Kapitel 188

202 11 0
                                    


Kurz genoss ich einfach nur seine Anwesenheit, Florians zärtliche Berührungen. Trotzdem ging es mir schlecht. Tausende Gedanken umkreisten meinen Kopf, es fiel mir unglaublich schwer mich zu konzentrieren und wie aus dem Nichts stiegen auch noch Tränen in meine Augen. „Schatz, was hast du denn?" fragte Florian besorgt, während er beruhigend über meinen Rücken strich. Ich konnte und wollte es ihm nicht sagen. Er hatte mich im Stich gelassen. Plötzlich fühlte ich nichts mehr für ihn. Nichts außer Enttäuschung. „D-du...hast mich allein gelassen. Warum hast du das getan?" schluchzte ich und wandte mich dabei von ihm ab. „Lene...ich, es tut mir leid! Wirklich!" Ich konnte seinen Worten nicht mehr trauen, obwohl ich es gewollt hätte. Ich fühlte mich hintergangen und allein gelassen. Auf einmal brannte jede Berührung von Florian auf meiner Haut, wie Feuer. „Helene, schau mich an!" bettelte er, doch ich wollte nicht. „Geh einfach!" schrie ich, was mir erneut Schmerzen bereitete. Doch keine Schmerzen waren schlimmer, als die, die mir Florian zugetragen hatte. „Lenchen, ich..." - „Ich will nichts mehr hören! Mir ging es schlecht und du...hast mich einfach allein gelassen." Ich hörte, wie mein Mann sich langsam von meinem Bett entfernte. Er wollte gerade aus dem Zimmer treten, als ihm ein Arzt zuvor kam.
„Guten Tag!" begrüßte er uns freundlich, mit einem mitleidigen Lächeln auf dem Gesicht. Ich wischte mir schnell die Tränen von den Augen und schaute dann zu ihm. „Ich wollte nur Bescheid sagen, dass sie jetzt zu ihrer Tochter könnten. Frau Fischer, ich würde Ihnen einen Rollstuhl besorgen, aber die Infusion müssen Sie mitnehmen, das ist wirklich eine Ausnahme!" Unsicher zeigte er mit seinem Finger auf den großen Ständer, an dem die durchsichtige, wässrige Lösung hin, welche seit einigen Stunden in meinen Körper floss. Ich nickte freundlich und versuchte mich aufzusetzen. Weil mein Körper ohne Hilfe dafür zu schwach war, half mir Florian dabei. Wir beide sahen uns jedoch nur stumm an, keiner sagte ein Wort.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis wir endlich an der Intensivstation ankamen. Jeder weitere Meter drückte mehr auf meine Brust, bis ich Letzt endlich das Gefühl hatte keine Luft mehr zu bekommen. Es waren diese schrecklichen Erinnerungen, die mir durch jedes Bild, durch alle Angestellten und durch jede graue Wand, durch den Kopf schossen. Die Bilder an Amelie, kurz vor ihrem Tod und am aller meisten die Bilder von Sophia, wie sie früher schon einmal hilflos in so einem riesigen Bett lag, ohne das wir hätten etwas tun können. „Ist alles in Ordnung?" Florian kam mit seinem Gesicht nah zu mir heran. Er wusste, dass ich nicht mit ihm sprechen wollte, andererseits hatte ich mittlerweile schon ein schlechtes Gewissen bekommen. Mein Körper war ein einziges Durcheinander, was ich in diesem Moment einfach nicht ordnen konnte. Ich nickte nur und wartete vor Sophias Zimmer auf die Schutzkleidung, welche wir uns überziehen mussten.
Noch bevor wir den Raum betraten, stoppte ich den Rollstuhl und somit auch meinen Mann. Ich blickte Flo tief in die Augen und versuchte mir ein ernstgemeintes Lächeln abzuringen. „Schatz...es tut mir leid, ich wollte dich nicht anschreien. Ich liebe dich, nur...das, was du getan hast...das hat mir weh getan und...ich weiß nicht, ob ich es sofort verzeihen kann, aber ich liebe dich trotzdem, nur...ich finde wir sollten jetzt nicht zerstritten zu unserer Tochter. Auch, wenn sie..." Es fiel mir unglaublich schwer das nächste Wort auszusprechen. Es tat so weh und mein Körper zog sich zusammen, als ich den Satz ausgesprochen hatte „Auch, wenn sie im Koma liegt, kann sie alles hören und fühlen." Florian kniete sich zu mir auf Augenhöhe und streichelte mir liebevoll über die Wange. Er hatte Tränen in den Augen - etwas, was ich nicht von ihm kannte. „Es tut mir auch leid...bitte lass es uns kurz vergessen - für Sophia!" Ich erwartete, dass wir gleich reingehen, doch anders als erwartet, drehte sich Flori kurz zur Wand und schluchzte auf. Er stand total neben sich und langsam wurde mir klar, warum er anfangs so böse zu mir war...

GeradeausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt