Kapitel 190

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 Geschockt starrte ich in das Gesicht meiner Tochter. Ich sagte nichts, nur ein paar Stimmen drangen an mein Ohr. „Helene..." Florians Stimme brach. Er versuchte zwar stark zu sein, doch ihm was anzusehen, dass er es kaum schaffte „Ich glaube es ist besser, wenn ich dich aufs Zimmer bringe!". Durch aufsteigende Tränen verschwamm alles. Ich nickte abwesend und ließ mich aus dem Zimmer fahren. Der Arzt blieb bei uns. Er legte seine Hand beschwichtigend auf meine Schulter und zwang sich ein Lächeln auf.
Irgendwann fand ich mich im Bett wieder, ohne überhaupt zu wissen, wie ich dort hin gekommen war. „Versuch zu schlafen Prinzessin! Ich gehe nach Hause zu Felix!" Traurig verließ Flo das Zimmer. Ich war ganz allein.

An Schlafen war nicht zu denken. Ständig wachte ich wieder auf. Mir war heiß und ich hatte mehrmals das bedrückende Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Es fühlte sich an, als würde mir jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus. Ich drückte die Klingel und wartete, bis eine Schwester zu mir kam. Sie runzelte die Stirn, als sie mir ins Gesicht blickte. Ihr eiskalte Hand brannte auf meiner Haut. „Frau Fischer, bekommen sie gut Luft?" Traurig schüttelte ich den Kopf. Meine Augen wurde immer schwerer, aber ich versuchte gegen die Müdigkeit anzukämpfen. Ich konnte und wollte nicht schlafen. Nicht mit dem Wissen vielleicht aufzuwachen und dann Sophia nie mehr lebend wieder zu sehen. „Ich hole jetzt Ihren behandelnden Arzt. Er wird Ihnen ein neues Medikament geben, weil dieses gegen Ihr Fieber nicht anschlägt. Solange werde ich Ihnen ein Beruhigungsmittel verabreichen, damit Sie besser schlafen können." - „Nein auf keinen Fall!" hauchte ich mit dünner Stimme. Mein Hals kratzte, ich musste mehrere Male stark husten, ehe ich weitersprechen konnte. Ich schnappte mir den dünnen Arm der Krankenschwester und drückte fest zu. Mit flehenden Blick sah ich sie an: „Bitte! Ich muss wach bleiben. Für meine Tochter. Wenn sie stirbt, dann...ich muss bei ihr sein!" Mir entgingen die mitleidigen Blicke des Mädchen nicht. Sie verzog ihr Gesicht und streichelte behutsam über meinen Handrücken. „Ich verstehe Sie Frau Fischer. Es ist auch nachvollziehbar, aber in diesem Zustand können Sie Ihrer Tochter am aller wenigsten weiter helfen. Ich verspreche Ihnen, dass der Schlaf gut tun wird und das währenddessen auch nichts passiert." - „Danke..." murmelte ich und schloss meine Augen. Ich war zu schwach, um mich zu wehren, als ließ ich alles zu. Ich spürte eine Spritze in meinem Arm, ehe mein Gesichtsfeld langsam erlosch und ich in einen sehr ruhigen Schlaf fiel.

Am nächsten Tag hatte ich schreckliche Kopfschmerzen. Anfangs konnte ich meine Augen nicht öffnen, weil diese Stiche ständig Reize auslösten, die mir jede Menge Kraft entzogen. Irgendwann fühlte ich etwas kaltes an meiner Hand. Ich nahm alle Kraft zusammen und schaffte es mit lautem Stöhnen in die Welt zu blicken. Florian stand vor mir. Er hatte geweint, dass konnte ich in seinem Gesicht erkennen. Sofort begann mein Körper zu zittern. „S-sie...ist tot?" fragte ich mit brechender Stimme. Meine Kehle war ausgetrocknet. Es fiel mir unglaublich schwer überhaupt einen Ton über die Lippen zu bekommen. „Nein...ich bin froh, dass du wach bist. In einer Stunde..." Flo brach seinen Satz ab. Er drehte sich um und versuchte seine Tränen vor mir zu verbergen. Ich streichelte liebevoll über seinen Rücken, sagte jedoch nichts.
„Wie...geht es...Felix?" fragte ich abgehackt „Nicht so gut. Er hat eine Grippe, aber das ist nicht das Problem. Obwohl ich ihm die konkreten Details noch nicht erzählt habe, fühlte er, dass etwas nicht stimmt. Vor allem nachdem ich ihm heute verbieten musste zu dir zu kommen." Ich nickte traurig „Ist er jetzt bei meinen Eltern?" Flo nickte nur. Wenigstens unser Sohn wurde gut behütet. Ich machte mir solche Vorwürfe. Es war alles meine Schuld. Ich wollte gerade etwas sagen, als der Arzt das Zimmer betrat. Er begrüßte uns flüchtig, kam aber sofort zu seinem Anliegen. „Ihrer Tochter geht es sehr schlecht, wir müssen die Maschinen jetzt schon abstellen und schauen, was passiert. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut für ihren Körper ist, wenn Sie dabei sind..." meinte er zurückhaltend. Ich schüttelte schnell den Kopf: „Ich MUSS dabei sein! Bitte." - „Ok, ich hole einen Rollstuhl.".

Der Arzt trat erneut ins Zimmer. Gefolgt von einer etwas älteren Schwester, die einen Rollstuhl bei sich hatte. Florian half mir mich hineinzusetzen und hielt die ganze Zeit meine Hand, während wir die Intensivstation betraten.
Zitternd rollte ich in Sophias Zimmer. Noch bevor überhaupt etwas passierte brach ich in Tränen aus. Sie war noch immer so blass wie am Vortag. So leblos und kalt. Flo schob mich nach an ihr Bett, sodass ich die Hand meiner Tochter halten konnte. Seine Hand ruhte auf meiner Schulter. Es war still im Raum, nur die Geräusche der Maschinen waren zu hören.
„Es ist soweit. Wir holen Sophia jetzt aus dem künstlichen Koma. Ab jetzt ist ihr Körper ganz allein auf sich gestellt." Fertig mit den Nerven nickte ich. Hin und wieder kam mir ein Schluchzen über die Lippen, ansonsten war ich stumm und wie versteinert.
Von der einen zur anderen Minute war nur noch der Monitor, an dem Sophias Herzschläge aufgezeichnet wurden, zu hören. Die abgebildete Linie wurde immer flacher, bis sie gerade blieb und es lange, laut piepte.
Ich weinte und schlug um mich, bis Flo sich neben mich hockte und mir in die Augen sah. „Sie braucht uns jetzt!" rief er und richtete meinen Blick dann sanft auf unsere Tochter. Auch der Arzt legte seine Hand auf meine Schulter: „Geben Sie ihr Zeit...wir haben ab jetzt ca. 1 Min." Gebannt starrten wir auf die immer noch gerade Linie von Sophias Herzschlag...

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