Als ich aufwachte und nach drüben schaute, schlief Flori immer noch. Ich wollte aufstehen und Frühstück vorbereiten, als ich beim Auftreten plötzlich zusammensackte. „Au! Mist!" fluchte ich laut.
Sofort saß Flo im Bett: „WAS? HELENE?" - „Alles gut" beruhigte ich ihn. Er kletterte übers Bett zu mir und setzte sich neben mich: „Warum schreist du dann >au<?". Er hatte mich ertappt: „Mein Fuß tut weh." Vorsichtig legte ich mein Bein hoch und Flo machte die Rollläden hoch, dann schaute er sich meinen Fuß an: „Schatz, das sieht alles andere als gut aus." - „Ich kann aber jetzt nicht >alles andere als gut< gebrauchen" antwortete ich genervt. Flo grinste und ging dann ohne Wort aus dem Zimmer.
Kurz darauf kam er wieder: „Hier, diesmal ist das Kühlpack gefroren. Was möchtest du anziehen? Ich leg's dir raus und dann fahren wir zum Arzt." Das konnte doch nicht wahr sein: „Flo, du weißt genau was heute ist, wir können jetzt nicht zum Arzt!" - „Ja, aber es geht doch erst 14:00Uhr los. Das schaffen wir, vertrau mir."
Ich hatte keine Chance auf Widerstand, also nahm ich die Sachen, zog sie an und Flo stützte mich auf dem Weg nach unten. Im Flur setzte ich mich auf die Treppe und mein Liebling ging nochmal hoch.Er schaute in die Zimmer der Kinder, beide schliefen noch. Vorsichtig weckte er Sophia: „Süße... Wir sind kurz weg, wir kommen gleich wieder, wundert euch nicht, ja? Pass auf deinen Bruder auf. Unten steht Frühstück und macht keinen Unsinn." Sie nickte müde und Flo kam wieder herunter.
Ich hatte inzwischen einen Schuh angezogen, den anderen hielt ich in der Hand: „Den kann ich nicht anziehen." schmollte ich.Als Flo fertig war, hob er mich plötzlich hoch und trug mich ins Auto: „So geht's wirklich schneller." sagte er entschlossen. Dann ging's los.
Nachdem der Arzt mich untersucht hatte, kam er wieder ins Behandlungszimmer und erklärte: „So Frau Fischer. Eine Sehne ins ihrem Fuß ist leider angerissen. Sie bekommen jetzt einen Stützverband, eine Salbe und Krücken. Den Heilungsprozess müssen wir beobachten und dann sehen wir in ein - zwei Wochen weiter." Ich verdrehte die Augen >Krücken< - na super. Ich nahm die Dinger und wir fuhren schnell wieder nach Hause.Die Kids schauten mich verwirrt an und wir erzählten ihnen alles.
Der Vormittag verging schnell und dann war es soweit - die Beerdigung stand bevor. In mir herrschte ein mulmiges Gefühl.Wir fuhren zum Friedhof, die Trauerfeier begann und dann wurde der Sarg zum Grab getragen. Markus und Erika waren am Ende, die Kinder standen nah an mir und weinten und ich versuchte einfach nur stark zu bleiben. Von hinten hielt Flo seine Hände an mich, um mich zu beruhigen. Unsere Eltern wussten auch nicht, was sie tun sollten und dann wurde der Sarg in die Erde gelassen.
Jetzt konnte auch ich nicht mehr stark bleiben, denn im Hintergrund wurde wieder „Let it go" gespielt. Ich hatte das Gefühl innerlich zusammen zu brachen, weil vor meinen Augen immer wieder das Bild von Amelie und mir auftauchte. Selbst die Rede des Pfarrers konnte ich nicht verfolgen, ich stand da wie eine leere Hülle und dachte mir die ganze Zeit >stark bleiben, stark bleibe<, doch irgendwann ging es nicht mehr. Ich konnte doch nicht zusehen, wie meine Nichte begraben wird.Schnell ging ich mit meinen Krücken aus der Masse und setzte mich auf eine Bank, weit abseits von allen anderen. Flo kam mir gleich nach und setzte sich neben mich. Er nahm mich wortlos in den Arm - das tat so gut. „Ich habe eine Idee!" schluchzte ich „Wir müssen nachher darüber reden. Mit der Idee können wir vielen Familien mit demselben Schicksal helfen." - „Das ist gut mein Lenchen." Flo gab mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn und streichelte über meine Rücken.
Plötzlich war ich ganz entschlossen: „Es ist nicht richtig, dass wir hier sitzen! Komm wir gehen zurück! Vergiss die Luftballons nicht." Die Kinder hatten mit uns gemeinsam eine Überraschung vorbereitet. Nachdem der Sarg begraben war, wollten wir viele bunte Luftballons, mit Papagaienbildern aufsteigen lassen und genau das taten wir! Es sah wunderschön aus im Himmel. Ich umarmte Erika und sie flüsterte vor sich her: „Amelie, das sieht für dich doch sicherlich toll aus! Der rote ist meiner, den kannst du für immer behalten." Sie war so süß und ich drückte sie noch enger an mich.
Unsere Familie blieb noch kurz vor dem Grab stehen, bis wir uns zur Feier aufmachten. Wir wollten nicht unglücklich sein, sondern fröhlich, auch wenn es sehr schwer fiel.Der Nachmittag verging wirklich schnell und nachdem alle Freunde, Familienmitglieder und Anwesende das Haus von Markus und Erika verlassen hatten, wollten wir auch gehen. Markus und Erika kamen zu Flo und mir und begannen zu reden: „Danke, dass ihr da seid! Ihr unterstützt uns wirklich und das ist nicht selbstverständlich. Wir wissen doch wie schwer es euch selbst fällt. Danke." Erika nahm mich nochmal in den Arm und jetzt spielten Tränen aus Freude und Trauer mit.
Die Kinder saßen schon im Auto und wir gingen nach.
Zu Hause angekommen setzten wir uns alle ins Wohnzimmer, machten den Fernseher an und schwiegen einfach - es war wirklich schwer für uns alle, aber jetzt konnten wir abschließen.
In den nächsten Wochen versuchten wir unser Leben weiterzuleben und kamen langsam wieder an.
In einem Monat war Weihnachten und davor hatten Florian und ich einen gemeinsamen Termin bei der Sendung von Carmen Nebel, wo sie Geld für Krebspatienten und andere Kinder mit schlimmen Schicksalen halfen. Denn meine Idee nahm immer mehr Form an - Flo und ich waren dabei ein Kinderhospiz zu errichten. Nebenbei sammelten wir spenden für die Krebsforschung.
Das Kinderhospiz sollte für die Familien sein, welche kaum noch Hoffnung besitzen und damit sollte den Kindern wenigstens eine wunderschöne Zeit geschenkt werden. Das Problem ist, dass sich viele betroffene Familien an uns wendeten und erklärten, dass sie kaum Geld für den Platz und andere Versorgungen des Kindes hatten. Deswegen übernahmen Flo und ich von allen Kindern, die dort leben sollten, die Hälfte der Behandlung und komplett den Platz im Hospiz. Wir hatten genug Geld, deswegen war es für uns gar keine Hürde.
Das Kinderhospiz war gerade im Bau und sogar unsere Kinder halfen mit verschiedensten Sachen mit, Spenden und Geld zu sammeln.Es tat einfach nur gut zu wissen, wenigstens einen kleinen Anteil des Leidens verhindern zu können.
Und auch dieser Monat verging ziemlich schnell, wir standen kurz vor der Sendung bei Carmen Nebel.
Ich hatte immer noch die dummen Krücken, weil die Sehne im Fuß ganz durch war, aber ich wusste, es gibt schlimmeres im Leben.
Einen Tag vor der Sendung passierte dann das, was ich nie gedacht hätte...
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Geradeaus
DiversosHelene gründet eine Familie, wodurch sie Höhen und Tiefen erlebt. Gemeinsam stehen sie alles durch!