Kapitel 157

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Er trug mich ewig lange, erst zum Fahrstuhl, dann durch die ganze Lobby – dabei ernteten wir natürlich verwirrte Blicke der Nachtmitarbeiter, was uns egal war - bis vor die Tür. Dort stellte er mich vorsichtig ab und stützte mich. Er presste einen lauten und erschöpften Seufzer hervor: „Du warst auch schon mal leichter." – „Hey!" beleidigt boxte ich ins seine Seite und als Wiedergutmachung gab Flo mir einen langen und sehr leidenschaftlichen Kuss.
„War doch nur Spaß!" und schon war ich wieder auf seinen Armen.
Ich schloss kurz meine Augen und kuschelte mich eng an ihn. Am  liebsten hätte ich diesen Moment für immer und ewig irgendwo eingeschlossen.

Irgendwie brachte mich das Gefühl zum Nachdenken. Urplötzlich erinnerte ich mich an unsere erste gemeinsame Nacht, das erste Treffen. Seine Augen schauten tief in meine und auch wenn wir erst viel später zusammengekommen waren, wusste ich vom ersten Moment an, dass eine spezielle Bindung zwischen uns besteht.
Auf einmal wurde ich aus meinen Gedanken gerissen: „Schatz, wir sind da! Mach die Augen auf."
Etwas zurückhaltend öffnete ich sie und musste sofort staunen: „Wow, Schatz!" – „Gefällt es dir?" Ich nickte eifrig. „Woher kennst du diesen Platz?" – „Ich war mal für einen Termin in Berlin, bin abends rumgelaufen und hier her gekommen. Ich dachte das wäre genau das richtige, um mal kurz abzuschalten."
Vorsichtig richtete ich mich auf und gab ihm einen Kuss.
Nochmal nahm er mich hoch und setzte mich auf einer kleinen Bank ab. Wir konnten genau auf einen kleinen See blicken – eher ein Teich. Genau – ein riesiger Teich. Auf der Wiese bildete sich gerade der Frost und kleine Eistropfen hingen an den kahlen Bäumen. Es war eine sternenklare Nacht und obwohl es eigentlich eiskalt war, fühlte sich der Moment warm, wohlig und behütet an.

Flo drückte mich mit seinem Arm an sich und ich legte verliebt meinen Kopf auf seine Schulter. Ein kleines Lächeln la auf meinen Lippen und wieder war dieses Gefühl von Familie sehr deutlich zu spüren. Es war mein Flo und für diesen einen, kurzen Moment vergaß ich wirklich alles.
Ein halb abgebissener Mond schien mir ins Gesicht, wir sagten kein Wort und trotzdem verstanden wir uns klar und deutlich. Erst als ich spürte, dass meine Augen wohl oder übel gegen die Müdigkeit ankämpfen mussten, veränderte mein Schatz seine Sitzposition und hob meinen Kopf ein Stück an: „Na komm Liebling, es ist jetzt langsam schon sehr kalt und ich sehe doch, dass du gleich einschläfst."

Er wusste einfach, was mir gut tat. Sofort nahm er mich wieder hoch und ging genau denselben Weg zurück, wie wir an diesen wunderschönen Platz gekommen sind. Noch schnell in den Fahrstuhl eingestiegen und schon waren wir wieder im Hotelzimmer.
Schnell zogen wir uns um und dann schliefen wir Arm in Arm – glücklich und ohne Sorgen ein. Dabei bemerkten wir nicht mal, dass es mittlerweile schon 4:00Uhr war.

Etwas warmes berührte meine Haut. Ich erschrak und saß ganz plötzlich im Bett. „Nicht erschrecken. Das ist nur dein Tee." Ich schmunzelte und nahm ihn dankend entgegen: „Aber erst noch einen Guten Morgen Kuss." Flo lachte laut auf. „Was?" fragte ich gespielt zickig. „Guten Morgen Kuss? Schatz, hast du schon mal auf die Uhr geschaut?" – „Nein wann denn?" Mein Blick wanderte sofort zum Wecker: „Oh..." kicherte ich. „Danke, dass du dein Versprechen eingehalten hast... Ich habe wirklich super geschlafen."
Es war inzwischen 14:50Uhr, aber da wir sowieso überhaupt nichts vorhatten und eigentlich nur den kalten Herbsttag trotzen wollten, war das nicht weiter schlimm.
Ich trank meinen Tee, aß etwas und dann kuschelten wir uns wieder ins Bett. Erst am Abend beschlossen wir in den Essenssaal zu gehen und dort zu essen.

Plötzlich fiel mir wieder Uwe ein: „Oh Gott Uwe!" rief ich entsetzt und leicht beschämt. Er saß schon am Tisch und lächelte uns nur an.
„Wie geht es dir? Hast du den Rausch gut überstanden?" fragte Flo aufmüpfig, aber mit belustigtem Hinterton. Er nickte und erwiderte gekonnt: „Und ihr? Noch schön in den Tag rein gelebt, am See?"

Ein kleiner Zeitungsbericht lag auf dem Tisch. Ich nahm ihn in die Hand und musste überrascht feststellen, dass Fotos von unserem nächtlichen Ausflug abgebildet waren. Normalerweise wären wir Beide sofort ausgerastet, aber die Wut verflog schnell, durch die Erinnerungen an den Moment.
Wir setzten uns wortlos und genossen das Abendessen.

Die letzten zwei Tage in Berlin vergingen schnell und nun konnten wir wieder nach Hause zu unseren Kindern. Immerhin war ja auch bald Weihnachten, was wir diesmal mit der gesamten Familie feiern wollten, um es Erika und Markus zu erleichtern...


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