Kapitel 162

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Voller Tatendrang fasste Flo nach meiner Hand und zog mich aus der Tür. Draußen schneite es immer noch und es war kein Fleckchen mehr, was nicht weiß war. Der Schnee ragte nun schon fast bis zu meinen Knien und sofort bekam ich Sehnsucht nach einer heißen Schokolade und Plätzchen – wir schon immer zu Weihnachten.
Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht bemerkte, dass wir vor unserem Schuppen stehen geblieben sind.
„Flo? Was hast du vor?" Ein Kuss sollte als Antwort genügen, als er plötzlich die Holztür öffnete und ein weihnachtlicher Geruch in meine Nase stieg. Ich schaute in den Schuppen, der sonst voller sinnlosem Zeug stand – Arbeitsgeräte für den Garten und irgendwelche alten Erinnerungen von Florian – aber jetzt war er wunderschön dekoriert.
Decken und Kissen waren auf dem Boden verteilt, eine kleine Heizung stand an der Seite und vor einem kleinen Laptop war ein Tablett mit heißer Schokolade und Plätzchen. Flo kannte mich einfach zu gut.
„Das ist so toll mein Schatz! Genau so ist es wunderschön!" Ein langer, zärtlicher Kuss zog Flori mit hinein und sofort ließen wir uns auf die ausgebreiteten Decken fallen.
Flo blickte mir tief in die Augen und sofort verlor ich mich darin. Wie automatisch streichelten meine Hände an seinem Nacken und langsam bearbeitete ich den Reisverschluss an der Jacke.
„Nein Schatz!" unterbrach er mich belustigt „Da müssen wir leider noch warten, denn das hier ist nur ein Teil von deinem Geschenk." Was auch immer er zusätzlich noch hatte – mir war es eigentlich egal, denn diese ganzen süßen Ideen zeigten nur, wie sehr er mich liebte. Er war einfach einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben und ich könnte mir es einfach nicht ohne ihn vorstellen.

„Schau mein Liebling!" Florian schaltete den Laptop ein und startete eine Bildershow. Es waren Bilder von unserem Urlaub vor genau 15 Jahren. Ich konnte mich noch zu gut daran erinnern, denn es war ziemlich chaotisch gewesen.
Eigentlich wollten wir bei Florian's Eltern feiern, aber die haben kurzfristig eine Reise gewonnen. Leider waren wir schon in München und mussten deswegen am 23.12. –einen Tag vorm Weihnachtsfest, auf der Autobahn verbringen.
Was blieb natürlich nicht aus? – Stau. Geschlagene 4 Stunden verbrachten wir im Stau, wegen irgendeiner Vollsperrung. Es war eiskalt und letztendlich ist auch noch die Autoheizung ausgefallen. Zum Glück hatten wir eine Decke im Auto. Wir hätten noch 3 Stunden fahren müssen, aber weil es einfach zu kalt war, beschlossen wir in einer kleinen Stadt bei der nächsten Ausfahrt erst mal einen Stopp einzulegen, um uns irgendwo aufzuwärmen.
Wir suchten also nach einem Hotel – und wie das Leben so spielt, war nirgends ein Zimmer frei. Auch keine Ferienwohnungen standen zur Verfügung. Mir war eiskalt, meine Laune hatte ihren Tiefpunkt erreicht und trotzdem hatte Flori wieder eine Idee auf Lager.
In der kleinen Stadt gab es eine sehr alte, aber trotzdem gemütliche Gaststätte. Dort setzten wir uns rein, um etwas zu essen.
Obwohl es dann mittlerweile schon spät am Abend war, wollten wir nun doch noch nach Hause fahren, um wenigstens den Weihnachtstag zu Hause verbringen zu können. Also setzten wir uns ins Auto – was nicht mehr an ging. Der Motor war kaputt und nun wussten wir wirklich nicht mehr weiter.
Florian ging zurück in die Gaststätte und fragte nach einem Zimmer – leider hatten sie sowas nicht, doch im letzten Moment bot die nette Gastwirtin uns das Arbeitszimmer an. Sie wusste, dass vor allem zu Weihnachten die meisten Zimmer der Stadt ausgebucht waren – uns blieb sowieso nichts anderes übrig. Also nahmen wir das Zimmer dankend an und versuchten es uns gemütlich zu machen.
Die Nacht war ganz ok und am nächsten Morgen machten wir uns gleich auf den Weg zur Werkstatt. Natürlich musste es so kommen. Dieser eine Satz vom Angestellten hallte mir noch Stunden später im Kopf: „Es tut mir leid, aber das geht nicht mehr zu reparieren. Sie können sich zu Weihnachten ein neues Auto schenken."
Wir saßen also tatsächlich fest – an Weihnachten, irgendwo in einem Minidorf, abgeschottet von der Welt und vor allem ohne Unterkunft. FLo wusste genau, wie viel mir Weihnachten bedeutete. Gerade in diesem Jahr waren auch meine Eltern nicht zu Hause und niemand konnte uns abholen. Also verblieben wir weiter in der Gaststätte, was am Ende eines der schönsten Weihnachtsfeste meines Lebens wurde.
Die Besitzer hatten großes Mitleid mit uns. Außerdem waren sie riesen Fans von Florian. Am Abend, als alle Menschen mit der Familie beschäftigt waren, knipste die nette Frau die Weihnachtsbeleuchtung an, stellte das gesamte Essen, was sie vorbereitet hatte, auf den Tisch und zu viert – die beiden Besitzer der Gaststätte und Florian und ich – genossen gemeinsam ein wunderbares Weihnachtsfest. Im Hintergrund lief leise Musik und irgendwann begann ich mitzusingen. Der Mann kramte seine Mundharmonika aus einer Schublade und es entstand ein wunderbares Gefühl – einfach einzigartig.

„Hach Flo. Das war eines unserer schönsten und chaotischsten Weihnachtsfeste." –„Ich weiß..." kicherte er „Und wir hatten nicht mal Geschenke für uns." Er hatte recht, aber das war an diesem Tag auch überhaupt nicht wichtig für mich.
„Deswegen reiche ich dir das Geschenk jetzt nach." – „Jetzt?" fragte ich verwirrt. Flo nickte stolz und eine kleine Holzfigur vor meine Augen.
„FLO!" rief ich und fiel ihm sofort um den Hals. Die kleine Holzfigur stand als Deko auf dem Tresen der Gaststätte und gefiel mir so sehr. Leider war es ein Unikat, der Vater der Besitzerin hatte die kleine Figur kurz vor seinem Tod für sie geschnitzt.
„Flori? Woher hast du die denn?" fragte ich nochmals, sehr erstaunt. „Dir hatte die Figur so gefallen... Ich habe es der Frau erzählt, wie du davon geschwärmt hast und sie hat sie uns dann geschenkt. Sie meinte nur, dass sie es spürt, dass wir zusammenpassen wie kein anderer. Und dann meinte sie, ich soll dir die Figur an einem ganz besonderen Weihnachtstag schenken. Jahrelang habe ich mich gefragt, ob es der richtige Zeitpunkt wäre und dieses Jahr – ist er es. Das spüre ich."

Er war so süß! So lieb. „Florian Silbereisen! Du bist der perfekteste und liebste und beste und schönste Mann, den man sich nur vorstellen kann."

Wir schauten uns gemeinsam die Bilder an, bis meine Augen immer kleiner wurden und ich anscheinend überglücklich und zufrieden einschlief...

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