Ehrlichstett, April 2016

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Rabena von Hülstorff ist auf dem Weg zur HILFE:
Seit dem Besuch im Januar hat sie es sich zur Gewohnheit gemacht Abel Naurocks dort zubesuchen und für ihn zu sorgen. Hugo seht das gerne, wenn sie dort hilft, wie sie sagt. Er weiß um den Einfluss von Oberberg und möchte ihn noch immer als Bundesgenossen gewinnen. Da kommt es ihm gerade recht, dass Rabena Oberberg unterstützt, wie er meint. Und Rabena tut nichts, diesen Eindruck zu zerstreuen. Hugo ist unberechenbar, man darf ihn nicht provozieren. Wenn man ihn provoziert... man darf ihn nicht provozieren. Das hat sie auch versucht, diesen Pferdeleuten klar zu machen, denen und auch Abel.

Abel. Was für ein wundervoller Name. Sie lächelt, während sie langsam die Hauptstraße überquert und in die Seitenstraße einbiegt, an der die HILFE liegt. Abel ist der, den Gott geliebt hat, mehr geliebt als alle anderen, denkt sie. Und der der getötet wurde, das erste Opfer, von Kain seinem Bruder. Sie, sie selbst, die schutzloseste von allen, sie hat die Macht, Abel zu schützen, Abel, den sanften, den freundlichen, Abel, den stummen.

Denn Abel Naurocks spricht nicht. Keine Silbe verlässt seine Lippen, aber wenn sie zusammen sind, dann sagen sein Augen alles, seine Blicke alles. Baut einen Altar für sie mit seinen Blicken, einen Altar auf dem er sie aufbewahrt, auf dem er ihr huldigt und sie anbetet. Sie ist sein Lebensmittelpunkt, sein Engel, sein Herz, seine Seele. Sie braucht keine Worte, um das zu begreifen.

Als sie ihn im Januar todkrank gefunden hat, haben sie zunächst einen Arzt bestellt. Der Notarzt hat eine Lungenentzündung diagnostiziert und eine Einweisung ins Krankenhaus vorgeschlagen. Abel hat sich geweigert mit Panik im Blick gewehrt, sie hat Angst er würde wohl aufspringen und sich verstecken, so hat sie angeboten, bei der häuslichen Pflege zu helfen, ihn zu versorgen und dem Arzt, der nun täglich zu Hausbesuchen kommen sollte, zuzuarbeiten. Und sie hat es gerne getan. Es war ihr eine Erfüllung. Eine Erfüllung, den stummen Mann täglch zu besuchen, ihm das Essen zu reichen, ihn mit heißer Suppe zu füttern, seine Medikamente zu geben. Ihn aufzurichten, ihm zu helfen, das Badezimmer aufzusuchen, ihn zu waschen, wie eine Mutter das Kind, seinen mageren und doch starken Körper, das in ihm brennende Fieber, das langsam sank und ihr Begehren, ja, auch das, ihr Begehren zu spüren. In lebhafter Erinnerung die Nacht auf demBerg bei den Pferden, seine zarten Berührungen, seine weichen und doch starken Hände, das Schaudern in ihrem Körper, der noch immer auf ihn reagiert, auch wenn er hier krank liegt, todkrank und bedürftig. Eine sanfte Liebe ist ihr Begehren geworden, eine fast mütterliche, die nicht nach dem Morgen fragt, eine Nähe, eine Wärme, die sie bei Hugo nie gespürt hat.

Abel gesundet und als sie wieder nach München fahren, kann er sich bereits allein versorgen. Sie verabschiedet sich, aber sie kommt wieder, das nächste Mal in Ehrlichstett und wieder findet sich ihr Weg zur HILFE und zu Abel. Keiner beachtet sie, die Frau Gräfin, die den stummen Obdachlosen besucht, keiner spricht sie an, sie kann dort kommen und gehen, wie jeder andere, unbeachtet anonym und unwichtig. Unwichtig, wie alle Bewohner der HILFE.

Ihr ist es eine Freiheit, eine vollkommene so nie gekannte Freiheit.

Sie sitzen beisammen, sie sprechen nicht, sie lassen nur Nähe zu, Abel und sie. Brauchen die Worte nicht. Manchmal verschränken sich ihre Hände, manchmal lehnen sie nur aneinander und ein Körper geht inden anderen über und ihrer beider Leid und Schmerz fließen ineinander und verbinden sich zu reiner Freude, reiner Vertrautheit.

Sie will nicht nachdenken, ob das etwas unrechtes ist, aber sie weiß, dass Hugo hiervon keine Kenntnis erlangen sollte. Hugo würde das nicht verstehen. Aber Hugo bemerkt ohnehin nichts. Nichts außerhalb seiner selbst. Hugo verfolgt seine Ziele, mit einer Besessenheit, die ihr fremd geworden ist. Er war immer ehrgeizig, fast zwanghaft, aber dies geht weit über alles hinaus, was er zuvor verfolgte. Seinen letzten Cent wolle er ausgeben, um den Verein vom Gelände zu vertreiben. 500,- Euro hat er seinen Mitarbeitern geboten, wenn es ihnen gelingt, die Haalswor zu vertreiben. Und so geht es weiter und weiter. Er ist besessen.

Sie versucht, ihn zu warnen.

Die Gründung der Stiftung ist in vollem Gange, der mit dem Einstecktuch soll sein Schloss zurückbekommen und Hugo sollte sich eigentlich zurückziehen, langsam und unauffällig aber sie bemerkt nichts davon, im Gegenteil. Der mit dem Einstecktuch zieht sich zurück, je mehr die Öffentlichkeit auf die Angelegenheit schaut. Klar, die Zeitung steht auf ihrer Seite, aber dem mit dem Einstecktuch wäre eine Privatheit der Angelegenheit lieber gewesen. Er will seinen Namen nicht mehr als nötig mit dem Schloss in Verbindung sehen. Und öffentliche Meinung, man weiß, wie schnell das kippt und dass die dieses Pony haben, das alle so niedlich finden, das gibt einem schon zu denken. So ein kleines Pony zu vertreiben, das macht keine gute Presse, da will man seinen Namens schon gar nicht dazwischen sehen.Sie hat Hugo gewarnt: Wenn er so weiter macht, dann wird Hugo dasSchloss finanziell ausbluten und der mit dem Einstecktuch muss sich als Retter in die Bresche werfen, um das Schloss zu bewahren, praktisch sogar gegen seinen eigenen Willen, um seine Weste rein zuhalten. Und Hugo wird im Ende der Schuldige sein, der, der es verbockt hat und der mit leeren Händen da steht. Aber er will nicht hören, Hugo, lass mich machen, ich weiß schon was ich tue.

Diese unsägliche Petition. Sie hat es Hugo sofort gesagt, dass der Bonsayh in seiner Dummheit hier zu weit gegangen ist, aber nein, auf sie wurde ja nicht gehört, erst als wiederum der mit dem Einstecktuch diesen Aushang gelesen hat und sofort, sofort, aber auch SPFORT auf Abhängen und vernichten bestanden hat, erst da ist Hugo aufgegangen, dass es ein Fehler war. Er hat diesen unsäglichen Schrieb mit diesen angeblichen unleserlichen Unterschriften nicht nur dem Landrat überstellen lassen, sondern auch dem Gericht und der Akte anfügen lassen. Sie weiß nicht, ob der mit dem Einstecktuch davon Kenntnis hat und wenn nicht, dann sollte es besser so bleiben. Er wird das nicht glorios finden. Und ohne ihn gibt es keine Stiftung. Keinen Eigentumsübertrag und kein Ende von Ehrlichstett. Ehrlichstett, das für sie Qual war und nun Freude. Das sie hasst und liebt. Abel, denkt sie, Abel und seine Nähe, seine Wärme.

Und Ehrlichstett, diese grauenhafte, kalte, feuchte Schloss, das in ihrem Mann die schlechtesten Eigenschaften hervorbringt.

Libertas Haus, das SchlossWo Geschichten leben. Entdecke jetzt