Kapitel 181

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 „Helene, komm zurück! Helene, bitte!" Florian schien hinter mir zu sein. Es hatte begonnen kräftig zu schneien, weswegen mir es so gut wie unmöglich war, irgendetwas in der Ferne zu erkennen. „Maus! Bitte bleib stehen!" - „Lass mich in Ruhe!" schrie ich in die Weite und beschleunigte meinen Gang. Ich lief genau über den Waldweg, wie nur wenige Stunden vorher. Hinter mir waren immer wieder Geräusche zu hören. Ich zuckte auf, mein Atem wurde schneller und schneller. Es war schrecklich. Als wäre der Typ wieder da gewesen.


„Lassen Sie mich in Ruhe!" schrie ich laut, ohne mich umzudrehen. Die Schritte wurden lauter, sie kamen näher auf mich zu. „Hilfe!" wimmerte ich und bog ohne Vorwarnung mitten in den Wald ein, um irgendwie weg von dem Weg zu kommen.
Still bahnten sich unzählige Tränen den Weg über meine Wangen. Mein Kopf war voller Gedanken. Ich wusste nicht mehr weiter. Sophia, vielleicht war sie längst tot und wir hatten uns vorher noch gestritten. Es war alles meine Schuld. Alles meine Schuld.
„Bleib stehen!" Ich zuckte hoch, als die Männerstimme immer näher kam. Es musste Florian sein. Seine Stimme konnte ich erkennen. Trotzdem wollte und konnte ich nicht stehen bleiben. Ich musste weg. Raus. Einfach weg von allem, von dem Schmerz, von der hässlichen, dreckigen Welt, die einzig und allein aus Trauer und Gefahr bestand.


„Hau ab!" Für einen kurzen Moment drehte ich mich um und konnte Florian tatsächlich erkennen. Er sah mich traurig an und kam schnell auf mich zu. Seine Hand war kurz davor meinen Oberarm zu berühren, als ich mich hastig umdrehte und meinen Schritt noch mehr beschleunigte.
Die Bäume machten es mir sehr schwer zu rennen und trotzdem versuchte ich es. Auch wenn meine Kraft längst aufgebraucht war, schaffte ich es, mein Tempo wenigstens etwas anzuziehen. „Bitte, Helene, du denkst nur an dich!" Florians Stimme wurde lauter und klang plötzlich so bedrohend. Ich dachte überhaupt nicht daran, dass er selbst gerade eine schlimme Zeit durchmachte. Erneut zuckte ich zusammen, als seine aggressive Stimme an mein Ohr drang. „Du bist so selbstverliebt! Deine Tochter ist vielleicht tot und du hast nichts besseres zu tun als einfach abzuhauen! Auf so eine Mutter können unsere Kinder verzichten!" Ich blieb kurz stehen. Seine Worte schallten im ganzen Wald nach. Ich konnte förmlich spüren, wie mein Herz immer mehr zerbrach.
„Dann geh doch!" schrie ich so heftig, dass es mir fast die Kehle zuschnürte „Hau ab! Ich will euch nie wieder sehen!" Meine Stimme klang selbstbestimmt und fordern, obwohl das alles gar nicht meine Absicht war. Ich wollte das nicht und trotzdem steuerte mich mein Körper dazu. Er zwang mich. „Das werde ich tun! Und du wirst deine Kinder nie wieder sehen, wenn Sophia überhaupt noch lebt!" Ich konnte die Enttäuschung in Flos Stimme hören. Er weinte, er weinte laut und entfernte sich immer weiter von mir.


Ich selbst war am Ende. Nichts ging mehr. Gefühlte Stunden stand ich einfach nur da. Sogar die Kälte machte mir nichts aus. Es war mir egal, am liebsten wäre ich sofort gestorben, aber eine gewisse Hoffnung steckte in mir, die mir das alles verbot. Ohne wirklich klar darüber nachzudenken, zog ich meine Jacke aus und meinen Pullover, sodass ich lediglich im Unterhemd durch den Wald stapfte. Jeder Schritt fiel mir schwerer, jeder Atemzuge verursachte starke Schmerzen in meine Lunge, übertrumpfte somit meist sogar meine Gedanken.
„Dann lasst mich doch alle allein. Es hat sowieso keinen Sinn mehr!" Die Welt war stockdunkel, kaum ein Licht am Himmel war zu sehen. Ich wollte mich gerade einfach auf den Boden niederlassen, als ich ins Schlittern kam und einen lautes Geräusch hörte. Der Boden gab nach, einige Sekunden später spürte ich eiskaltes Wasser an meinem Körper, wodurch ich sofort erstarrte.
„Hilfe!!!" wimmerte ich, doch der stechende Schmerz schnitt mir die Stimme ab....

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