Kapitel 100

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Es war ganz schön nass und schlammig, weil der Schnee vom Morgen schon halbwegs getaut war. Doch langsam gefror es, weil die Temperatur immer mehr sank. Es waren bestimmt schon Minusgrade, denn mein Gesicht zwiebelte ganz schön.
Im Galopp raste ich über den schmalen Feldweg, immer der Nase nach. Auf dem Weg rollten mir auch einige Tränen über die Wange, doch das Reiten tat mir sehr gut, ich konnte den Kopf frei bekommen. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich beruhigte das Pferd und hielt kurz an.
Schnell wischte ich mir die Tränen aus den Gesicht, zog die Handschuhe aus und ging ran: „Fischer?" Es war Florians Stimme: „Helene, wo bist du? Ich muss mit dir reden! Wir haben noch 5 Stunden bis zur Show! Bitte, sag mir wo du bist." Ich schrie durchs Telefon: „Lass mich in Ruhe, ich muss allein sein." Danach legte ich sofort auf.
Ich zog wieder meine Handschuhe an und ritt weiter, immer schneller.
Je mehr ich dabei nachdachte, desto mehr begann ich zu weinen, denn ich hasste es mich mit Florian zu streiten. Ich liebte ihn über alles und konnte kaum eine Sekunde mit dem Gedanken, dass er durch Streit nicht bei mir ist, leben. Trotzdem wollte ich nicht nachgeben und meine Ruhe genießen. Ich merkte, dass das Pferd immer langsamer lief, doch ich wollte so weit weg wie möglich, einen perfekten Ort zum Nachdenken finden. Immer wieder trieb ich es an, obwohl wir Beide sehr erschöpft waren.
Zwischendurch klingelte ständig mein Handy. Nach dem fünften Mal versuchte ich während des Reitens in die Tasche zu greifen und es auszuschalten, doch dadurch verlor ich die Kontrolle über mein Pferd. Es wurde immer unruhiger, wackelig versuchte ich es zu beruhigen, doch auf einmal sprang ein Hase aus dem Gebüsch. Mein Pferd stellte sich auf die Hinterhufe. Ich konnte mich gerade so an der Mähne festhalten, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Langsam beruhigte ich Blitz (das Pferd) und stieg ab. Ich führte ihn ein Stück zu Fuß und fing an auf ihn ein zu reden. Ich erzählte ihn wahrscheinlich mein ganzes Leben, bis ich plötzlich gestört wurde.
Meine Füße rutschten auf den Blitz-eis weg und ich steckte auf einmal in der Erde. Es war wie eine riesen Falle, mitten auf dem Weg. Ich saß in einem Loch, kurz blieb ich vor Schock sitzen, doch dann stellte ich mich hin. Das Loch war höher als ich und raus klettern war einfach nicht möglich, denn es war viel zu rutschig. Ich bekam riesige Angst und fing an zu weinen. Hektisch suchte ich nach meinem Handy, doch es muss aus der Tasche gefallen sein. Plötzlich hörte ich nur noch, wie Blitz weggaloppierte. Mein Herz blieb fast stehen, denn nun war ich ganz alleine und mir wurde immer kälter.

Eine lange Zeit bewegte ich mich in der engen Kuhle, um mich warm zu halten, dabei musste ich immer wieder an meine Kinder und an Flo denken. Es tat mir alles so Leid und das Einzige was ich jetzt noch wollte, war mich mit ihm zu versöhnen. Ich hätte alles dafür gegeben ihn zu diesem Zeitpunkt in meinen Armen zu halten.
Irgendwann wurde mir so kalt, dass ich mich auf den Boden fallen ließ. Ich konnte nicht mehr stehen. Als ich auf meine Armbanduhr schaute war es kurz nachdem ich in das Loch gefallen 16:00Uhr. Als ich auf den Boden saß, schaute ich nochmal drauf und es war 17:00Uhr. Ich wunderte mich, warum es mir so kalt war, doch dann bemerkte ich, dass meine Jacke hinten komplett gerissen war. Sie hatte ein riesiges Loch und auch die Ärmel waren beschädigt.
Mit jeder Minute wurde mir kälter und es dämmerte schon langsam. Selbst weinen konnte ich nicht mehr, ich wollte einfach nur noch ins Warme. Als ich in meinen Gedanken versunken war und über Sophia in der Öffentlichkeit nachdachte, erinnerte ich mich wieder an meinen Geburtstag, da überströmte mich auf einmal ein Schock. Die Halskette, die Flo mir geschenkt hatte. Aufgewühlt fasste ich an meinen Hals – sie war weg. Und ich hatte sie extra schon für die Show umgebunden. Hektisch suchte ich den Boden um mich herum ab, doch sie war nicht da.
Ich war total am Ende und kauerte mich so eng wie möglich zusammen. Es wurde immer später, es war schon 18:00Uhr. Die ganze Zeit war ich zwischen zwei Welt – auf der einen Seite im Schlaf – auf der anderen Seite wach. Ich durfte nicht einschlafen, das wusste ich genau.

Angestrengt versuchte ich meine Augen offen zu halten und begann zu singen. „Wär heut mein letzter Tag" berichtete genau meine Stimmung.
Doch urplötzlich hörte ich ein Pferd. Es hielt neben der Grube an und Hände erschienen über mir. Mit letzter Kraft stellte ich mich auf: „Hilfe!". Ich hielt mich mit Spannung an einzelnen Steinbrocken fest, bis ich in Flos Gesicht blickte. Er war da, er war meine Rettung.
Mit einem Seil zog er mich vorsichtig aus der Grube und schloss mich sofort in seine Arme. Er wickelte sanft eine Decke um mich und rieb an ihr. Danach drückte er mich an sich, um mich zu wärmen. Dabei sagte er mit einem erleichterten Ton: „Schatz, ich liebe dich doch! Und du hast Recht, wenn du nicht möchtest, dass Sophia in der Öffentlichkeit steht, dann hast du deine Gründe und..." Ich unterbrach ihn mit einem schwachen Flüstern: „Ich liebe dich und alles tut mir so unendlich leid.... Mir ist kalt." lachte ich noch dazu. Flo atmete erleichtert aus und nahm mich hoch. Wie ein Ritter setzte er sich mit mir in seinem Armen auf das Pferd und wir ritten zurück.

In der Wohnung legte er mich auf das Bett und wickelte mich in tausende Decken ein. Ganz fürsorglich machte er mir einen Tee und brachte noch die Wärmflasche. Nebenbei floss schon warmes Wasser in die Badewanne. „Bist du dir sicher, dass du nicht zum Arzt möchtest?" Ich nickte: „Mir geht es wirklich gut, es ist nur ein bisschen kalt! Und bitte geh jetzt zu deiner Show, sonst kommst du zu spät. Es ist nur noch eine Stunde."
Er zögerte, lies mich dann aber doch allein. Ich legte mich entspannt in die Wanne, aber nicht lange, denn ich wollte bei Florian sein.
Mir war inzwischen wieder viel wärmer und der erste Schock war auch überstanden, deswegen fuhr ich sofort zur Halle und ich hatte Glück, denn es waren noch 15 Minuten.
Sophia und Felix standen gespannt am Monitor und wartete auf den Beginn der Sendung. Von hinten wuschelte ich ihnen durch die Haare und sie fielen mir um den Hals. Meine Eltern kamen von hinten und fragten: „Wo warst du? Florian hat dich überall gesucht, den ganzen Nachmittag!" Ich lächelte und antwortete: „Das erzähle ich euch Morgen und jetzt ab auf eure Plätze." Die Kinder und meine Eltern hatten im Zuschauerraum in der ersten Reihe Plätze. Gerade als sie am Gehen waren, stoppte ich Sophia. Ich kniete mich zu ihr und redete: „Mein Schatz. Wenn du es wirklich von dir aus willst, darfst du heute in der Sendung, als Überraschung für Papa Geige spielen! Möchtest du das?" Sie nickte ganz aufgeregt und jubelte. Also ging ich zu Michael und klärte alles ab.

Die Sendung begann und ich wartete die gesamte Zeit mit Sophia am Eingang, bis ihr Stichwort kam, denn Flo wurde von Gerry über seine Familie ausgefragt. In der Zwischenzeit schlich sich Sophia auf die Bühne und begann zu spielen. Flo konnte sie erst nicht sehen, weil er zum Rücken zu ihr saß, doch als die ersten Töne erklungen, wusste er sofort wer es war.
Die Überraschung war jedenfalls ein voller Erfolg.

Nach der Sendung kam Flo sofort zu mir gerannt und bedankte sich mit unendlich vielen Küssen bei mir.
Danach drängte er mich dazu, mich bei den Kindern zu verabschieden, denn die wollten bei meinen Eltern im Hotel schlafen, was mich sehr wunderte.
Er fuhr mit mir zum Reiterhof und führte mich herein, aber nicht in unsere Wohnung, sondern auf den Heuboden. Dabei hielt er mir seine Hände vors Gesicht.

Als er sie weg nahm, sah ich einen wunderschönen Heuboden, mit rot-verdunkelten Lampen und überall Kerzenschein. In der Mitte war ein riesiger Heuhaufen, mit einem weiß-rot bedeckten Tuch ausgebreitet. Drum rum waren Rosenblätter verteilt und zwei Sektgläser standen auch schon bereit.

Mit großen Augen starrte ich Flo an und...

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