156. Reiterwahrheit

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-"Nun komm schon!"- quengelte Aurelia als sie vor ihrem Reiter auf den Hof stürmte.
-"Hast du Angst das uns Meisterin Narie verfolgt?"- schmunzelte Garath.
Aurelia brummte nur unwirsch. Garath erkannte aber, dass in ihrer Erinnerung ein Bild an das ungewöhnliche Frühstück ihrer Lehrmeisterin aufblitzte.
Garath war sich ziemlich sicher, dass seine kleine Drachendame diesen Gedanken nicht genoss denn sie verdrängte das Bild schnell wieder.
-"Ich will meine Eltern nicht warten lassen."- rechtfertigte Aurelia sich. -"Sie spüren den Ruf des Windes!"-
Noch immer konnte Garath dieses Verhalten der Drachen nicht ganz verstehen. Aurelia war noch so jung!
Sicher, sie war in guten Händen und Kira, Laorie und die anderen erwachsenen Drachen würden sie gut erziehen, doch trotzdem. Er verstand es einfach nicht.
Der junge Reiter war so in Gedanken, dass er fast in die mächtige Flanke der Drachendame Kira hineingelaufen wäre.
Hastig machte er ein paar Schritte rückwärts und verneigte sich respektvoll vor der feuerroten Drachendame.
Diese musterte ihn belustigt.
-"Ich werde wohl doch darüber nachdenken müssen dich und deinen Reiter etwas länger schlafen zu lassen kleine Schwester."- hörte Garath seine Lehrerin sagen. -"Er scheint noch nicht ganz wach zu sein."-
Aurelia kicherte ungehemmt vor sich hin während sie antwortete.
-"Nein Meisterin. Er denkt nur nach."-
-"Oh, nun davon will ich dich nicht abhalten junger Garath."-
-"Ich befürchte nur, dass nicht viel dabei herauskommt Meistern."- sagte Garath beschämt. -"Ich denke und denke aber komme der Wahrheit wohl trotzdem einfach nicht näher."-
Kira brummte verstehend und blickte ihren menschlichen Schützling verständnisvoll an.
-"Nachdenken ist ein guter Weg der Wahrheit auf die Spur zu kommen Garath aber bedenke bitte: Wenn du das ganze verstehen willst benötigst du alle Teile. Wenn du alle Teile die dir zur Verfügung stehen betrachtet hast und sich immer noch kein Ganzes ergibt, was bedeutet das dann?"-
Garath kratzte sich nachdenklich den Hinterkopf und antwortete schließlich:
-"Das ich noch nicht über alle Teile verfüge?"-
-"Ah!"- Kira klang zufrieden. -"Und das heißt weiter?"-
Immer noch unsicher wohin das Ganze führen sollte antwortete Garath:
-"Wenn nachdenken das Betrachten der einzelnen Teile ist und man zu dem Schluss kommt, dass man noch nicht alle Teile hat bringt es nichts die Teile die man besitzt immer wieder und wieder zu betrachten. Man sollte lieber......"-
-"Die Augen aufsperren und nach weiteren Teilen suchen. Ganz richtig."- vollendete Kira.
Garath entging nicht der wissende Tonfall der älteren Drachendame. Er hatte schon bemerkt, dass die Begleiterin der Elfe Narie ihre Schüler gern mit sanften Hinweisen an die tägliche Lektion heranführte, es aber den Schülern überließ diese für sich zu entdecken und zu begreifen.
-"Nun ihr Zwei."- sprach Kira indes weiter. -"Ihr seit aber recht früh dran. Ich wollte euch eigentlich Gelegenheit geben zu frühstücken bevor wir aufbrechen."-
-"Nun.....äh...."- Garath blickte hilfesuchend zu Aurelia.
Diese wirkte genau so hilflos. Sie wollten beide nicht schlecht über Kiras Reiterin sprechen.
-"Ah! Ich verstehe."- Kiras Stimme klang amüsiert.
Fragend blickte Garath erneut zu Aurelia.
Das junge Drachenmädchen gab ein Geräusch von sich das wie ein beschämtes Seufzen klang.
Durch ihre Geistige Verbindung signalisierte Aurelia ihrem Reiter, dass es ihr nicht gelungen war das Bild von Meisterin Naries "Frühstück" aus ihren Gedanken zu verbannen.
-"Und deshalb ist es wichtig zu lernen wie man seinen Geist verschließt kleine Schwester."- tadelte Kira ihre junge Artgenossin mit gütiger Strenge. -"Der eigene Verstand sollte kein offenes Buch für jedermann sein und es ist auch nicht besonders höflich stets alles zu offenbaren."-
-"Ja Meisterin." nuschelte Aurelia beschämt.
-"Nun,"- fuhr Kira fort. -"Da ihr Zwei also offensichtlich keinen Hunger habt...."
Die Drachendame legte eine bedeutungsvolle Pause ein und zwinkerte vielsagend.
-".....können wir ja aufbrechen. Garath, steig auf. Aurelia du folgst uns bitte. Es ist nicht weit."-
Sofort kam Garath dieser Bitte nach. Obwohl Kira ihren Sattel bereits trug brauchte der junge Reiter einige Minuten um in eine bequeme Sitzposition zu kommen. Zwar war dies nicht das erste mal, dass einer seiner geflügelten Lehrer ihn aufsetzen ließ doch Garath war dies einfach noch nicht gewohnt. Dazu kam noch, dass jeder Sattel ein wenig anders war. Der, den Dorn, der Begleiter von Murtagh stets trug hatte beispielsweise andere Schnallen als die, die er nun auf Kiras Rücken vorfand.
Garath hatte schon für sich entschieden, dass er bei dem Sattel, den Aurelia einmal tragen würde Schnallen zu verwenden wie Meister Murtagh es tat. Sie ließen sich viel leichter öffnen und das konnte entscheidend sein wenn man schnell absteigen musste.
-"Fertig?"- erkundigte sich Kira schließlich.
-"Ja Meisterin."-
Zufrieden stieß die feuerrote Drachendame sich vom Boden ab und schoss in den Himmel.
Garath genoss schon jetzt das Gefühl des Fliegens doch irgendwie fühlte es sich für ihn noch nicht ganz richtig an.
-"Kein Wunder!"- lachte Aurelia die ausgelassen neben ihrer Lehrerin durch den Himmel tollte. -"Du fliegst schließlich nicht mit mir!"-
-"Sie hat recht!"- ergänzte Kira. -"Unterschätze nicht was dich und Aurelia verbindet junger Garath. Ihr habt eine tiefe Verbindung. Auf meinem Rücken sitzt du einfach nur in der Luft. Mit ihr wirst du fliegen."-
-"Ist das so wie......ich möchte euch nicht beleidigen......"-
-"Stell deine Frage." forderte Kira. -"Ich wäre eine schlechte Lehrerin wenn ich dir vorwerfen würde, dass du das, was ich dir beibringen soll, noch nicht verstehst."-
-"Nun, Meisterin......ich komme aus einer Fischerfamilie und ich erinnere mich, dass mein Vater sich einmal ein Boot leihen musste weil seines neu klaftert werden musste......."-
-"Kalfatern?"- mischte sich Aurelia ein. -"Was ist denn das?"-
-"Weißt du......"- Garath dachte einen Moment nach. -"Du weißt doch, dass die Boote von uns Zweibeinern aus vielen einzelnen Brettern bestehen."-
-"Ja."- bestätigte Aurelia.
-"Hast du dich nie gefragt warum kein Wasser zwischen den Ritzen durchfließt?"- erkundigte sich Garath.
-"Nein"- erwiderte das rote Drachenmädchen unverblümt. -"Ich bin ein Drache ich brauche kein Boot."-
-" Warum willst du dann wissen was Kalfatern bedeutet?"-
-"Weil das Wissen zu dir gehört Garath. Ich verstehe dich, du bist mein Reiter aber ich will dich auch kennen."-
Garath lief ein Schauer über den Rücken als er die Kraft und tiefe Ehrlichkeit in Aurelias Worten spürte. Es rührte ihn, dass sie das nur wissen wollte wegen ihm. Und doch war es so.
-"Nun, bei Kalfatern bestreicht man den Rumpf des Schiffes mit Pech bestreicht. Genau gesagt eben die Ritzen. Dadurch kann kein Wasser mehr eindringen. Mann muss es allerdings nach gewisser Zeit immer wiederholen damit die Nähte am Schiffsrumpf wirklich dicht bleiben."-
Aurelia signalisierte, dass sie verstanden hatte und Garath kehrte zu seiner Frage zurück.
-"Also, mein Vater musste sich das Boot eines anderen Fischers leihen und als er zurückkam hatte er einen sehr guten Fang gemacht aber er wirkte trotzdem nicht ganz zufrieden. Ich habe ihn gefragt warum. Und er hat gesagt, dass es sich mit einem fremden Boot einfach anders anfühlt als mit seinem. Er kennt sein Boot einfach. Er weiß genau wie es reagiert. Er hat gesagt, dass er bei seinem Boot über manche Manöver gar nicht mehr nachdenken muss. Es wäre als wäre das Schiff ein Teil von ihm und er von seinem Schiff. Ist das was ihr meint wenn ihr von meiner Bindung zu Aurelia sprecht?"-
Garath bemerkte, dass seine Meisterin lange über ihre Antwort nachdachte.
-"Ja und auch nein junger Garath."- erwiderte die Rote schließlich.
Garath grinste in sich hinein. Die Antwort wirkte etwas kopflos doch etwas in Kiras Stimme ließ ihn abwarten.
-"Zunächst dachte ich, dass du dich irrst junger Reiter. Augenscheinlich beschreibst du lediglich einfache Gewohnheit. Wie könnte ein totes Objekt wie ein Boot vergleichbar sein mit der Verbindung die du zur Schwester deiner Seele hast? Bloße Gewohnheit ist nichts als ein fahles Echo der tiefen Verbindung von der ich gesprochen habe!
Doch was du dann gesagt hast: Die Worte deines Vater.....das er ein Teil seines Bootes ist und Es ein Teil von ihm.......Ja, dass beschreibt die Bindung gut, die du mit Aurelia hast. Ich hatte vergessen, dass es in der Natur von euch Zweibeinern liegt nach tiefen Bindungen zu streben.
Was dich und Aurelia angeht: So musst du verstehen, dass in dem Moment als du von ihr das silberne Drachenmal erhalten hast eine Verbindung zwischen euch entstanden ist. Doch das ist nicht das Ende eurer Reise! Eure Bindung wird wachsen. Ihre Gestalt wird sich wandeln so wie aus einer Knospe eine Blüte wird.
Darin, junger Garath liegt wohlmöglich die größte Stärke von Drache und Reiter, denn siehst du, was deinen Vater mit seinem Boot verband ist der Höhepunkt einer langen Entwicklung gewesen. Was für ihn der Endpunkt der Entwicklung war, das ist euer Anfang. Du weißt das das wahr ist oder?"-
Ein Schmunzeln schlich sich in Kiras Stimme.
-"Du weißt das es wahr ist auch wenn du es noch nicht ganz verstehst."-
-"Weil ich noch nicht alle Teile habe, Meisterin?"-
-"Nicht frech werden kleiner Zweibeiner!"- lachte Kira.
Garath lachte mit und blickte zu Aurelia. Er dachte an das Gefühl das er im Bezug auf das Fliegen gehabt hatte. Das es sich nicht ganz richtig anfühlte ohne Aurelia.
-"Ja, ich spüre das es wahr ist Meisterin."-
-"Gut."- Kira summte zufrieden.







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