Kapitel 193

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 „Das Talent, was unsere Tochter in Bezug auf Musik hat, hat der Kleine auf jeden Fall im Zeichnen!" sagte ich glücklich und hielt die Bilder nah an meine Brust. Danach schloss ich meine Augen und genoss die Stille.
Erst, als lange Zeit, niemand von uns beiden etwas sagen, begannen die schrecklichen Gedanken erneut in meinem Kopf herum zu wirbeln. Mir stiegen automatisch die Tränen in die Augen, was Flo natürlich nicht entging. „Maus, was ist los?" fragte er ganz besorgt, wobei er mein Gesicht musterte. „Es ist nur...Sophia. Wie sollen wir weiter machen...wenn...wenn sie nicht mehr laufen kann? Wie sollen wir ihr das erklären? Diesem Wirbelwind...Flo das...ich kann das nicht!" Weinend ließ ich mich gegen seinen Brustkorb fallen. Seine zärtlichen Berührungen taten gut und beruhigten mich tatsächlich sehr schnell.
„Weißt du, was ich jetzt will? Ich will einfach nur noch zu meiner Tochter!" seufzte ich und starrte dabei an die Wand. Jede Sekunde ohne Sophia tat mir weh. Es war diese ständige Ungewissheit, die in mir herrschte. Diese Angst nicht bei ihr sein zu können, wenn ihr etwas passiert. „Okay Schatz....Ich werde das mit dem Arzt regeln, aber bitte ruh dich solange noch aus!" Ich nickte erschöpft und schloss meine Augen erneut, als Florian das Zimmer verließ.

„Taxi ist da...meine bezaubernde Ehefrau..." Verschlafen schlug ich meine Augen auf. Ich blickte direkt in Florians grinsendes Gesicht. Hinter ihm stand ein Rollstuhl, der nicht sehr einladend aussah. „So schnell ging das?" fragte ich verblüfft, erhielt aber nur ein lautes Lachen als Antwort. „Schnell Maus? Du hast fünf Stunden geschlafen." Erschrocken setzte ich mich auf. Dabei durchzog mich ein hässlicher, stechender Schmerz, weswegen ich mein Gesicht verzog. „Fünf Stunden?" fragte ich angestrengt und legte mich zurück in das Kissen. Florian nickte nur und half mir dann vorsichtig in den Rollstuhl.
Ich mochte dieses Ding nicht und trotzdem ließ ich es über mich ergehen – nur für Sophia.
In meinem Körper herrschte zu dieser Zeit eine seltsame Mischung von Gefühlen. Ich freute mich unglaublich meine Tochter wieder zu sehen und trotzdem beherrschte mich die Angst vor neuem Unglück. Die Angst, dass jederzeit etwas passieren könnte – auch mit Felix. Immerhin waren diese unbekannten Männer noch immer nicht gefangen und hinter Gittern.
„Nicht so viel nachdenken!" forderte Flo und holte mich mit seiner lauten Stimme aus meinen Gedanken. Ich lächelte schüchtern und lehnte mich entspannt zurück.
Meine Hände zitterten, als wir der ITS immer näher kamen. Dieser abartige Geruch, den man im Krankenhaus immer in der Nase trug, schreckte mich total ab. Florian griff von hinten nach meiner Hand, wodurch ich tatsächlich viel Halt gewann.

Nachdem wir uns die Schutzkleidung über gezogen hatten konnten wir endlich das Zimmer unserer Tochter betreten. Zu meiner Verwunderung wirkte Sophia um einiges fitter. Auf ihren Lippen bildete sich sofort ein breites Lächeln, als sie mich sah.
„Mami!" rief sie und streckte dabei angestrengt ihre Arme nach mir aus. Ich wollte zu ihr, ihr antworten, doch stattdessen begann ich laut zu schluchzten und schämte mich für meine aufsteigenden Tränen. Florian drehte den Rollstuhl um und kniete sich vor mir, sodass ich seinem intensiven Blick nur schwer ausweichen konnte. Er nahm meine Hände sanft von meinem Gesicht und küsste mich auf die Wange: „Helene, wir schaffen das! Aber wir müssen für Sophia stark sein, versprichst du mir das?" Zurückhaltend nickte ich. Seine Worte waren wirklich wahr, weswegen ich mich versuchte zusammen zu reißen.

Tatsächlich lockerte sich die Stimmung. Wir lachten ausgelassen und konnten Sophia schnell von ihren Schmerzen ablenken. Doch dann stellte sie eine Frage, die sowohl mich, als auch Florian aus der Bahn warf. „Meine Beine sind immer noch taub, aber das wird schon. Ist nach Operationen normal – das weiß ich. Ich habe vorhin schon jemanden im Rollstuhl gesehen. So ein richtiger Krüppel. Damit könnte ich glaube nie leben..." kicherte sie, doch uns wurde ganz anders...

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