Wir brauchen dich

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„Guten Morgen Herr Haber." So wurde ich am nächsten Morgen von einer gut gelaunten Krankenschwester begrüßt. Ich fand das gerade ziemlich unpassend, aber sie meinte es ja nur gut. „Kann ich zu meiner Frau?" fragte ich direkt, da ich es einfach nicht mehr aushalten konnte. Ich wollte endlich zu ihr. „Das müssen Sie den Oberarzt fragen, dafür bin ich nicht zuständig, tut mir leid." Daraufhin ging sie zu Leevi um ihn zu pflegen, während ich schnell aufstand, ihm noch einen Kuss gab und noch gleich auf dem Weg zu Dr. Laitinen machte.

Kaum war ich aus der Tür, sah ich ihn auch schon und fragte hektisch nach Finja. Ich war mehr als froh, als er mir sagte, dass ich zu ihr durfte und mich auf die Intensivstation führte.
„Es hilft ihrer Frau, wenn sie viel mit ihr reden. Auch wenn Sie glauben, dass sie das nicht hört, aber Komapatienten bekommen alles unterbewusst mit." sagte er noch zu mir bevor ich das Zimmer betrat. Der Anblick riss mir komplett den Boden unter den Füßen weg. Finja lag da so hilflos und war an so vielen Maschinen angeschlossen. Das hatte sie einfach nicht verdient... Ich musste direkt wieder anfangen zu heulen, das war einfach alles viel zu viel. Mit zittrigen Beinen ging ich auf ihr Bett zu und ließ mich sofort auf dem daneben stehenden Stuhl fallen.

Schluchzend legte ich meinen Kopf auf ihrer Schulter ab und griff fest nach ihrer Hand. Unfähig etwas zu sagen saß ich da so über eine Stunde bevor ich mich etwas gefasst hatte. „Mein Engel...du weißt gar nicht wie sehr...wie sehr ich dich vermisse...Ich schaffe das nicht...ohne dich...Ich habe so eine Angst...aber Riku sagt, dass du...dass du das schaffst...Du bist eine Kämpferin. Bitte lass mich und Leevi nicht alleine...Wir brauchen dich." Fast 3 Stunden saß ich da noch neben ihr, redete mit ihr oder kuschelte mich einfach nur verzweifelt an sie. Am liebsten wäre ich gar nicht mehr von ihrer Seite gewichen, aber ich musste mich trotz allem schließlich auch noch um Leevi kümmern. Ich musste mir irgendeine Hilfe suchen, wenn wir wieder nachhause könnten. „Ich muss jetzt gehen...aber ich verspreche dir, dass ich dich jeden Tag besuchen komme. Und ich verspreche dir, dass ich mich gut um unserem Sohn kümmern werde, mach dir keine Sorgen. Ich liebe dich so unendlich doll."

Nur ungern ließ ich Finja's Hand los und gab ihr noch einen Kuss auf die Stirn bevor ich komplett fertig mit den Nerven ihr Zimmer verließ. Ganz unerwartet sah ich gleich meine Mutter und meine Schwester, die auf einer Bank warteten, aber sofort aufstanden als sie mich sahen. „Samu, komm her..." sagte meine Mutter, die bei meinem Anblick auch zu weinen anfing. Eine gefühlte Ewigkeit umarmten wir uns einfach nur, während sie mir beruhigend über den Rücken strich. Auch Sanna umarmte mich einfach nur, da keiner wusste, was er in dieser Situation sagen sollte. Man hätte mich sowieso mit keinen Worten trösten können. „Na komm, wir gehen jetzt erstmal zu Leevi und dann hole ich uns etwas vernünftiges zu Essen." Das war ja wieder typisch Mutter, hauptsache man aß genug. Aber ich freute mich, dass die beiden gekommen waren und ich nicht alleine sein musste. Wahrscheinlich hatte ihnen Riku Bescheid gesagt.

Finja's Eltern würden auch noch heute oder morgen kommen. Für sie musste es genauso schlimm sein wie für mich, nur dass sie noch nicht mal im selben Land wohnten.
Als wir wieder zurück in meinem und Leevis Zimmer waren, nahm ich unseren Sohn erstmal auf meinem Arm und setzte mich mit Sanna auf das Bett, während uns meine Mutter Essen besorgte. Eigentlich war mir gerade wirklich überhaupt nicht nach essen, aber hungern war ja auch keine Lösung. „Willst du darüber reden Samu?" Damit brach meine Schwester die Stille und guckte mich mitleidig an. „Ehrlich gesagt nein." antwortete ich, denn ich hatte mich gerade erst wieder ein bisschen beruhigt. „Okay, aber du weißt, dass ich immer ein offenes Ohr für dich habe, gerade jetzt."
Ich nickte nur schwach und lehnte meinen Kopf auf ihrer Schulter ab.

„Was hälst du davon, wenn du mit Leevi erstmal zu mir, Miikka und den Mädchen kommst? Dann bist du nicht so alleine und hast genug Unterstützung."
„Ich will euch nicht zur Last fallen Sanna..." Ich wusste, dass sie das nur gut meinte, aber ich würde doch nur stören. „Das tust du nicht. Nimm das Angebot bitte an, ich mache mir Sorgen um dich in so einem Zustand alleine zu lassen, gerade mit Leevi. Du musst dich erstmal um dich selbst kümmern. Glaub mir es ist besser wenn du zu uns ins Gästezimmer kommst bis alles wieder beim Alten ist." Wenn überhaupt irgendwann wieder alles beim Alten sein würde... „Na gut, wenn du meinst." Vielleicht war es ja wirklich besser so. Wahrscheinlich wäre ich viel zu überfordert alleine. Ich meine klar konnte ich mich alleine um Leevi kümmern und mich mit ihm beschäftigen, aber wie Sanna schon meinte, in meiner Verfassung gerade war einfach alles eine Hürde.

„Papa." kam es auf einmal von dem Kleinen, während er mit seiner gesunden Hand an meinem Bart rumtätschelte. Tatsächlich brachte mich das zum Lächeln, aber gleichzeitig stiegen mir wieder die Tränen in die Augen, da es mich an dem Moment von gestern Morgen erinnerte. Wie Finja und ich uns gemeinsam gefreut hatten, und wie verdammt stolz wir waren... „Sein erstes richtiges Wort Samu." kam es begeistert von Sanna, die mich gleich anstrahlte. Unter Tränen erzählte ich ihr von gestern morgen und kuschelte währenddessen mit Leevi.
„Ihr werdet noch viele solcher Momente zusammen erleben. Ich weiß, es ist gerade schwer positiv zu denken, aber es heißt doch nicht, dass sie jetzt Monate lang im Koma liegt. Mit Glück hast du sie in 2/3 Wochen schon wieder."

Also so positiv konnte ich nun wirklich nicht denken. Es würde mich nur enttäuschen. „Hm ja vielleicht..." Ich wollte einfach gar nicht mehr reden, weswegen es mir sehr gelegen kam, dass meine Mutter mit dem Essen kam.
„Na wer hat Lust auf Pizza?" fragte meine Mutter und lächelte mich aufmunternd an.
Ich zwang mich auch zu einem kleinen Lächeln, da ich wusste wie schlecht es jetzt auch meine Mutter ging. Wenn es mir nicht gut ging, ging es ihr eben auch nicht gut. Sie nahm sich den Stuhl, setzte sich gegenüber von uns und gab uns unsere Pizzen. Leevi hatte vorhin schon etwas von der Krankenschwester bekommen. „Iss ein bisschen Samu, das brauchst du." Nur widerwillig nahm ich mir ein Stück, doch schon beim zweiten Stück wurde mir kotzübel, sodass ich sofort zur Toilette lief und mich übergeben musste.

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