Kapitel 199

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 Felix kam leise ins Zimmer und setzte sich neben mich. Er streichelte mir liebevoll über den Rücken, woraufhin ich ihn sofort in den Arm nahm. Niemals hätte ich gewollt, dass mein eigenes Kind mich in dieser Situation sieht. Ich wollte vor ihm keine Schwäche zeigen, hatte in diesem Moment jedoch keine andere Möglichkeit.
„Mama, bitte weine nicht!" wisperte er nach einer langen, intensiven Stille. Noch bevor ich etwas erwidern konnte, hielt er mir ein kleines Foto vor die Augen. Es zeigte uns drei an Sophias Krankenbett, als sie schon einmal zwischen Leben und Tod stand. Zu dieser Zeit ging es ihr bereits viel besser. Die Freude darüber war so groß gewesen, dass wir sie mit dem Fotoapparat festgehalten hatten. Felix war damals noch sehr jung gewesen und trotzdem schien ihn diese Erinnerungen noch fest im Kopf zu sitzen. „Damals hast du auch schon immer gesagt, dass Sophia eine Kämpferin ist. Dass sie es locker schaffen wird. Und schau doch wie glücklich wir alle aussahen, obwohl es uns nicht gut ging. Diesmal wird es ganz bestimmt genau so!".
Schon alleine die Tatsache, dass mein Sohn unsere Situation gewissenhafter aufnahm als ich trieb mir erneut Tränen in die Augen. Tränen der Rührung. Was dann folgte zeigte mir, was für tolle Kinder wir wirklich hatten.
Felix stand auf und ging zu Sophias Geige. Er nahm sie in die Hand und versuchte einige Töne darauf zu spielen. Vorerst klang es ganz schräg. Seine Erklärung jedoch entschädigte alles. „Ich werde bis morgen ein Stück einstudieren. Und wenn es nur alle meine Entchen ist. Und das werde ich Sophia dann vorspielen. Vertrau mir Mama. Sie ist meine Schwester. Ich krieg sie schon wieder auf die...Beine..." Beim letzten Stück des Satzes stockte der Kleine. Trotzdem lächelte er mich an. „Es wäre doch gelacht, wenn wir es nicht hinbekommen."
Stolz sah ich meinem Sohn in die Augen. Er stellte sich aufrecht hin, ehe er begann weiter zu üben. Anscheinend meinte er es wirklich Ernst. Seine Worte gaben mir unglaublich viel Kraft und auch als ich das Foto nochmals betrachtete wurde mir bewusst, dass es eine Chance auf Besserung gab.
„Felix, du bist unglaublich!" murmelte ich, ehe ich den Jungen an mich drückte und ihm einen sanften Kuss auf die Wange drückte. Er grinste mich an und bat mich dann das Zimmer zu verlassen, was ich sofort tat.

Von draußen hörte ich noch schrille Geigentöne und hoffte inständig, dass der Kleine wenigstens etwas Begabung von seinem Vater geerbt hatte. Sonst würde am nächsten Tag sicherlich das ganze Krankenhaus auf uns aufmerksam werden.

„Flo? Bist du noch hier?" rief ich etwas verzweifelt, als ich vor der Treppe stand und mir nicht sicher war, ob meine Kraft reichen würde nach unten zu gehen. Sofort stand mein Mann vor mir. Er legte seine Hand an meine Wange und überprüfte meine Körpertemperatur, was mich nur den Kopf schütteln ließ. „Geht es dir nicht gut, Schatz?" - „Nein, nein, es ist alles gut. Willst du mit mir vielleicht kurz nach draußen?".
Sofort ging Flo mit mir auf unsere Terrasse. Ich begann ihm von Felix zu erzählen, was der Kleine gesagt hatte und wie stolz ich auf ihn war. Plötzlich wurde meine Angst vor der Zukunft immer kleiner, weil ich wusste, welch starke Familie wir hatten.
„Flo, ich bin gerade unglaublich glücklich und...ich weiß, dass wir es schaffen werden! Versprichst du mir, dass du es auch weißt?" - „Helene...ich..." ...  

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