Kapitel 106

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Ein Foto, das Staub aufwirbelt ...

Der Feierabend auf der PAST naht und mit Semir im BMW fährt Paul mit zu dessen Haus, wo Ayda und Lilly erfreut sind, Paul wiederzusehen, obwohl sie ihn erst gestern das letzte Mal gesehen haben. An dem gedeckten Tisch gibt es viel zu erzählen, man spürt eine Vertrautheit wie in einer Familie, auch wenn Paul nicht mehr so oft mit Semir nach der Arbeit ins Hause Gerkhan kommt, dennoch fühlt sich Paul immer herzlich aufgenommen. Als Paul für einen kurzen Moment gedankenverloren in seinem Teller herum pickt und schliesslich von Dana wieder in die Realität zurück geholt wird, schauen ihn alle an. Paul bewegt tonlos die Lippen und nimmt den nächsten Bissen in den Mund. „Alles gut, Paul?" fragt Ayda und Paul lächelt sie müde an. „Ja, es ist alles in Ordnung, ich bin nur etwas müde." „Ja, das ist typisch Montags", fügt Dana bei, die ebenfalls auch müde wirkt und ein Gähnen herausstösst. „Dagegen fühle ich mich fit für Wäsche bügeln", freut sich Andrea, die nachher in dem Bügelraum die Ruhe für sich selbst hat und dabei Musik hören kann, was ihr Geschmack ist. Nach dem Abendessen, welches Andrea mit Unterstützung von Dana für die ganze Familie zubereitet hat und allen einen sättigen Magen beschert hat, ziehen sich Semir und Paul auf die Terrasse mit gekühlten Bierflaschen zurück. Draussen weht ein leichter Wind, der recht frisch ist. Semir lässt einen lauten Seufzer raus und Paul öffnet die zwei Bierflaschen. „Auf unsere Freundschaft!", beginnt Paul und Semir prostet ihm zu. „Das haben wir schon lange nicht mehr gehabt, Zeit für unsere Gespräche", stellt Semir fest und Paul nickt lächelnd zu. „Du, läuft alles gut mit Jenny und dir?", ist Semir neugierig. Paul schaut ihn mit einem Grinsen an, dreht sein Gesicht Richtung Himmel:"Ich kann nicht klagen, ich bin wunschlos glücklich. Nicht zu glauben, dass ich bei Jenny am Ziel der Reise angekommen bin!" „Da freue ich mich wirklich für dich, dass du nun eine richtige Frau gefunden hast. Obwohl deine Erzählungen über die verschiedene Betthäschen auch nicht schlecht waren", lacht Semir. „Ab jetzt behalte ich die intimsten Details für mich", prostet Paul mit der Bierflasche an die Flasche von Semir, den er in seiner Hand festhält. Der Abend verläuft recht unterhaltsam, Semir erzählt von dem letzten Wochenende und muss dabei „Aha", „Oh Gott" und „Krass" von seinem Partner hören, und zwischendurch muss Paul lachen. Die Unterhaltungen vertiefen sich immer mehr und die Zeit verfliegt im Nu bis es fast Mitternacht ist.

Bei den Dorns in der Villa haben sich Jenny und ihr Vater im Laufe des späten Abends im Wohnzimmer gemütlich auf der Couch gemacht bis Martin einfällt, mal wieder in das Familienalbum reinzuschauen. „Dein Bruder hat mich gebeten, ein paar Kinderfotos rauszusuchen und sie ihm per Post zu schicken. Sollen wir es zusammen machen?", fragt Martin und auf Jennys Mundwickeln erscheint ein Lächeln. „Ja, gerne!" Martin steht von der Couch auf, geht auf eine Kommode zu und holt aus der untersten Schublade das dicke, gross ein beiger Farbe Familienalbum heraus und nimmt neben seiner Tochter den Platz wieder ein, Jenny hat es sich in einer Decke um ihrem Schoss gemütlich gemacht. „Wann habe ich zuletzt da reingeschaut?", überlegt Jenny und merkt, dass es solange her ist. „Ich denke mal, seit deine Mutter uns verlassen hat, hast du dich geweigert, jemals wieder die Bilder anzusehen", sagt Martin, der noch gut in Erinnerung hat, wie schwer damals die Zeit nach der Trennung seiner Frau war und er mit Patrick und Jenny als kleine Kinder alleine durchs Leben ging und er hat das gut gemeistert. „Puh, über 25 Jahre ist das Album in der Schublade verstaubt geblieben", lacht Jenny und ihre Blicke heften sich gespannt auf das Album, welches Martin jetzt beginnt zu öffnen. „Ah, wie süss du da warst", erinnert sich Martin, „wir waren erleichtert, dass du auf die Welt kamst. Deine Geburt war etwas schwieriger als die von Patrick." Nach und nach schauen sie sich die Bilder an, lachen dabei und Martin erzählt zu fast jedem Bild eine kleine Geschichte, was lange in Vergessenheit geraten ist. Jenny hört aufmerksam zu und sie spürt, die ersten Lebensjahre waren ihre Schönsten gewesen. Als ihr Vater gerade die nächste Seite umschlägt, bleibt Jennys Blick starr auf das etwas grössere Bild gerichtet und sie japst händeringend nach Luft. „Papa, das...", Jenny zeigt mit ihrem Zeigefinger auf das Bild, „...diese Frau habe ich im Supermarkt gesehen!" Das Foto zeigt eine alte Dame in einem Sommerkleid mit Jenny in fester und liebevoller Umarmung, beide strahlen eine Wärme aus, lachen herzhaft in die Kamera. Im Hintergrund ist eine grosse Geburtstagszahl in 60 mit weissen Rosen geschmückt abgebildet. Martin blickt vom Foto auf und schaut verwundert seine Tochter von der Seite an. „Jenny, das kann nicht sein!" „Doch, glaube mir, sie sieht so aus wie da auf dem Bild!", schwört sich Jenny. „Das ist deine Oma Mia, du weisst aber, dass sie schon vor sehr langer Zeit gestorben ist?", beruhigt Martin Jenny, als er merkt, dass Jenny vor Entsetzen ihren Mund geöffnet hat und sich gerade unruhig auf der Couch bewegt. „Das ist sehr unwahrscheinlich, dass du deine Oma getroffen hast", will Martin Jenny ihre absurde Vorstellung ausreden, „es könnte vielleicht zufälligerweise die alte Dame sein, die so ähnlich wie Oma Mia aussieht." „Papa, du willst mir nicht glauben?", steht Jenny abrupt von der Couch auf und läuft im Wohnzimmer hin und her. „Die alte Frau hatte dieselben Kleid an wie auf dem Bild, wir können das Bild Lilly zeigen, die wird mir das bestätigen, dass ich nicht verrückt bin, da oben in der Birne!", klopft Jenny mit dem Finger an ihrem Schädel. Jennys Herz pocht mit der Aufregung immer schneller, sie scheint verwirrt zu sein und weiss nicht mehr, wo oben und unten ist und steht kurz vor einer Ohnmacht. Sie muss sich setzen und versucht ihre Atmung in den Griff zubekommen, Martin legt seinen Arm um ihre Schulter und tröstet sie: „Beruhige dich, es ist alles gut. Wer ist noch mal Lilly?" „Die jüngste Tochter von meinem Kollegen Semir." „Ach, jetzt weiss ich es. „Ich bin mir Hundert pro sicher, dass es die Frau ist, die anscheinend meine Oma ist. Aber was möchte sie mir damit sagen?" Martin merkt, dass es aussichtslos ist, Jenny die Wahnvorstellung auszureden und versucht sie ernster zu nehmen. „Meine Mutter war eine kluge Frau, sie hatte ein Gespür, wenn es einem nicht gut geht. Sie stand mir damals oft mit Rat und Tat zur Seite, wenn ich etwas nicht mehr weiter wusste. Sie fehlt mir manchmal, und dann denke ich innerlich nach, was meine Mutter mir geraten hätte", beschreibt Martin seine Mutter, die auf dem Bild schön aussieht und bei Jenny sind die Augenbraunen herunter gezogen, eine Träne kullert auf ihrer Wange. „Das ist ihr Lieblingskleid, kurz vor ihrem Tod hatte sie gesagt, dass sie es beider Beerdigung angezogen haben möchte. Das war ihr Wunsch. Du hast deine Oma sehr geliebt, sie war immer für deinen Bruder und dich da, als eure Mutter gegangen ist. Leider ist sie sehr früh von uns gegangen, ich hätte ihre Unterstützung damals gut gebrauchen können, als Patrick und du noch sehr klein wart. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, meine Mutter stand als Schutzengel mitschönen Flügeln ausgebreitet hinter mir und legte ihre Hände beschützend auf uns Drei und führte uns durchs Leben. Ich bin ihr wirklich dankbar für alles!"Nun kennen Jennys Tränen kein Halten mehr und sie weint. Bei Martin kommen auch Tränen in seinen Augen auf, beide umarmen sich fest. „Als du mir damals deinen Berufswunsch Polizistin gesagt hast, da wusste ich innerlich auch, dass deine Oma dich als Schutzengel durch den Beruf begleiten würde und ich habe gelassen darauf reagiert und habe dich immer unterstützt, wo ich konnte. Mir ist wichtig, dass es euch gut geht, Patrick und dir! Ihr sollt ein glückliches Leben führen, so wie ihr es auch vorstellt und möchtet und was das Leben euch für eine Chance bietet. Nutz es, lebt euren Traum!" Die Tränen an ihren Wangen wischt Jenny mit ihrem Handrücken ab und sie schnieft. Holt aus ihrer Jeanshose ein Taschentuch und schnäuzt sich ihre Nase. „Das hast du so schön gesagt, Papa!" „Ja", spricht Martin auf den Haarscheitel seiner Tochter und drückt sie nochmal fest. „Aber, was möchte Oma mir mit ihren Worten sagen?", ist Jenny immer noch verwirrt über Mias Wortdeutungen. Martin geht in sich zusammen, grübelt nach und versucht Jenny zu helfen, die Botschaft seiner Mutter zu entschlüsseln. „Ich glaube, deine Oma möchte dir auf diesem Wege sagen, dass du eine richtige Entscheidung aus deinem Herzen treffen solltest. Keine Ahnung, was sie damit meint. Sie möchte bestimmt, dass es dir gut geht und du nicht unglücklich wirst." Nun wird es Jenny langsam bange um das Herz und scheint ihre Liebe in Gefahr zu sein?    

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