Kapitel 197

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 „Sie haben mich angefasst." waren die einzigen Worte, die aus Sophias Mund kamen, ehe sie sich erschöpft in meine Arme fallen ließ und einfach weinte. Behutsam strich ich meiner Tochter über den Rücken. Zum ersten Mal seit langem hatte ich das Gefühl richtig stark zu sein. Ich trotzte meiner Angst, vielleicht war es Wut, die mich dazu brachte. „Ich bin immer für dich da mein Mäuschen..." wisperte ich so sanft wie möglich. Tatsächlich schienen meine Worte zu helfen. Sophia beruhigte sich schnell und atmete schon bald gleichmäßig ein und aus. „Schlaf schön du kleiner Engel!" wisperte ich an ihr Ohr, ehe ich den Raum verließ und mit Florian nach Hause fuhr.

Schon während der Fahrt sprach keiner von uns beiden ein Wort. Wir wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Unsere Familie war psychisch zerstört.
Erst als wir auf unsere Einfahrt abbogen schaute ich Florian von der Seite an. In seinen Augen glitzerten Tränen. Ich konnte mir den Drang nach seiner Hand zu greifen nicht unterdrücken. „Flo...wie geht es jetzt weiter? Was sagen wir Felix?". Er zuckte nur wortlos mit den Schultern und wollte aussteigen, ich hiel meinen Mann jedoch davon ab. „Wir können davor nicht wegrennen, wir müssen eine Lösung finden! Hörst du? Du warst so stark bis jetzt. Bitte bleib das auch! Ich...wir brauchen dich." Diese Worte schienen zu wirken. Florian drehte sich zu mir und rang sich ein Lächeln ab. „Du hast Recht..." seufzte er, wobei seine Hand liebevoll über meine Wange strich. „Wir versuchen es Felix ein wenig zu erklären. Dann schmücken wir das Haus morgen gemeinsam und machen das Beste draus. Aber...ich werde jetzt wohl noch ein Stück gehen. Ich brauche kurz meine Ruhe und...muss mich ein bisschen sammeln. Ist das okay für dich?" Ich nickte nur und spürte den Drang nach einem neuen Leben. Zu diesem Zeitpunkt nahm ich mir fest vor Florian auf einen Umzug anzusprechen. Das Geschehene war eindeutig nicht mehr wett zu machen.

„Mami, wo ist Papa?" Felix lag müde auf dem Sofa und starrte auf den Fernseher. Florian war tatsächlich schon länger weg gewesen und trotzdem machte ich mir keine Sorgen. Ich respektierte seinen Wunsch nach Ruhe und Einsamkeit. „Mein Kleiner Spatz...der Papa braucht mal ein bisschen Ruhe. Du weißt ja, dass es zurzeit ein bisschen schwierig ist." Traurig nickte mein Sohn. Er schien mehr mit zu bekommen, als wir dachten. Obwohl er körperlich wieder völlig gesund war, zeigte mir ein Mentales etwas ganz anderes. Früher lag er nie ruhig, in eine Decke eingewickelt auf dem Sofa. Normalerweise rannte der Kleine immer glücklich durchs Haus und machte dabei Laute, die ich selbst noch nicht kannte. „Und wann kommt Sophia?" - „Morgen, wenn es Null Uhr ist werden wir sie besuchen. Da musst du aber schön lieb sein, ja?".Er nickte erneut. Felix machte mich stolz. Er musste soviel aushalten, beschwerte sich aber trotzdem nie. „
Liebevoll schmiegte ich mich an ihn. Ich hatte die Nähe zu meinen Sohn sehr vermisst und spürte, dass es der richtige Zeitpunkt war ihn über alles aufzuklären. „Du Felix...du wirst ja bald 10. Und du bist ja auch richtig gut in der Schule. Meinst du ich kann mit dir mal richtig erwachsen reden?". Felix schaute mich aus großen Augen an. Er war nicht, wie die normalen Jungs in seinem Alter. Natur und Umwelt interessierten ihn mehr als Pokemons. Außerdem war er noch sehr anhänglich und familiär, weswegen ich oft Probleme hatte ihn seines Alters entsprechend zu behandeln.
„Ja Mami!" seufzte er und klammerte seine Hände in mein Oberteil. „Also...zuerst sollst du wissen, dass wir dich immer lieb haben. Egal, was gerade mit deiner Schwester ist, sobald du dich unwohl fühlst musst du uns Bescheid sagen, okay? Für uns ist es gerade sehr schwer einzuschätzen, wen wir gerecht behandeln und wen nicht. Und...kommen wir jetzt zu deiner Schwester. Du weißt ja, dass da was ganz schlimmes passiert ist. Jetzt haben wir von einem Arzt erfahren, dass Sophia..." noch bevor ich den Satz aussprechen konnten rollten tausende Tränen über meine Wangen. Es tat mir selbst so weh es sagen zu müssen „Dass Sophia wahrscheinlich nie mehr laufen kann...". Felix Augen öffneten sich weit, er sagte aber nichts...

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