Kapitel 179

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 „Flo! Sie werden Sophia weh tun, sie werden sie umbringen!" schrie ich laut und ließ mich gleich in seine Arme fallen. „Du musst dich beruhigen! Ganz ruhig, wir werden sie finden! Das verspreche ich dir. Hörst du?" Ich nickte zurückhaltend, konnte aber die Angst aus Florians Stimme genau heraushören.
Durch ein lautes Husten machte Felix auf sich aufmerksam. Ich setzte mich neben ihn und streichelte behutsam über meine Stirn, die erschrecken warm war. „Mein Kleiner...du musst schnell wieder gesund werden!" Ich konnte es nicht vermeiden, dass sich einige Tränen den Weg über meine Wangen bahnten. „Muss Sophia sterben?" fragte Felix traurig und kuschelte sich eng an mich, während ich die Decke noch höher zog. „Nein, auf keinen Fall...sie darf nicht sterben..." Schnell stand ich auf, wodurch mein Sohn erschöpft zurück aufs Sofa fiel. Er wollte mich etwas fragen, doch ich war nicht stark genug. Schnell rannte ich ins Bad, schloss mich darin ein und ließ meinen Tränen freien Lauf. Wir hatten uns gestritten und vielleicht war das das letzte Mal, dass ich meine kleine Sophia gesehen habe.
„Schatz, bitte mach auf!" Florian klopfte leise an die Tür. Es dauerte ein bisschen, bis ich sicher auf den Beinen stand und zur Tür kam. Traurig schloss ich sie auf und fiel meinem Mann gleich wieder in die Arme. „Ich habe die Polizei informiert! Sie wollen gleich da sein. Und du musst auch untersucht werden!" Ein Blick in den Spiegel ließ mich Flos Worte verstehen. Meine Lippe war stark angeschwollen und meine Nase blutete immer noch ein bisschen – nicht auszuschließen waren die psychischen Schäden, die mir das Arschloch angetan hatte.

„Kommen sie herein!" Freundlich öffnete Florian die Tür, zwei starke, große Männer traten ein und kamen sofort ins Wohnzimmer. Wir hatten Felix inzwischen hoch auf sein Zimmer gebracht, weil er nicht so viel davon mitbekommen sollte.
„Gute Tag Frau Fischer! Ihr Mann hat uns schon einige Details erzählt. Sie wissen aber, dass Sie uns den Tatvorgang noch genau beschreiben müssen! Haben Sie irgendetwas gesehen?" Erschöpft schüttelte ich den Kopf. Selbst wenn ich etwas gesehen hätte, wäre es mir zu diesem Zeitpunkt nicht eingefallen. Mein Gehirn war nicht zu gebrauchen. Sophia wurde entführt und alles war meine Schuld. Einzig und allein meine Schuld.
Florian kam mit einem Tablett ins Wohnzimmer und stellte es auf den großen Glastisch. Die Polizisten setzten sich jeweils auf einen Sessel, während Flo nah an mich auf das Sofa rückte. Er legte seinen linken Arm um meine Schultern, damit ich mich an ihn heran kuscheln konnte. Vereinzelt liefen mir Tränen über die Wangen, als ich alles versuchte wieder zu geben. Bis ins kleinste Detail. Es hätte alles von großer Bedeutung sein können, auch wenn es mir unendlich weh tat.
Ich zuckte hoch, als plötzlich das Telefon eines Polizisten klingelte. Er ging kurz nach draußen, während der andere versuchte uns ruhig zuzureden und uns einiges erklärte: „In letzter Zeit haben wir solche Verbrechen aufnehmen müssen. Die Anzeichen sind immer dieselben. Es scheint eine fiese Bande zu sein, die gerade um Silvester herum die Feierstimmung ausnutzt." - „Was sind denn die Anzeichen?" fragte Flo etwas schüchtern, wie ich es von ihm gar nicht kannte. „Das...ich kann es Ihnen jetzt nicht sagen!" Meine Augen wurden immer größer, weil ich ganz genau wusste, worauf er hinaus wollte: „Sagen Sie es doch! Leichen! Kinderleichen, Frauenleichen! Was weiß ich!"
Wütend sprang ich vom Sofa und schlug meine Hände gegen die Wand, bis Flori mich sanft zurück zog. „Schatz, Sophia ist hart im Nehmen, sie schafft das!" - „Weißt du noch! Als sie im Krankenhaus lag und schon mal fast gestorben ist? Ich halte das nicht aus! Hörst du! Nie wieder!" Florian wusste ganz genau, dass diese Zeit der wunde Punkt in unserer Familie war. Genau wie Amelies Tod. Urplötzlich verstummte er und ich hatte das Gefühl, dass er an diesem Abend auch nicht mehr vor hatte, etwas zu sagen, als auf einmal der andere Polizist wieder in den Raum trat und seinen Kollegen schief musterte.
„Kommst du bitte kurz?" sagte er und ging in eine Ecke. „Es wurde eine Kinderleiche gefunden, ca. 10 Jahre alt. Fünf Straßen weiter." Obwohl er sich um einen leisen Ton bemühte, hatten wir jedes Wort verstanden, jedes einzelne Wort.
„NEIN!" schrie ich. „Das können Sie nicht sagen! Das geht nicht! Ich..." Aggressiv ging ich auf den Polizisten zu und drückte ihn unsanft gegen die Tür. Noch nie hatte mich jemand so erlebt – ich kannte diese Seite selbst nicht von mir. „Sie können mir jetzt nicht sagen, dass meine Tochter tot ist!" - „Frau Fischer!" Vorsichtig versuchte er sich aus meinem Griff zu befreien, doch er hatte erst eine Chance, als sich Flo hinter mich stellte und einfach in den Arm nahm. „NEIN! Florian! Sie ist tot! TOT!" Es war einfach alles zu viel. Schlagartig rutschte ich zu Boden und begann laut zu schreien: „Unsere Tochter ist tot!"...

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