

August 20l5


Das Amtsgericht Halle(Saale) hat ausgeführt, dass das künstlerische Bildnis der Berufungsbeklagten eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstelle.

Hieran ist zu bemängeln, dass damit die Fiktionalitätsvermutung der künstlerischen Arbeit nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Zwar mag dieBerufungsbeklagte als Vorbild des Bildnisses gedient haben, jedoch bedeutet das nicht, dass die Künstlerin dem Betrachter zugleich nahelegt, das Abgebildete und den Kontext der Ausstellung auch auf die reale Person zu beziehen. Die fiktionale Ebene wird insbesondere dadurch deutlich, dass sich auf dem Bildnis kein namentlicher Hinweis auf die Berufungsbeklagte befindet, dieses stattdessen mit der Märchenfigur „Rapunzel" betitelt wurde.

Im Rahmen des Art. 5 Abs. 3S. I GG ist der Künstler darin frei, Thema und Gestaltung seines Werkes selbst zu bestimmen. Er darf sich von allem und jedem inspirieren lassen und unterliegt keiner Rechtfertigungspflichthinsichtlich seiner Vorlagen. Die Berufungsklägerin durfte daher auch und gerade die Berufungsbeklagte als Inspirationsquelle verwenden. Die Berufungsbeklagte trug ihrem Arm nach einem Sturz im Gips. Dies war eine ausreichende Inspiration.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Künstler nicht nur auf eine einzige Inspirationsquelle zurückgreifen, sondern eine Kunstfigur aus einer Vielzahl anEindrücken unterschiedlichen Ursprungs entstehen lassen. So hat selbstverständlich auch das Rapunzel-Märchen die Berufungsklägerin inspiriert.

Die Berufungsklägerin hat als Künstlerin nicht proklamiert, mit ihrem Werk die Realität wiederzugeben. Art. 5 Abs. 3 S. I GG gibt ihr das Recht, gewonnene Eindrücke - unabhängig von der jeweiligen Erkenntnisquelle – in ihren Werken zu verarbeiten. Ob als Vorlage einer Kunstfigur eine zeitgeschichtliche oder unbekannte Person gedient hat, ist unerheblich. Die Pflicht zur Hinnahme einer künstlerischen Verwertung trifft grundsätzlich jeden.

Erhebt der Künstler nicht den Anspruch, die Realität in seinem Werk abzubilden, kann zunächst keine besonders geschützte Sphäre der Berufungsbeklagten verletzt sein. Ein Anlass für ein berechtigtes künstlerisches Tätigwerden ist nicht erforderlich. im vorliegenden Fall weiß das Erstgericht um den ästhetischen Charakter des Werkes, geht jedoch trotz dieses Wissens von einer Realitätswiedergabe aus. Daraus folgert es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung.


Im Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) finden sich keine Ausführungen dazu, welcher Personenkreis in der Lage sein muss, die Verbindung zwischen Kunstfigur und realem Menschen herzustellen. Offenbar geht es davon aus, dass bereits ein In-Verbindung-Bringen durch die Familie, enge Bekannte und Freunde der Berufungsbeklagten ausreichend sei. Diese verfügen jedoch über einen nicht für allgemeingültig erklärbaren Wissensvorsprung hinsichtlich einer Vielzahl an Fakten über die vermeintlich Dargestellte und sind so bereits bei kleinster Ähnlichkeit geneigt, die Berufungsbeklagte in der Darstellung erkennen zu wollen.

Um der Kunstfreiheit in angemessenem Maße Rechnung zu tragen und diese nicht über Gebühr zu beschränken, kann nicht das wirklichkeitsgetreue Verständniseines jeden beliebigen Rezipienten ausschlaggebend sein. Hätte jegliches Fehlverständnis das Potential, im Endergebnis zu einem Änderungsgebot bis zu einem Verbot des Werkes zu führen, würde die Kunstfreiheitsgarantie in ihrer besonderen verfassungsgerichtlichen Bedeutung unterlaufen und letztlich dem freien Zugriff Dritter ausgesetzt.

Die Unterlassungsverfügungen im Urteil des Amtsgerichts Halle (Saale) werden dem Grundrecht der Kunstfreiheit vorliegend nicht gerecht. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes räumten der Kunst einen besonderen Stellenwert in der konzipierten freiheitlich-demokratischen Ordnung ein, der sich auch und gerade in der schrankenlosen Gewährleistung manifestiert. Darüber hinaus dürfen die Bedeutung des freie Zugangs zu Kunstwerken für die gesellschaftliche Entwicklung, ebenso wie die beispielsweise oftmals durch Kunstwerke erfolgende Offenlegung gegenwärtiger Missstände oder die damit einhergehende zeitgeschichtliche Dokumentation in ihrer Wichtigkeit nicht unterschätzt werden.


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