Kapitel 177

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„Lenchen...sie...sie meint es bestimmt nicht so..." – „Wie denn dann?" Meine Stimme wurde ungewollt lauter, doch die Wut in mir zerriss fast meine Seele. „Tut mir leid..." murmelte ich, während ich langsam aufstand und zur Garderobe ging.
„Kein Ding, aber...wo willst du hin?" – „Ich brauche frische Luft!" Florian schaute mich verwirrt und extrem besorgt an. „Warte ich komm mit!" antwortete er, doch ich machte nur eine abwertende Handbewegung und verließ sofort das Haus. Im Rausgehen rief ich meinem Schatz noch hinterher: „Bitte kümmer dich um Felix, ich muss einfach alleine sein, bitte! Pass auf den Kleinen auf und wenn das Fieber steigt hol einen Arzt!"

Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und ich betrachtete einige Minuten einfach nur die wunderschön, verschneite Landschaft, wobei ich noch mehr die Kälte und frische Luft um meine Ohren genoss. Laut hörbar atmete ich ein und aus. Für einen Moment war alles wie weggeblasen. Wie verweht. Ganz weit weg von mir. Aber doch eben nur für diesen einen, klitzekleinen Moment.

Langsam ging ich die Straße entlang und folgte meinen Beinen, die mich fast automatisch ins Nirgendwo brachten. Es dauerte nicht lange, da kam ich an dem kleinen Wäldchen ein und vor mir ergab sich die Abzweigung, die zu dem Haus meiner Eltern führen würde.
'Nein' dachte ich mir und wurde dabei immer schneller. Auch wenn der Wald im Schnee, so ganz allein, ohne eine weitere Menschenseele ziemlich unheimlich aussah, entschloss ich mich meine Einsamkeit zu genießen, um einfach abzuschalten. Ich wählte also nicht den Weg zu meinen Eltern und ging auf den kleinen Feldweg, mitten zwischen den Bäumen.
Eigentlich war es wirklich verwunderlich, warum niemand dort war. Sogar die Sonne zeigte sich an diesem Tag von der besten Seite, was meiner Laune überhaupt nicht entsprach.

Meine Gedanken wirbelten nur so umher und immer wieder fragte ich mich, was ich falsch gemacht habe. Und immer wieder hatte ich keine Antwort parat. Und immer wieder stieg die Wut auf meine Tochter ins Unermessliche. Das konnte doch keine Eifersucht sein. Ich habe Sophia schon immer genau so sehr geliebt, wie ihren Bruder und bis jetzt war immer alles so harmonisch. Ich war so stolz auf meine Familie. Es gab einfach keine Erklärung für ihr Verhalten.
„Hallo hübsche Frau..." von hinten ertönte eine mir unbekannte Stimme. Ich drehte mich gar nicht erst um, in der Hoffnung, dass es nur ein Journalist war, der mich gleich in Ruhe lässt. „Hallo, habe ich gesagt..." Wieder versuchte ich diese intensive und drohende Stimme einfach auszublenden und irgendwann hörte ich tatsächlich Schritte, die sich immer weiter von mir entfernten.
Mein ganzer Körper zitterte vor Angst, die Situation war mir so unheimlich, dass ich beschloss sofort umzukehren, doch die Fußstapfen im Schnee hielten mich davon ab.

Es war riesige Fußstapfen, sicherlich hatte der unbekannte Mann eine noch größere Schuhgröße als Flo. Seltsamerweise bogen sie rechts ab und endeten hinter einem Baum.
Angespannt versuchte ich so unauffällig wie möglich weiter zu gehen und holte dabei mein Handy aus der Jackentasche. Ich tippte Flos Nummer ein und schaute immer wieder um mich. Und nochmal. Und nochmal. Es war immer noch keiner zu sehen, weswegen ich langsam, mit zitternden Händen das Telefon an mein Ohr hielt.

„Flo?" fragte ich leise und ziemlich unsicher, noch bevor sich mein Schatz überhaupt gemeldet hatte. „Helene? Was ist los?" Als wäre er selbst dabei gewesen, merkte Florian sofort, dass etwas nicht stimmt und einmal im Leben war ich unendlich dankbar über dieses Talent von ihm.
„B-bitte, hol mich...hinter mir...ist jemand...er..." Vom anderen Ende der Leitung war nur noch ein seltsames Rascheln zu hören. „Flo?...Flo?..."...


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