Kapitel 164

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Leise öffnete ich die Tür vom Bad und schaute besorgt hinein. Erika saß auf dem kleinen Hocker neben dem Waschbecken und versuchte so schnell es ging ihre Tränen zu trocknen.
„Du weinst?" fragte ich typisch, wie es eine Schwester immer tut. Sie nickte traurig und als ich langsam auf sie zu ging fiel sie mir in die Arme und heulte sich richtig aus. Vorsichtig glitten wir auf den Boden und verblieben eine Weile in dieser Position.
Behutsam streichelte ich über Erika's Rücken und redete liebevoll auf sie ein – ich konnte mir ja schon denken warum sie so weinte.

Irgendwann begann sie von selbst zu reden: „Deine Kinder spielen so schön... und Amelie? Sie kann nie wieder spielen. NIE wieder!" Eine gewisse Wut war im Unterton zu hören und das schlimmste ist – ich konnte es ihr nicht übel nehmen. Mir war schon die ganze Zeit so komisch – Erika hatte am ganzen Abend noch keine Andeutung auf Amelie gemacht, was nicht normal war, denn in letzter Zeit tat sie das eigentlich ständig.
Als sie sich wieder beruhigt hatte, wischte ich ihr mit meinen Fingern die letzten Tränen von der Wange, schminkte sie ein wenig und als sie dann so vor mir stand, sprach ich ohne nachzudenken einfach drauf los: „Ich weiß Erika. Es ist der schlimmste Verlust, den man haben kann. Und keiner kann dieses Gefühl, was du jetzt hier in dir trägst nachvollziehen. Aber bitte versprich mir eins! Bleibe meine große Schwester – meine Erika, die sich von nichts unterkriegen lässt, die alles mit positiver Ansicht versucht zu meistern und vor allem diese Erika, die ihre Familie liebt. Es verurteilt dich niemand, wenn du wegen dieser Sache am Ende bist, aber das Leben muss weitergehen! Amelie hätte es so gewollt –bitte sei fröhlich und denke eher an die schönen Zeiten, als an das Schlechte. Und jetzt – jetzt gehen wir runter und genießen den Rest des Weihnachtsfestes."
Einen kurzen Moment war ich selbst über meine Worte überrascht, aber gleich darauf war ich irgendwie auch stolz auf mich die Wahrheit gesagt zu haben. Erst jetzt bemerkte ich Erika's Gesichtsausdruck. Tatsächlich lächelte sie mich an. Schwesterlich legte sie eine Hand auf meine Schulter: „Danke Helene! Du hast Recht!" Eine liebevolle Umarmung beendete das Gespräch und erleichtert gingen wir wieder nach unten.

Als wir das Wohnzimmer betraten, fielen besorgte Blicke auf uns, aber ich rettete die Situation und sagte nur: „Alles gut... Frauenprobleme... Macht euch keine Sorgen! Ihr wisst ja, Schwesternpower." Erika lächelte mich an und setzte sich dann neben Markus.

Als wir eine Weile nur der Weihnachtsmusik lauschten und in der Ecke die Kinder spielten, stand ich plötzlich ganz entschlossen auf und warf einen Blick in den Raum: „Was machen wir jetzt? Hat jemand Lust auf einen Film?"
Die ersten, die mir antworteten waren Sophia und Felix. Flo lachte, schaute auf die Uhr und sagte mit einem strengen Unterton: „Diese Frage ging an die Erwachsenen ihr Beiden. Es ist nämlich schon 21:30Uhr! Das heißt für euch – ab ins Bett."
„Och nöö!" riefen beide im Chor und alle Anwesenden brachen in einem lauten Gelächter aus. „Bitte Mama... noch eine Stunde! Wir sind ja noch gar nicht müde." Immer wenn Flo etwas verbot, wurde ich gefragt. Eigentlich blieb ich meistens stark, aber an Weihnachten herrschte einfach ein zu wohliges Gefühl, was mich dazu brachte zu antworten: „Ja gut... platziert euch auf dem Sofa neben Papa." Ich kramte schnell unseren Weihnachtsfilm raus – jedes Jahr war es derselbe und das seit 7 Jahren, irgendwie gehörte dieser Film zur Tradition –deswegen musste er dabei sein.

Ich legte ihn ein, kuschelte mich dann an die Kids und Flo und ließ meinen Blick noch einmal durch die Runde schweifen.
Alle waren so zufrieden. Erika lag in Markus' Armen. Meine Eltern saßen nebeneinander und auch Flo's Eltern sahen mehr als zufrieden aus.
Es war wunderschön – so wie man es sich wünscht. Ich schaute zu den Fotos an der Wand und plötzlich entdeckte ich auf dem Regal die Figur – mein wunderbares Weihnachtsgeschenk.
Dass sich Flori noch immer daran erinnern konnte –das war wohl einer der größten Beweise dafür, dass wir wirklich zusammen waren.

Erst jetzt bemerkte ich, dass der Film schon längst richtig angefangen hatte und nun konzentrierte ich mich darauf.

Irgendwann tippte mich Florian an der Schulter und deutete auf unsere zwei Süßen. Die schliefen tief und fest, an uns dran gekuschelt. Leise flüsterte ich: „Wir sind gar nicht müde." Flo nickte und streichelte dann den beiden über den Kopf. Danach drückte er mir einen Kuss auf die Lippen und schenkte mir sein schönstes Lächeln...



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