Der Nachfahr des Vorfahren wurde überrollt von der Entwicklung, die sich schneller vollzog, als er dem Einhalt gebieten konnte, wie er sich später wieder und wieder versicherte.
Der Mönch, der nach dem Heiligen Franciscus sich nannte, hatte die Führung auf der Burg, dem späteren Schloss Ehrlichstett übernommen. Nicht nur, dass er ein Bett verlangte und Speis und Trank und hiervon nur vom besten, er rief auch einen Gerichtshof im Burghof ein und sich selbst zum ehrwürdigen Richter.
In der Schnelle war auf dem Hof ein massiver Holzpfosten errichtet worden, an dem die Delinquentin, die junge Amarah für die Verhandlungen festgebunden wurde, auf dass sie ein jeder betrachten konnte. Da allerlei Gerüchte über ihre Kräfte umgingen und Franciscus, der sich müde, fiebrig und abgespannt fühlte, seine Nächte gerne in Ruhe verbringen wollte, durfte sie zwischen den Prozesstagen im Hause ihres Vaters verbleiben und nicht in dem feuchten unterirdischen Verlies der Burg.
Heute war nun die Aussage der Apollonia an der Reihe: "Ich war mit Jakobi verlobt." Setzte sie an und senkte den Blick bescheiden zu Boden.
„Lügnerin!"rief eine laute Stimme, Jakobi selbst war es.
Appolonia sah den richterlichen Mönch an und ließ sich nicht unterbrechen: „Wir haben uns geliebt und waren sehr glücklich. Und plötzlichhat er sich verändert. Er wurde kalt und abweisend. Und ich habe ihn reden hören, wenn niemand in der Nähe war. Mit Stimmen", sie flüsterte nun: "Unverständliches! Wie mit Geistern!"
Die Menge schnappte nach Luft. Das war ein deutliches Zeichen für Hexenkraft.„Und dann hat er verkündet, er würde Amarah heiraten."
Amarah wusste, dass Jakobin die harmlose und bisweilen peinliche Angewohnheit hatte, mit sich selber zu sprechen. Und dies wurde nun benutzt, um sie zu verdammen.
Es ist schon erstaunlich, denkt Amarah die von ihrem Pfahl aus, das Geschehen beinahe ungerührt beobachtet. Es ist schon erstaunlich, wie man selbst die unbedeutendste Wahrheit so verdrehen kann, das sie wie eine düstere Offenbarung klingt. Sie wusste was wirklich geschehen war, Jakobin war freundlich zu Apollonia gewesen, nichts als freundlich und höflich, sie waren weder versprochen noch verlobt gewesen. Und Apollonia hatte sich Hoffnungen gemacht, Jakobin hatte ihr mitgeteilt, dass er ihre Gefühle nicht teile, zwar nett, freundlich, schonend, aber mit der Folge, dass sie verletzt war, dass sie ihn gehasst hatte.
Aber ein teuflischer Zauber, das war natürlich eine viel zündendere Geschichte.
Wie konnte man eine solche Bosheit mit seinem Gewissen vereinbaren,fragte sie sich. Wie konnte ein Kirchenmann, ein Mönch eine solche Bosheit gutheißen?
Apollonia kam zum Ende. „Ich kann nie wieder einen anderen Mann lieben. So sehr verhext hat sie mich. Deshalb werde ich mit Bruder Franciscus ziehen und einem Kloster beitreten."
Das war ein machtvoller Beweis, erkannte Amarah und Angst legte sich wie ein Schatten auf sie. Dass Apollonia Nonne werden wollte verlieh ihrem Zeugnis Glaubhaftigkeit. Es war eine Art seelische Erpressung. Wie konnte man ihr nicht glauben, wo sie doch bereit war, ein solches Opfer zu bringen?
Die Leute waren stiller geworden. Dies hier war nicht das ausgelassene Spektakel, das sie sich erhofft hatten, sie begriffen, dass es hier nun um Leben und Tod ging.
„Das ist eine Lüge! Wo sind die Beweise?" Fuhr Jakobin auf.
„Seid still," donnerte der Mönch mit irrem, fieberbrennendem Blick. „Wenn ihr das Verfahren unterbrecht, müsst ihr in den Kerker!"
Amarah kämpfte gegen das wachsende Gefühl des Schreckens an. Sie versuchte sich auf eine Erwiderung zu konzentrieren. Sie konnte den Vorwurf, der gegen sie erhoben wurde ins Lächerliche ziehen, aber das würde vielleicht nicht reichen. Sie konnte die gesamte Geschichte erzählen und versuchen den Vorwurf zu widerlegen, aber auch da würde vielleicht nicht reichen.
Sie sah die Menge an, die Menschen, mit denen sie gelebt hatte, Tag für Tag, denen sie geholfen hatte, wenn sie konnte, deren Tiere sie besänftigt und gezähmt hatte. Sie sieht sie an, mit ihren auffallend grünen Augen, den Augen aller Erben von Marah und Bibotari. Und die Leute wichen ihren Blicken aus.
Sie könnte Magie anwendet. Uralte Macht, Feuer oder sie alle bannen mit einer Wand, sich entwinden und fliehen. Aber Magie erfordert Konzentration. Und Konzentration geht nicht mit Angst. Angst frisst alles auf und hält den Verstand besetzt, mit Angst geht nichts einher, als Angst.
Und dann tat sie das einzige das ihr in dieser Situation einfiel: Sie sang. Sie sang das alte Lied, Marahs Lied, das Lied, das die Pferde bändigt, das wilde Tiere sanft macht und Hengste zu zahmen Lämmern. Aber es zähmte die Menge nicht und auch nicht den geifernden Mönch. Den Mönch der sie entblößt, der das Hexenmal findet und sie verurteilt. Das Feuer, das brennt und ihren sterblichen Leib verzehrt.
Das Lied bannt aber auch nicht den Hungerwinter, der kommt, es bannt auch nicht den todbringenden Schrecken eines winzigen Virus, das der Mönch Franciscus neben seinen Hetzreden im Gepäck hat: Die Pest bricht über Ehylinborg herein und verschont keine sterbliche Seele, sie verbrennt den Mönch Franciscus im Feuer des Fiebers und des blutigen Auswurfs, den Lehnsherrn und die Apollonia, aber auch den Jakobin, der trauernd zurückbleibt und beinahe alle anderen Einwohner des Ortes.
Ehylinborg verschwand in der Versenkung. Das Dorf verfiel und die Burg geriet in den Besitz anderer Teile der Familie des Herrn mit dem Einstecktuch, die die Oberburg als Sommersitz nutzten, bis man Jahrhunderte später Gefallen fand an der Kohle, die hier in der Erde war und die man anfing zu bergen, auszugraben, zu heben und zu verwerten.
Die Raben von Ehrlichstett blieben und die Geschichten vom Meister, die von Mund zu Mund getragen wurden und nicht vergessen wurden.
Und das Lied von Marah, das war nun ein Lied des Kampfes geworden, der Auflehnung, aber auch der Hoffnung, wenn alles hoffnungslos war.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...