Kapitel 145

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Rührende Geste...

Nachdem Lea gegangen ist, hat Paul eine Weile für sich gebraucht, nun räumt er in der Küche auf. Im Schlafzimmer vor dem Kleiderschrank sucht er nach seinem blauen Sweatshirt mit Kapunze und zieht es an. Dann sucht er nach seinem Lieblingsshirt, das er nicht finden kann. „Komisch!", denkt Paul und sucht im Bad weiter in der Schmutzwäsche. Auch dort ist sein T-Shirt unauffindbar. Im Wohnzimmer geht Paul an den Plattenspieler vorbei, macht ihn an und dreht die Musik etwas lauter, so dass man es bis draussen gut hören kann. Er öffnet die Glastür, geht raus auf einen Liegestuhl zu und kuschelt sich in eine dicke Decke warm ein, gedankenverloren schaut er in den dunklen Himmel. Es ist fast Mitternacht und es weht eine kalte Brise Wind an seinem Gesicht. „Es war heute schön, mal wieder mit jemanden zu unterhalten, das Essen geniessen", wehmütig erinnert sich Paul an die schöne Zeit mit Jenny, die ihm den Stress oder den Ärger nach der Arbeit abgenommen hat und ihn auf andere Gedanken brachte. Hier fehlt was, nämlich Jenny! Ihr Lachen, ihr Duft, ihre Lippen. „Ohne Jenny bin ich nur ein halber Mensch, bis jetzt wusste ich noch nicht, wie schmerzlich es sein kann, eine besondere Frau zu verlieren. Ich muss um Jenny kämpfen, ich werde es nicht zulassen, dass sie unglücklich wird. Semir sagte mal, eine Blüte braucht Pflege, sonst droht die Liebe zu verwelken. Ach Semir, wenn ich nur mit dir reden könnte...", schliesst Paul in stillen Gedanken die Augen und erwacht wieder, lässt einen Seufzer raus und entdeckt einen Stern am Himmel. „Jenny!", murmelt er und tastet nach dem Handy. Die Sehnsucht nach Jenny lässt Paul seine Gefühlen freien Lauf, seine Gedanken sprudeln beim Schreiben, dabei merkt er, dass er Tränen in den Augen hat. Es ist so herzzerreissend, was er schreibt:"Meine liebe Jenny! Ich liege hier draussen in der dicken Decke gekuschelt, der Platz neben mir ist leer. Deine Wärme und deine Umarmungen fehlen mir, ich höre Dein Lachen nicht in meinen Ohren. Gerade sehe ich einen Stern am Himmel und dieser erinnert mich sehr stark an Dich! Zwei Sterne im Himmel, sie strahlen sich an, weil der eine ohne den anderen nicht leben kann. Sie sagen einander „Ich liebe Dich!" Der eine bist Du, der andere ich. Ich werde für Dich die Sternen vom Himmel holen und ein neues Sternbild bauen. Wenn Du es siehst, denkst Du an mich, weil am Himmel steht:"Ich liebe nur Dich!" Mein Herz sehnt sich so sehr nach Dir. Hörst Du es schlagen? Es schlägt nur für Dich! Mit diesen Worten will ich schreiben: In Deinem Herzen will ich bleiben!" Nachdem Paul die Nachricht ohne zu zögern abgesendet hat, muss er nun weinen und versucht dabei ruhig zu bleiben. Paul hätte jetzt einen Freund gebraucht, der ihm beisteht und mit ihm reden kann. Ausser Louis bleibt nur noch Semir. Das unschöne Treffen auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus ist blöd verlaufen. Paul hadert mit sich selbst, indem er sich Vorwürfe macht, er sei hart zu seinem Partner gewesen. „Alex darf keine Macht über Jenny und Semir haben! Ich muss mal mit Semir reden und mich bei ihm entschuldigen, dass ich heftig reagiert habe. Könnte ich das, einfach kampflos dem Feld Alex übergeben? Bei der Autobahnpolizei alles hinwerfen, nur weil Alex seinen Platz wieder haben will? Nein, Paul! Du bist ein Kämpfer, zeig, was in dir steckt und rette die Freundschaft!" Mit diesen Gedanken ist Paul fest entschlossen, um seine Freundschaft zu Semir und die Liebe zu Jenny zu kämpfen. Koste es, was es wolle! Irgendwann klingt die Musik aus und Paul schläft auf dem Liegestuhl ein...

Den Abend hat Semir zu Hause nicht richtig abschalten können, zu sehr kreisen die Gedanken um seinen ehemaligen Partner Brandt, und wie es Paul im Moment geht. Irgendwie vermisst Semir den Abend mit Paul bei einem kühlen Bier und die witzige Unterhaltungen. Andrea versucht zwar, ihren Mann aufzuheitern, was jedoch nicht einfach ist. Nach gutem Zuspruch von Andrea auf die Kinder, warum ein Streit unter Erwachsener etwas schwieriger gestaltet als bei Kinder, zeigen Ayda und Lilly ein wenig Verständnis und möchten ihrem Vater beweisen, dass sie ihn trotz des Streits mit Paul lieb haben. Die Töchter sitzen neben ihrem Vater, der sich darüber freut, auf der Couch und sehen sich einen Film an, bevor die Mädchen ins Bett gehen. Dana kommt gerade von einer Verabredung mit Finn nach Hause und gibt vor, sich in ihrem Zimmer zurückzuziehen, was Semir Recht ist. Es ist so schweigsam im Hause, kaum einer lächelt oder ein Witz wird erzählt.

Zu später Stunde auf Staten Island ist der Familienabend in lebhafter Unterhaltung verlaufen, nach und nach verabschieden sich Alices Kinder, bis auf Kelly, die jüngste Tochter. Sie wohnt noch im Elternhaus. James verabschiedet sich von Jenny, man sehe sich morgen auf der Arbeit. James wohnt mit seiner Familie ein paar Häuser weiter entfernt vom Elternhaus. Noah und Pamela wohnen in New York City und Brooklyn. Alice gibt ihrem Mann Ben zu verstehen, dass sie jetzt mit Jenny zu einem Frauengespräch zurückzieht. Ben nickt verständnisvoll und bietet an, den beiden Frauen ein Glas Wein in den Garten zu bringen. Alice nimmt Jenny an der Hand und beide gehen auf die riesige Hollywoodschaukel zu, dahinter steht eine Fahnenstange und die amerikanische Flagge weht in den schwachen Wind. „Es ist so schön hier", schwärmt Jenny, „die Ruhe, die Entspannung. Dachte immer, es sei so voll in New York." Alice muss lachen. „Das dachte ich damals auch, aber nur in NYC ist es nicht so wie hier." Ben kommt gerade von der Terrasse und sieht ein schönes Bild auf der Hollywoodschaukel, prompt setzt er die Gläser auf den Tisch und sprintet ins Haus. Ein Blitz lässt die beiden Frauen kurz aufschrecken, im Hintergrund lacht Ben. „Sorry, darling! It is a beautiful picture!" Der Blitz kommt von dem Fotoapparat, Ben hat sich ein Foto von den beiden machen lassen. Jenny wundert sich, aber als Alice ihr erzählt, dass Ben leidenschaftlicher Fotograf ist und damals als Reisejournalist sehr viel um die Welt gereist ist, versteht Jennys Bens Leidenschaft für schöne Bilder. „Pictures are the memories of the life!", wedelt Ben mit den Händen träumerisch vor sich und serviert den Frauen den Glas Wein und zieht sich zurück auf die Terrasse und liest in Reisejournalmagazinen. „James hat mir erzählt, dass du ursprünglich aus Deutschland kommst. Wie bist du dann hier bei Ben gelandet?", neugierig wissend fragt Jenny Alice. „Das ist aber eine lange Geschichte", sagt Alice und Jenny fügt bei:"Ich habe Zeit." Beide müssen schmunzeln, nippen am Weinglas und nun erzählt Alice die bewegende Liebesgeschichte ihres Lebens. Alice war damals nach dem bestandenen Abitur als junges Mädchen für ein halbes Jahr nach New York gegangen, um sich für ein bevorstehendes Fernstudium als Fremdsprachenkorrespondentin besser mit der englischen Sprache kommunizieren zu können. Zur dem Zeitpunkt war sie in einer zweijährigen Beziehung mit einem Jungen in Deutschland. Sie jobbte in der aufregendste Stadt New York und wohnte zur Miete in einer WG. Das sei ein schönes Abenteuer gewesen. Eines Tages spazierte sie von Manhattan aus die Brooklyn Bridge und drüben auf die andere Seite in einem Park wollte sie sich zur Ruhe setzen und einfach nur den restlichen Tag geniessen. Dann kam Ben und machte Fotoaufnahmen, dabei entdeckte Ben Alice auf einer Bank sitzend. Erst fühlte sich Alice belästigt, aber als Ben dann seine Sonnenbrille abnahm und sie in seine schönen braunen Augen sah, war es um sie geschehen. Langsam kamen die beiden in ein Gespräch und Alice stand für ihn weiter als Fotomodell zur Seite. „In diesem Moment habe ich mich zu Ben hingezogen gefühlt, so als ob wir füreinander bestimmt sind", erinnert sich Alice an das Gefühl der Verliebtheit, „von da an sahen wir uns fast jeden Abend in Brooklyn. Sein Abschluss an der College stand kurz bevor und sein Traum war es, um die Welt zu reisen, fotografieren und Reisejournale zu schreiben. Das mochte ich damals an ihm, dass er für seinen Traum lebte. Das waren schöne Erinnerungen, auch wenn es mir schmerzlich bewusst wurde, dass mein Visum in den USA bald vorbei war. Ich habe noch nie in meinem Leben eine mutige Entscheidung getroffen und das habe ich noch nie bereut." Für einen Moment herrscht Stille, Alice seufzt und Jenny erinnert sich an die Worte von Paul, indem er ihr auch gesagt hatte, „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum!". Wie gerne hätte Jenny Paul jetzt an ihrer Seite, in der sie sich in seinen Armen nach Geborgenheit sehnt...je mehr Jenny an Paul denkt, desto mehr vermisst sie ihn...    

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