Kapitel 189

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 „Schatz...ich bin dir nicht böse! Ja...es hat mich verletzt, aber wir brauchen jetzt unsere Kraft für Sophia und Felix. Versprichst du mir, dass du nicht aufgibst?" Ich war selbst erstaunt über meine Worte. Sonst war ich immer diejenige, die negativ dachte und keine Hoffnung hatte. Aber ich spürte, dass ich in diesen Augenblick für Florian stark sein musste, so wie er es immer für mich gewesen war. „Ja meine Maus, du hast Recht!" seufzte er und ich konnte im Augenwinkel erkennen, wie er sich die Tränen aus dem Gesicht strich.
Er schnappte sich meine Hand und hielt die Tür auf, damit ich herein fahren konnte. Sofort stockte ich. Sophia lag auf dem Bett, an tausenden Schläuchen angeschlossen, so hilflos und wie früher. Mir stiegen die Tränen in die Augen und ohne das ich es verhindern konnte, rannten sie in Bächen über meine Wangen. „Das kann nicht sein! Das ist so unfair!" schrie ich und begann hektisch zu atmen „Warum schon wieder sie? WARUM? FLORIAN, WARUM?" Mit letzter Kraft versuchte ich mich aus dem Rollstuhl zu befreien. Ich ging wie in Trance auf das Bett meiner Tochter zu und merkte überhaupt nicht, dass ich keinen Schritt vorwärts kam. In meinen Gedanken kam ich immer näher, in der Realität blieb ich wie angewurzelt stehen und bewege mich keinen Zentimeter.
Erst, als ich eine warme Hand an meinem Oberkörper spürte, die mich vorsichtig zurück in den Rollstuhl drückte, war ich wieder geistig anwesend. Florian blickte mir tief in die Augen und hockte sich, damit wir auf einer Augenhöhe waren. Er legte seine Hand an meine Wange und streichelte sanft darüber. Ich schloss dabei meine Augen und atmete tief durch. Tatsächlich beruhigte mich diese Situation. Flo gab mir unheimlich viel Kraft, die ich mehr als gebrauchen könnte.
„Komm Lene, wir gehen zu Sophia..." Langsam schob mich mein Mann an das Bett heran. Zitternd griff ich nach Sophias Hand, die leblos auf der Matratze lag und aus der dünnen Bettdecke heraus ragte. Mir kullerte eine letzte Träne über die Wange, ehe ich mich richtig zusammen nahm.
„Hey mein Mäuschen...du...bist ganz stark! Wir sind unglaublich stolz auf dich, dass du das hier alles so tapfer meisterst." Die piepsenden Geräusche der unzähligen Maschinen verwirrten mich. Sie störten sämtliche Gedankengänge, weswegen Florian weiter redete. „Wenn du wieder aufwachst unternehmen wir etwas ganz besonderes! Alles, was du dir wünschst!" Ich nickte nur und lehnte mich ein bisschen an ihn, um Halt zu finden.
Mich durchzog ein heftiger Schmerz, als Sophias Gerät lauter wurde und man hören konnte, wie sie beatmet wurde. Es klang so künstlich, dass ich tatsächlich das Gefühl hatte, sie würde in der nächsten Sekunde einfach so ersticken. „Nicht sterben Sophia!" rief ich ungewollt laut und hasste mich dafür alle meine Gedanken laut aussprechen zu müssen. Florian sah mich seltsam und ängstlich an. Auch ihm stiegen die Tränen in die Augen. „Helene, sie wird nicht sterben! Sie ist unsere Tochter. Sie ist stark! Hörst du?" Ich nickte nur, obwohl sämtliche Hoffnung, die vor dem Eintritt ins Zimmer noch da gewesen war, längst erlosch.
Wieder griff ich nach Sophias Hand, die sich eiskalt anfühlte. Ich zuckte kurz zurück. Anfangs hatte ich Probleme Leben in ihrem blassen Körper zu erkennen, Flo half mir dabei. Er begann Geschichten zu erzählen – Geschichten von Ausflügen, Urlauben und gemeinsamen Auftritten. Der Gedanke, dass sie nie wieder aufwachen könnte, nahm mir den Atem. Es war wie ein Stich ins Herz.
„Ich muss hier raus!" schluchzte ich und hielt beide Hände beschützend vor meine Augen. Jedes noch so kleine Geräusch machte mich wahnsinnig. Ich stand kurz davor durch zu drehen. Alles schallte schrecklich und dann passierte es. Ein Arzt trat ins Zimmer und schaute uns mitleidig an. Er atmete hörbar tief ein und sah sich einige Werte unserer Tochter an, die er mit einem Kopfschütteln kommentierte.
„Was ist mit ihr?" fragte Florian, der ebenso viel Angst hatte, wie ich. „Das würde ich gerne mit Ihnen im Büro besprechen!" Diese Stimme sagte mehr als tausend Worte. Die Angst verpuffte und Wut stieg stattdessen in meinem Körper auf. „Jetzt reden Sie nicht um den heißen Brei herum, was ist mit Sophia?" Ich erschreckte selbst über den aggressiven Ton, der in meiner Stimme lag. „Es...ich...die Werte ihrer Tochter sind schlecht. Wenn nicht sogar miserabel! Wenn es sich in den nächsten 24 Stunden nicht ändert...müssen wir die Maschinen abstellen. Alles weitere ist nicht zu verantworten!" - „NEIN! Das dürfen Sie nicht. DAS IST UNSERE ENTSCHEIDUNG!" brüllte Florian und bekam nur das Kopfschütteln des Arztes. „Es ist die medizinisch korrekte Entscheidung. Wir müssen die Maschinen abstellen, weil ihre Tochter sonst stirbt. Es wird eine Sekundenentscheidung sein. Wenn sie aufwacht, gibt es Hoffnung auf Besserung, wenn sie nicht aufwacht...wird sie sterben. Es tut mir leid Ihnen das sagen zu müssen, aber...medizinisch gesehen...ist es fast unmöglich, dass sie überlebt!"...

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