Tamara ist im Stress. Seit sie den Blog betreibt und seit sie bei Trouble TV waren, scheint sie keine ruhige Minute mehr zu haben.
Gut,auf der einen Seite, denn was den Verein und das Projekt angeht, ist so eine Megawelle Ärger über sie hineingebrochen, die niemand mehr sortieren kann und die alle überfordert.
Und Stress pur auf der anderen Seite, denn nicht nur gute Stimmen melden sich. Nach einigen Tagen ging ein regelrechter Shitstorm über dem Kanal nieder, angeregt von einer Dame aus einer Tierschutzorganisation, die auch im Netz vertreten ist, „ein Segen auf vier Pfoten". Die Mitglieder waren bei weitem nicht zimperlich und griffen sie und ihre Mutter aufs Übelste an, weil sie mit Nicki im TV Studio waren. Sie haben im Ende sogar mit einem Besuch gedroht und damit Nicki zu entführen und sie zu treusorgenden Besitzern zu bringen, die sie artgerecht halten.
Tamara hat versucht, mit Corinne oder Gerhard darüber zu reden, aber die drehen frei mit all diesen Anzeigen und dem ganzen Kram.
Also hat sie sich selbst etwas einfallen lassen und die Idee scheint gar nicht schlecht zu sein: Zusätzlich zu den gelesenen Blogbeiträgen aus Corinnes Geschichte hat sie angefangen, kleine Filmchen vom Hof zu drehen. Angefangen hat sie natürlich mit Nicki, ihrem täglichen Leben. Und ganz schnell konnte sie beweisen, dass Nicki sehr wohl artgerecht gehalten wird und ihr Leben zwar für ein Pferd ungewöhnlich aber glücklich und frei von Stress und Beeinträchtigungen ist. Die Kommentare zu den Filmchen gaben ihr Recht und im Ende hat sogar die militante Tierschützerin von „Vier Pfoten" sich öffentlich entschuldigt und einen Superkommentar unter einen Nickifilm geschrieben.
Puh! Das hätte noch gefehlt, irgendsolche Tierretter, die Nicki völlig grundlos entführen, das in dem ganzen Stress mit Gerichten und Ämtern und nach der Sandmann Sache, ne, braucht es gar nicht!
Jedenfalls haben die Abonnenten Spaß an der Sache bekommen und weitere Filme verlangt, über das Leben auf dem Hof, die Pferden, das tägliche Training und ihre Projekte. Anfangs hat sie das noch alleine gefilmt, so mal eben aus der Hand, aber inzwischen helfen die Reitkinder eifrig mit und es gelingt ihr auch, Corinne für die Sache zu erwärmen. Sie bereiten ein Musikvideo vor, mit Pferden, eine ziemlich coole Idee. Corinne arbeitet an einem Storyboard und Tamara übt für die Singstimme.
Das ist ganz gut, denkt sie, dann kommt Corinne mal auf andere Gedanken. Für Gerhard müsste uns noch etwas einfallen. Er ist ziemlich übel drauf, denn dieser Bonsayh, ihr privater Internetverfolger hat wohl jetzt auch ihn als Hassopfer entdeckt.
Mit einem Klingellaut ploppt ein Mail auf:
- Ich hätte dich so gerne glücklich gemacht.
Tamara zuckt zusammen. Wer hat das geschrieben, das sieht nicht nach einem ihrer Blogkontakte aus. Eine Welle der Hitze überläuft sie: Jakob.
Sie steht auf und geht ans Fenster. Was will der denn jetzt? Der ganze Stress mit dem Shitstorm und den Tierschützern – sie hat tatsächlich seit Tagen, ja Wochen nicht an ihn gedacht. Sie setzt sich zurück an den Laptop:
- Du hast mich glücklich gemacht.
Alles bricht wie eine Woge über sie hinein: Berlin, Henry, ihre Nähe, die Wärme, die Vertrautheit mit Jakob, ihre Einsamkeit, das Alleinsein mit den ganzen Anfeindungen hier, die Angst, der Shitstorm, das ganze Gemobbe. Es wäre so schön, denkt sie und kriegt bei dem Gedanken kaum Luft, es wäre so schön, wenn er hier wäre. Wenn sie nicht alleine wäre.
Warum habe ich mich getrennt, denkt sie, warum war ich irgendwann nicht mehr glücklich? Was ist geschehen, kann man die Zeit zurückdrehen? Oder bleibt diese Gefühl der Fremde, der Ferne, wenn Jakob wieder hier wäre?
Und auf einmal weiß sie, dass es die richtige Entscheidung war, die Trennung. Sie möchte so nicht sein, so nebeneinander ohne Nähe. Und es würde ihr nichts helfen. Denn der Jakob, den sie bräuchte, den gibt es nicht mehr. Den gab es vielleicht noch nie, vielleicht hat sie sich diesen Jakob immer nur eingebildet, herbeigesehnt. Gemeinsam einsam, denkt sie und das ist, was sie nicht mehr will.
- Du hast mich glücklich gemacht.
Schreibt sie noch einmal. Und dann:
- Und du bedeutest mir noch immer viel. Aber ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein. Es geht einfach nicht.
- Du warst die erste Frau, mit der ich mir vorstellen konnte, Kinder zu haben. Meine Kinder gehören zu dir, Tammi, ich weiß nicht, wie das anders gehen soll, ich kann es mir nicht vorstellen. - Ploppt es mit einem erneuten Klingelton auf.
- Auf Wiedersehen, Jakob!
Sie beißt sich so fest auf die Zunge dass sie sich nicht wundern würde, wenn sie zu bluten anfangen würde.
Klingelton: - Ich weiß nicht, wie es ohne dich gehen soll.
- Ich weiß, das darf man nicht sagen, aber ich hoffe sehr, wir können es irgendwann schaffen, Freunde zu sein.
- Du mich auch. Aber ja, das wäre zumindest etwas.
- Es ist bestimmt die richtige Entscheidung. Für uns beide.
- Wenn du das sagst, Tammi, dann ist es die richtige Entscheidung.
- Sorry, das war blöd!
- Schon Okay!
- Tut mir leid.
- Nicht schlimm....Tammi?
- Ja?
- Es war schön mit dir.
Sie schreibt nicht mehr zurück.
Was sollte sie auch schreiben?
Alles hat sich verändert.
Jakob, das ist Vergangenheit. Sie muss alleine weiter. Sie merkt, wie sie erwachsen wird, sie merkt es jeden Tag. Jakob ist wie ein Stück Kindheit, das sie zurücklässt, wenn sie weitergeht. Und sie muss weitergehen. Es ist wichtig.
Der Verein ist wichtig, der nicht Jakobs Verein ist, das Projekt, das nicht Jakobs Projekt ist, der Kampf gegen die Bösen, die nicht Jakobs Böse sind.
Sie muss alleine weiter, auch wenn es Angst macht.
Sie darf nicht den einfachen Weg gehen, wenn es nicht der richtige ist, denkt sie.
Aber es schmerzt. Es schmerzt, den einfachen Weg zurückzulassen und den schweren zu gehen.
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Libertas Haus, das Schloss
ParanormalWas bisher geschah: Corinne Haalswor und ihre 16 jährige Tochter Tamara ziehen aus München in den wilden Osten Deutschlands ins Hinterland von Halle/Saale in das kleine Dorf Grömlitz. Hier scheint die Zeit stillzustehen und es finden sich bald all...