Ehrlichstett Mai 2015

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Es ist ein herrlicher Tag. Mai von seiner schönsten Seite. Corinne hüpft die Steinstiegen des gewunden Treppenhauses hinab, wie ein kleines Kind und pfeift diesen sonderbaren Ohrwurm, den sie schon seit Wochen im Kopf hat, eine einfache kleine eingängige Melodie. Eines der Fohlen war vor zweiTagen geboren, ein Stutfohlen aus der Taiga, ein herrliches, barockes kleines Ding. Und Heidi, ihre Heidi ist noch immer tragend, schiebt sich mit ihrem dicken Bauch durch den Auslauf und strahlt Ruhe aus und Behäbigkeit.

Und verursacht allerorten Angst und Beklemmung, ohne dass darüber gesprochen wird.

Desi, Dieter und die anderen Vereinsmitglieder, jeder weiß von Heidis Krankheit, ihrer wundersamen Heilung und der düsteren Prognose des Tierarztes, das Fohlen, das sei nicht zu retten, das sei zu stark geschädigt, da die Stute nun gar keinen Schaden aufweist. Man könne froh sein, wenn es tot geboren wird.

Diese düstere Vorahnung lässt den schönsten Mai verblassen und Corinne hört auf zu pfeifen, da sie sich mit bangem Gefühl dem Stall nähert. Jeden Tag nun. Jeden Tag kann es so weit sein und sie möchte, sie will keine schlimmen Entscheidungen treffen müssen, die das Leben eines neugeborenen Tieres beenden. Langsam geht sie auf den Stall zu, über dem golden die Frühlingssonne leuchtet. Taiga steht draußen und sonnt sich, daneben liegt ihr Kind und schläft tief. Nun kommt Heidi aus dem Stall und sieht Corinne erwartungsvoll an und neben ihr... neben ihr.. Corinne stockt der Atem, neben ihr, ein kleines Fohlen.

Ein kleines Fohlen auf vier Beinen. Ein Fohlen, das läuft und sich bewegt, ein kleines Fohlen, das mit großen wachen Augen die Welt um sich verwundert betrachtet, ein kleines Fohlen mit breiter weißer Laterne, die die Kinderaugen ins einem Gesicht nur um so größer erscheinen lässt, ein kleines Fohlen.
Corinne hält vor Spannung den Atem an und nähert sich langsam dem Auslauf. Heidi kommt auf sie zu. Die Stute scheint zu lächeln, als sie mit Solz ihrer Besitzerin in ihr neugeborene Kind präsentiert. Ein Fohlen, schwarz und weiß und strahlend, wie da sFrische, das Junge eben ist, überzogen von diesem Schmelz der Zukunft, der Hoffnung, des Neuen und – Corinne kauert sich nieder und betrachtet das kleine Wesen – völlig gesund. Auf den ersten Blick, völlig gesund. Wie es aussieht, völlig gesund. Vier gerade Beine, ein kurzer flauschiger Leib, ein hoher Kopf, die wachen Augen, ein kleiner Hopser, auf unsicheren Beinen – völlig gesund.

Tränen schießen Corinne in die Augen, als sie das Handy aus der Tasche zieht und zitternd die Nummer des Tierarztes wählt.

Als Dr. Pommer abnimmt, der Gute, immer einsatzbereit zu jeder Zeit erreichbar, erzählt sie vom Fohlen. „Ein gesundes Fohlen, Herr Doktor, ein gesundes Fohlen, kann das sein?" Ihre Stimme zittert vor Aufregung und Rührung.

„Frau Haalswor, nein, das kann nicht sein. Die Stute war zu schwer erkrankt. Ein gesundes Fohlen ist außerhalb des Bereichs einer jeden Wahrscheinlichkeit." Die nüchterne Stimme des Arztes klingt blechern aus dem kleinen Apparat.

„Kommen Sie selbst, bitte," flüstert Corinne," es ist ein gesundes Fohlen oder ich habe Halluzinationen."

Sie hört Schritte von hinten und dreht sich um. Desi kommt, mit Dieter, Hand in Hand, das registriert Corinne erst gar nicht. Desi reißt die Augen auf und eilt zum Zaun.

„Das Fohlen, es ist..."Ihre Stimme bricht ab, „Corinne," ihre riesigen blauen Augen sehen sie an „Corinne, das sieht gesund aus, ist das möglich?"


„Nein," Corinne noch immer im Flüsteron, „ es ist nicht möglich." Sie schluckt, „es ist nicht möglich, aber es ist so. Dr. Pommer kommt, und er wird zu keinem anderen Ergebnis kommen. Es ist ein Wunder!"

Desi schießen die Tränen in die Augen und sie fällt Dieter in die Arme, bevor sie ausgelassen herumspringt und laut jubelt. Auch Corinne schließt sich dem Gejubel an und ausgelassen, verrückt und laut springen die beiden Frauen um die Stute herum, die sie gelassen, noch immer fast lächelnd ansieht, wenn man denn voraussetzt, dass Pferde lächeln können und so einen„ich habs euch doch gesagt, dass ihr euch keine Sorgen macht müsst-" Ausdruck im Gesicht trägt.

Dr. Pommer kommt und geht wieder. Er untersucht das Fohlen, das sonderbar zutraulich ist und gelassen. Er schüttelt den Kopf und schwiegt und als er schließlich redet, lächelt er.

„Es gibt keine medizinische Erklärung," sagt er zu den inzwischen zahlreichen Umstehenden; auch die Mitarbeiter aus dem Schloss und Passanten von der Straße haben sich dazugesellt.

Dr. Pommers Lächeln wird immer breiter: „ Es gibt keine wissenschaftliche Erklärung, zumindest für mich, hier und jetzt nicht," wiederholt, er, „und manchmal ist das gut so. Vielleicht muss, kann und sollte der Mensch nicht alles erklären können. Das erhält uns die Ehrfurcht vor dem Leben, dem größten Meister und Heiler von allen."

Er macht eine Pause, in der er schluckt und den Blick in die Runde wirft: „Es ist ein Wunder. Auch der Naturwissenschaftler muss manchmal damit leben: Es ist ein Wunder, ein kerngesundes Fohlen, nach einem solchen Befund. Gratuliere!"

Und ein Geschrei bricht aus, ein Jubeln und ein Herumzuspringen und Freuen.

Ein Wunder ist geschehen. Ein wundervolles, wunderbares Wunder, Stute Heidi hat ein gesundes Fohlen zur Welt gebracht.


Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt